Rainer Bonhorst / 11.08.2016 / 15:09 / Foto: Jerome / 7 / Seite ausdrucken

Hilfe, mein Döner wird politisch

Ich geh gleich mal wieder ein Döner essen in Klein-Istanbul, dem einschlägigen Viertel meiner Stadt. Bei uns haben mehr als 40 Prozent der Einwohner einen so genannten Migrationshintergrund. Viele aus der Türkei und Russland und viele aus verschiedenen EU-Ländern. (Da die Stadt in Bayern liegt, sei der Ordnung halber gesagt: Menschen, die aus deutschen Regionen nördlich des Weißwurstäquators stammen, gelten offiziell nicht als Migranten.) Eigentlich läuft das Zusammenleben ziemlich gut. Wenn da nicht neulich diese riesige Demonstration geradezu fanatischer Erdogan-Anhänger gewesen wäre.

Auf einmal frage ich mich: Ist mein Döner-Mann auch ein Erdoganist? Soll ich ihn fragen? Soll ich meinen Restaurant-Besuch davon abhängig machen, ob die Antwort ja oder nein lautet? Vielleicht ist er ja ein Erdogan-Gegner. Also einer von denen, die jetzt auch bei uns von Erdoganisten belästigt, bedrängt, bedroht werden? Aber wenn er gegen Erdogan wäre, für wen wäre er dann? Etwa für Gülen? Da käme ich mit meinem Restaurantbesuch vom Regen in die Traufe. Wenn Gülen in der Türkei das Ruder übernähme, dann wäre das ungefähr so wie damals im Iran, als der Ayatollah den Schah rausschmiss.

Vielleicht ist er ja auch einfach unpolitisch. Weder Erdogan, noch Gülen. Dass seine Frau ein Kopftuch trägt, muss nichts bedeuten. Kann aber. Aber was? Viele junge Mädchen türkischer Herkunft laufen bei uns mit Kopftuch herum. Das kann streng gemeint sein, was ja nicht verboten ist, oder es bedeutet einfach einen etwas provokativen Stolz auf die Herkunft. Skinny Jeans und Kopftuch – das sieht nicht nach knallhartem Islam aus. Eher wie ein Signal, das sagt: Ich lebe hier, gerne und frei, aber ich bin keine Dirndl-Bayerin.

Skinny-Jeans und Kopftuch: "Ich lebe hier, gerne und frei, aber ich bin keine Dirndl-Bayerin"

Lauter Vermutungen. Ich mag als alter Knabe ja so ein junges Mädchen nicht einfach fragen, was ihre textile Ausstattung bedeuten soll. Das wäre ja noch peinlicher, als den Döner-Mann nach seinem Parteibuch zu fragen. Ich hab mir bisher auch solche Fragen gar nicht gestellt. Ich war überzeugt: Die große Mehrheit der Leute mit türkischen Wurzeln sind bei uns weder politisch noch in Glaubensfragen sehr kämpferisch. Moslems der milden bis gleichgültigen Sorte. Europäisch geprägte Moslems, wenn man so will. Die Zahl der Fanatiker hab ich immer für klein gehalten.

Hab ich mir was in die Tasche gelogen? Das ist denkbar. Ich mag es nämlich, dass unser Land nicht nur aus käseweißen Germanen besteht. Ich mag eine bunte Mischung. Ich mag es auch, dass ich die unterschiedlichsten Sprachen höre, wenn ich die Bahnhofstraße entlang gehe. Ein bisschen Farbe, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn tut uns gut.

Aber dann diese idiotische Demonstration der Erdogan-Fans. Und so viele! Ein Meer an Halbmondflaggen. Wo haben diese Leute sich die ganze Zeit versteckt? Wo kommen all diese demokratiefeindlichen Jubeltürken her, die einen Mann hochleben lassen, der dabei ist, eine islamistisch geprägte Diktatur aufzubauen? Sind sie etwa die ganze Zeit schon da gewesen und ich habe es nicht gemerkt?

Haben andere es gemerkt und einfach nichts gesagt? Polizei und sonstige Sicherheitsorgane? Haben sie diese Leute einfach im Trüben fischen lassen und um des lieben Friedens willen den Mund gehalten? Oder um den bissigen Erdogan nicht zu reizen? Und was ist jetzt? Einfach weiter so? Muss man da nicht kräftig auf die Bremse treten?

Soll ich jetzt etwa auf Currywurst umsteigen?

Einige dieser Fragezeichen sollte man, bitte sehr, als Aufforderung verstehen, endlich etwas zu unternehmen gegen diese verkappten und nun offen ans Licht getretenen Feinde unserer demokratischen Gesellschaft. Die Grenzen zwischen politischer Toleranz, politischer Dummheit und politischer Feigheit sind nun mal fließend. Ich fürchte, bei uns fließt die Politik stur in eine fatale Richtung. Die Versuche, dieses Fließen in vernünftige Bahnen zu lenken, stoßen auf angststuren Widerstand: Im Zweifel immer schön links bleiben, koste es, was es wolle!

Trotzdem werde ich zu meinem Döner-Mann gehen. Ich werde ihn nicht danach fragen, wie er es mit Erdogan hält. Ich werde das Kopftuch seiner Frau nicht analysieren sondern einfach als traditionelle Kopfbedeckung nehmen, wie sie seinerzeit unsere Trümmerfrauen auch trugen. Ich werde mich weiter am Anblick der schicken Moslem-Mädchen mit Skinny-Jeans und Kopftuch erfreuen. Und ich werde zum Döner einen heißen Tschai aus kleinem Glas trinken. Ich mag nun mal die türkische Küche. Und die Leute auch.

Allerdings muss ich zugeben: Das Vergnügen hat für mich etwas von seiner Unschuld verloren. Aber soll ich deshalb ganz auf Curry-Wurst umsteigen?

Nachtrag: Ich war inzwischen da. Hab kein Döner sondern Köfte gegessen. Sonst keine besonderen Vorkommnisse.

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Leserpost

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Frank Jankalert / 12.08.2016

Was ? Der Autor stellt sich erst jetzt, ganz zögerlich, ein paar vorsichtige Fragen. Wieso sich denn jetzt noch Gedanken machen? Erdogan, Gülen, PKK, Graue Wölfe oder türkische Mafia - Hauptsache der Döner schmeckt.

Hermann Köller / 11.08.2016

Currywurst vom Türken schmeckt fad, da gibt’s nur Geflügelwurst.

Obares Kinab / 11.08.2016

Natürlich sollen Sie auch weiterhin beim Türken ihrer Wahl Döner schmausen. Nur wenn Ihnen die letzten Jahrzehnte nichts auffiel und Sie sich nun verwundert die Augen reiben ob der Masse an “Jubeltürken”, müssen Sie sich schon fragen lassen unter welcher Käseglocke Sie die ganze Zeit gelebt haben. Wer sehen kann, mag sehen.

Martin Reuter / 11.08.2016

Lieber Herr Bonhorst, ihr Döner sollte unabhängig der politischen Einstellung ihres türkischen Wirtes ohnehin für Sie politische Relevanz haben. Denn das Fleisch darin ist inzwischen sozusagen immer “halal”. Die unnötig grausame Art der Schlachtung sollte man meiner Meinung nach beim (deshalb möglichst seltenen) Kauf und Konsum entsprechender Produkte im Hinterkopf haben.

Hubert Bauer / 11.08.2016

Ich kaufe Döner nur in Geschäften, die auch Bier im Kühlschrank haben. Das ist mein Test. Moslems trinken Bier; Islamisten würden es nicht mal verkaufen. Wer also Bier verkauft steht nicht im Verdacht ein Islamist zu sein.

Wolf-Dieter Schleuning / 11.08.2016

Schön, nur Ihr Vergleich des Trümmer-oder des (häufigeren) Landfrauenkopftuchs mit dem Hidschab ist so passend wie ein Vergleich des Sombreros mit der preußischen Pickelhaube. Die ersteren dienen dem Schutz vor Sonne oder Staub, die letzteren haben keinen praktischen Zweck sondern sind symbolischer Ausdruck der Unfreiheit durch Unterordnung unter staatliche oder religiöse Autoritäten.

Simon Templar / 11.08.2016

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