Burkhard Müller-Ullrich / 22.11.2016 / 11:22 / Foto: Times / 6 / Seite ausdrucken

Humbug von YouGov: Deutschland populismusfrei!

Es sieht so aus, als sollten wir von dieser Nachricht gute Laune bekommen: Laut einer Umfrage verfangen populistische Parolen in Deutschland deutlich seltener als in anderen Ländern Europas, meldet die Zeitung "Die Welt". Aber kaum hat man das gelesen, stellen sich schon Fragen. Zum Beispiel: Was für eine Umfrage ist das? Und was ist gemeint mit „populistische Parolen“? Populismus ist ja im politischen Geschäft das schlechthin Böse, das die anderen machen. Wenn man dasselbe selber tut, dann heißt es aufrütteln, aktivieren und sich engagieren, die Menschen da draußen mitnehmen, der schweigenden Mehrheit eine Stimme geben und für die Emanzipation der breiten Masse kämpfen. Journalisten verwenden das Wort Populismus außerdem, um sich gegenseitig zu bestätigen, daß sie was Besseres als Populisten sind.

Da deutsche Journalisten aber seit ein paar Jahren fast ausschließlich damit beschäftigt sind, sich über den angeblich zunehmenden Populismus in Deutschland zu entsetzen und das Bild eines von Hass und Hetze getriebenen, verführten und berauschten Volkes zu beschwören und verdammen, muß einen der jetzt verkündete Befund doch gehörig erstaunen: Wieso sollen und wie können unter allen Völkern Europas gerade die Deutschen am widerstandsfähigsten gegen Populismus sein?

Die Studie stammt von dem britischen Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov, das noch in der Nacht des Brexit, am 23. Juni, einen 52-Prozent-Sieg der Brexit-Gegner vorausgesagt hatte. Auch beim Schottland-Votum vor zwei Jahren und bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr lagen die Kaffeesatzleser von YouGov so spektakulär falsch, daß man ihnen im Vereinigten Königreich nicht mal mehr zutraut, den Preis einer 64-Pence-Briefmarke korrekt zu berechnen. Mag sein, daß sich die Firma deswegen jetzt mehr um den europäischen Markt kümmert.

In diesem Sinne wäre auch der weise Skeptiker Hans Magnus Enzensberger ein Populist

Dort läßt sich offenbar auch mit ganz schrägen Thesen sofort die Aufmerksamkeit der Qualitätspresse gewinnen – Thesen wie etwa der folgenden: „18 Prozent der Deutschen teilen Überzeugungen, die von Parteien wie der AfD bedient werden. In Frankreich sind es 63 [Prozent].“ Wenn Humbug-Soziologie auf Nonsense-Journalismus trifft, dann kommt so etwas heraus. Denn natürlich beruht alle Demoskopie zu 130 Prozent auf den von ihr verwendeten Methoden, und über diese wird so gut wie gar nichts mitgeteilt.

Schon die Definition dessen, was als populistisch gilt, zeigt die schwammig-unseriöse Vorgehensweise dieser Demoskopen an: An erster Stelle steht „eine ablehnende Haltung zur EU“ – dabei kann sich die Ablehnung genausogut auf den Verrat der Grundlagen der EU (wie zum Beispiel das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenpresse) oder den Wildwuchs einer selbstzerstörerischen Bürokratie beziehen. In diesem Sinne wäre auch der weise Skeptiker Hans Magnus Enzensberger ein Populist.

An zweiter Stelle stehen „generelle Vorbehalte gegen Einwanderung“, obwohl es doch gegenwärtig gerade nicht um generelle, sondern um islamische Einwanderung geht. Und, drittens, „eine Präferenz für eine robuste, auf nationale Interessen fokussierte Außenpolitik“ zum Wesensmerkmal des Populismus hochzufrisieren, führt natürlich bei jeder halbwegs selbstbewußten europäischen Nation zu skandalisierbaren Zustimmungswerten. In Frankreich hätte jedenfalls niemand Erfolg, der sich für eine lasche, die nationalen Interessen ignorierende Außenpolitik stark machte.

Aber vielleicht würden die YouGov-Leute einem solchen Politiker auch noch Wahlchancen prognostizieren. Nähmen sie allerdings ihre eigene Statistik ernst, dann müßten sie das ganze Europagedöns sofort einstellen. Denn wenn es so große Mentalitätsunterschiede oder Zeitgeistdifferenzen wie zwischen 18 respektive 63 Prozent in wesentlichen aktuellen Fragen gibt, dann muß man wohl davon ausgehen, daß die Nationen sehr, sehr verschieden sind und eine wie immer geartete Vereinigung oder Union auf absehbare Zeit einfach nicht in Frage kommt. You got it? 

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Leserpost

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Andreas Rochow / 22.11.2016

Das wär doch auch mal ein Thema für YouGov für den Vergleich der EU-Noch-Mitgliedsstaaten: Ich habe von den Supermoderatorinnen und -toren von ARD und ZDF immer wieder Aussagen gehört, die mich provokatorisch zurückfragen ließen: Wie deutsch sollen die Griechen denn werden? Auch: Wie deutsch sollen die Briten denn werden? Oder: Wie deutsch müssen die Ungarn, die Polen, die Tschechen, die Slovaken und die Finnen, die Franzosen und und und noch werden? Ein weites Betätigungsfeld für YouGov, um dem Kaffeesatz eine Scheinordnung zu geben. Die Frage, wie deutsch ein Deutscher noch sein darf, habe ich ausgelassen. Das wird von der Ewigkeitskanzlerin dekretiert; da wird nicht befragt oder abgestimmt, basta.

Günter Besten / 22.11.2016

Verehrter Herr Müller-Ulrich! Sind Ihre Wort für Wort vielerlei “Analysten” und Journalisten präzise decouvrierenden Beiträge ein Grund, warum man Sie -leider - im deutschen ÖR-Komplex (hier DlF-Kultur) kaum mehr hört? Das wäre typisch für dort herrschenden Geist und gehörte auf die Demokratie-watch-list!

Wilfried Cremer / 22.11.2016

YouGov und die Slomkarianer proben das Pfeifen im Walde. Wir erleben eine Schubumkehr. Plötzlich haben die Meinungsverwalter den Schiss und nicht das phobische Volk.

Horst Jungsbluth / 22.11.2016

Ich habe schon (fast) die Hoffnung aufgegeben, dass in unserem Land die wirklichen Probleme angesprochen, diskutiert und durch eine breite politische Mehrheit gelöst oder wenigstens gemindert werden. Stattdessen erleben wir phrasenhaftes Geschwätz wie in einer Diktatur, an der Sache vorbeigehende “Diskussionen” oder Monologe in den täglichen “Sabbelshows” , bestellte Studien, wo das Ergebnis diktiert wird und sogenannte “Experten”, die man lieber auf Baustellen oder auf dem Feld von Bauern tüchtig “ackern” sehen möchte, anstatt sie im Fernsehen zu ertragen. Man warnt allen Ernstes vor “Populismus”, vergisst aber dezent den der Journalisten nicht nur von den Boulevardblättern und den teilweise unerträglichen aus dem linksgrünen Milieu. Man warnt vor dem “Rechtspopulismus”, vor “rechtem” Hass und vor “rechter” Gewalt, also vor etwas, was es nach unseren Gesetzen gar nicht gibt und auch gar nicht geben kann. Ich persönlich sehe kein Licht am Ende dieses Tunnels, weil unsere “ewig Unverantwortlichen” uns Bürger ganz bewusst “im Dunklen” lassen.

Walter Ernestus / 22.11.2016

Sehr geehrter Herr Schade, Ihnen fehlt vielleicht das Wissen einer Marietta Slomka, da reicht ein Blick und schon weiß man: kein Populist! Das ist weibliche Intuition, Frau Roth hat das auch, und Karin und natürlich Renate.

Thomas Schade / 22.11.2016

Noch interessanter ist es, wenn - wie z. B. gestern Abend im Heute Journal - Frau Slomka verkündet, Herr Fillon sei kein Populist. Wie hat sie das nur ermittelt?

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