Alle Parteien sind sich einig: Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung. Vor allem seit der Schweizer Entscheidung zur Begrenzung der Managergehälter hat diese Form der Basisdemokratie viele Anhänger. Das Volk soll mehr mitentscheiden, gefragt werden und nicht mehr nur alle 4 oder 5 Jahre einmal eine Partei wählen können, die sich dann mehr oder weniger an ihre Versprechungen im Wahlkampf erinnert. So weit, so gut. Aber wenn es konkret wird, ist die Verwirrung groß. Wie wird z.B. verhindert, dass sich regionaler Egoismus auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzt – und wer kommt für die Folgekosten einer Bürgerentscheidung auf?
Dies lässt sich an einem Beispiel deutlich machen. Was wäre das Ergebnis, wenn die Bewohner des Landkreises Fulda gefragt würden, ob sie damit einverstanden sind, dass in der Rhön Windkraftanlagen aufgestellt werden sollen? Entscheidend wären dabei die Zusatzinformationen. Zum Beispiel: a) Mit den Windkraftanlagen können wir die Erderwärmung verhindern! b) Die Mehrkosten dieser Energie bedeuten für jeden Haushalt deutlich höhere Strompreise zugunsten der Investoren!
Anonyme Weltrettung gegen den eigenen Geldbeutel. Das Ergebniss würde sicher zeigen: Der Ausgang jeder Bürgerbefragung hängt entscheidend davon ab, wie sich die Entscheidung auf die eigenen Lebensumstände auswirkt.
Im Musterland der direkten Demokratie, der Schweiz, kann jedes Gesetz, jede Verordnung auf Antrag einer Volksabstimmung unterworfen werden. Das haben Verwaltung und Parlament schon im Hinterkopf, wenn sie etwas beschließen. Das „Stimmvolk“ – so nennen dies die Schweizer, weiß auch, dass sie selbst für ihre Entscheidung geradestehen müssen – dass ihr Verhalten direkt auf ihr Nettoeinkommen durchschlägt.
Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Auch dafür ein Beispiel: In Bayern drohte noch vor der Landtagswahl im Herbst eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Studiengebühren. Der CSU war klar, dass diese eine Mehrheit erhalten würde und schafft sie im vorauseilenden Gehorsam lieber gleich ab. Natürlich sind die Studenten und ihre Eltern dafür. Schließlich sind letztere zu 80 Prozent ebenfalls Akademiker, die auch schon auf Kosten der Allgemeinheit ihre privilegierte Ausbildung umsonst erhalten haben. Bürgerbeteiligungen in Deutschland bleiben eine Farce, solange sie so organisiert sind, dass eine lautstarke privilegierte Gruppe darüber entscheidet, dass der Nachbar für ihr Wohlbefinden aufkommen soll.
Gerade die Grünen und ihre im politischen Umfeld aktiven Organisationen fordern lautstark mehr Bürgerbeteiligung, denken aber nicht daran, sich an deren Ergebnisse zu halten, wenn sie ihnen nicht passen. Stuttgart 21 ist so ein Beispiel. Die Mehrheit der Baden-Württemberger, vor allem die Stuttgarter selbst, hat sich für das Projekt ausgesprochen. Aber die Proteste und Obstruktion gehen weiter. Natürlich kann eingewendet werden, dass die Kosten ansteigen und deshalb ein anderer Sachverhalt vorliegt. Aber allein die Verzögerung durch die Mediation hat 80 Millionen Euro verursacht. Und natürlich kann mit Recht darauf hingewiesen werden, dass eine Abstimmung früher hätte erfolgen sollen. Aber auch da können wir viel von den Schweizern lernen: Der Gotthard-Basistunnel, ein 12-Milliarden-Euro-Projekt, wurde mit genauer Kalkulation in sechs Abstimmungen von den Schweizern gebilligt. Und trotzdem wurde er gut 20 Prozent teurer und die Eröffnung um zwei Jahre verschoben. Technische und geologische Überraschungen lassen sich auch nicht durch Volksentscheide verhindern.
Ob es sich um eine Neuordnung des Länderfinanzausgleichs oder gar der Ländergrenzen, um kommunale Projekte oder eine Verwaltungsreform, um Infrastruktur- oder Umwelteingriffe handelt: Bevor in Deutschland die sicher erstrebenswerte Bürgerbeteiligung verstärkt wird, muss die sicherstellt sein, dass die Entscheidungen nicht dazu führen, dass das St. Florians-Prinzip unsere Demokratie ersetzt. Das besagt: „Verschone mich, lass andere für mich zahlen!“
Kolume von Günter Ederer aus der Fuldaer Zeitung (16.3.2013)