Markus Söder hat das, was der SPD fehlt – den unbedingten Willen zur Macht. Wo die Berliner Republik einen zehenspitzigen Menuett-Tanz der willenlosen Regierungsbildung tanzt, da stampft Söder als Ein-Mann-Heavy-Metal-Band der Politik nach vorn. Er tönt seit Jahren, dass er unbedingt Bayerns Ministerpräsident werden will. Nun wird er es schaffen. Dabei war sein Weg dorthin weiter als der von Christian Lindner nach Jamaika, der von Martin Schulz in die Große Koalition und der von Angela Merkel in die Minderheitsregierung.
Der Widerstand gegen Söder war gewaltig. Die Oberbayern wollten den Franken nicht, die Katholiken den Protestanten nicht, die Großbürgerlichen den Volksmann nicht, die Frauen den Kerl nicht, die Linken den Konservativen nicht, die Medien den CSUler nicht, die Intellektuellen den Polemiker nicht, Seehofer den Nachfolger sogar ganz und gar nicht.
Söder hat sich trotzdem durchgesetzt. Und wenn sich nunmehr viele fragen, wie er es eigentlich dahin geschafft hat, dann gibt es brave Antworten – er sei enorm fleißig, kraftvoll, beharrlich, redestark und ziemlich schlau, der Einser-Abiturient, Adenauer-Stipendiat und promovierte Jurist. Es gibt auch feuilletonistische Deutungen, wonach der Sohn des Maurermeisters an Aufstiegsehrgeiz und Nehmerqualitäten seinen verwöhnten, bieder-bürgerlichen Konkurrenten stets überlegen war. Oder der Hinweis, dass Söder die Instrumente der Mediendemokratie viel besser zu nutzen weiß als andere, schlichtweg, weil er sie professionell erlernt hat.
In Wahrheit ist sein Erfolgsgeheimnis nicht braver, psychologischer oder beruflicher Ligatur. Es ist charakterlicher Natur. Söder hat früh damit aufgehört, sein Ich zu verbergen. Er hat seine Meinungen und seine Ambitionen freiweg gezeigt, ja demonstriert, wo alle anderen sich noch in Maskeraden der Akzeptanz bewegten. Sein Wille ist Charakter in Aktion.
Rechter Wadenbeißer? Ist ihm schnuppe
So hat Söder immer wieder Positionen bezogen, die politisch gerade nicht korrekt waren. Er hat Meinungen geäußert, nicht weil sie populär oder sympathisch waren, sondern weil sie seine waren. So gehörte er zu den ersten Spitzenpolitikern in Deutschland, die Merkels Politik der radikalen Grenzöffnung ebenso radikal kritisierten. Wo die meisten seiner Kollegen noch von der Willkommenskultur schwärmten, hob er schon mahnend den Finger.
Er schimpfte die Kanzlerin – bis dahin undenkbar unter Unionisten – offen als „blauäugig” und forderte mal ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen („In Schulen gehören Kruzifixe und keine Kopftücher”) dann wieder stellte er das Grundrecht auf Asyl infrage und liebäugelte mit einem Zaun an der Grenze zu Österreich. Doch Söders Inkorrektheiten können auch „schlechte Eltern” treffen, denen er mit Kindergeld-Kürzungen droht.
Seine Kritiker verurteilen ihn seit seinen Tagen als CSU-Generalsekretär als „rechten Wadenbeißer”. Doch das stimmt nicht einmal halb. Er wird zwar 2018 versuchen, die „offene rechte Flanke der CSU” zu schließen. Seine politische Kraft erwächst aber nicht aus der Richtung seiner Haltung, sondern aus ihrem Mut. Wenn sich nämlich in Diskursen viele Politiker auf einem Quadratmillimeter konsensualer Mitte versammeln, dann wächst im Publikum die Sehnsucht nach echter Haltung. Die bedient Söder seit Jahren. In einer politischen Szenerie der formierten Sprach- und Denkweisen, der glatten Gefälligkeitsinszenierungen kommt er vielen vor wie ein Mann, der ohne Visier und Make-Up seine Sache verficht.
Gezielt gegen den Mainstream positioniert
Söder profitiert also direkt von der übersteigerten politischen Korrektheit einer Republik, die sich häufig in nebulösen, mittigen Gemeinplätzen versteckt, die sich mehrheitskonform dahinbiegt und das verweigert, was immer mehr Menschen von ihr eigentlich wollen: klare Weichenstellungen, Führung durch Haltung, Mut zur Meinung. Sind nicht Adenauers Wiederbewaffnung und Westbindung, Willy Brandts Ostverträge, Helmut Kohls Euro, Gerhard Schröders Agenda 2010, viele historisch weise Entscheidungen der bundesrepublikanischen Geschichte gerade gegen Mainstream, Mehrheit und Mitte durchgesetzt worden?
Zum neueren, konturlosen Republikanismus, der sich am liebsten auf Umfragen stützt und Wahrheiten in diskursiven Konsensen auflöst, ist Söder eine kantige Gegenfigur. Und er profitiert davon, wie andere Politiker auch, die instinktiv erkannt haben, dass man heutzutage weiterkommen kann, wenn man sich gezielt gegen den Mainstream positioniert. Ob Winfried Kretschmann bei den Grünen oder Jens Spahn bei der CDU, ob Emmanuel Macron in Frankreich oder Sebastian Kurz in Österreich – sie alle haben nicht wegen ihrer jeweiligen Meinungen Erfolg, sondern weil sie leidenschaftlich um unbequeme Positionen kämpfen. Diese Form der Autorität schafft zusehends Majorität.
Es ist das Flackern einer Flamme des Autonomen, an dem sich die anderen dann wärmen und orientieren. Identität, Originalität, Eigenheit wirken in einer superstrukturierten Welt der Vollkaskomeinungen wie Donnergrollen aus längst versunkenen Titanenzeiten. Darum hat es Söder nie geschadet, dass er als „Machiavellist”, als Meister von „Schmutzeleien” (Seehofer-Sprech) oder von „Ehrgeiz zerfressen” beschimpft wurde.
Mut zur Ich-Setzung
Das Image des Durchsetzers wurde durch den sichtbaren Überschuss an Willen nur schärfer. Da aber die meisten Politiker ansonsten peinlich darum bemüht sind, ihren Machtwillen zu verbergen und in Verantwortungsfloskeln zu verpacken, wirkte seiner nunmehr ehrlich. Je mehr die anderen als Turteltäubchen der Vorsicht gurrten, desto mehr wurde sein Tigergefauche gehört und geschätzt.
Zum Mut der Ich-Setzung gehört auch Söders außergewöhnliche Selbstinszenierung zur Faschingszeit. Da erscheint er regelmäßig in Politiker-Deutschlands exzentrischster Kostümierung. So verkleidete er sich zur Fernsehsitzung 2012 gemeinsam mit seiner Ehefrau als Punker, ein Jahr später als Drag Queen, 2015 kam er als Mahatma Gandhi, 2016 als Edmund Stoiber und 2017 als Homer Simpson. Wer die Bilder von diesem Karnevals-Söder sieht, der weiß um die Kraft seiner Selbstdarstellung.
Und so bedient er die Sehnsucht vieler Bayern nach einer Willens-Demonstration vom Schlage eines Franz-Josef Strauß. Auch das spürt Söder ganz genau und nimmt zuweilen direkt Bezug darauf. In einem ARD-Interview verwies Söder einmal auf das Vorbild seiner Jugendzeit: „Strauß, dieses Kraftuhrwerk, dieser Titan der Worte, hat mir unheimlich gut gefallen. Ich hatte sogar ein riesengroßes Poster von Strauß, fast überlebensgroß. Ich wohnte bei uns zu Hause unter einer Dachschräge und dort hing dieses Poster. Wenn ich aufgewacht bin, habe ich also an der Decke direkt Strauß angeschaut. Das hat sich in späteren Jahren als gar nicht so einfach erwiesen, wenn dann auch mal eine Freundin da war und die auch Strauß zuerst gesehen hat. Das war nicht immer ganz so einfach. Aber Strauß hat mir wirklich sehr gefallen.” Bis heute. Vor allem dessen Willen zur Macht.
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