Zugegeben: Ich bin ein Ungläubiger – im doppelten Sinne: Einmal bin ich kein Muslim und zum zweiten glaube ich überhaupt nicht. Und so habe ich auch nicht geglaubt, dass Seyran Ateş es schaffen würde, die Idee einer liberalen Moschee in die Tat umzusetzen. Jetzt hat sie es geschafft. Respekt und Gratulation!
Allerdings war von vornherein klar, dass das auf Widerstand und Protest stoßen würde: Männer und Frauen in einem Raum, Sunniten, Schiiten und Aleviten beten gemeinsam, Schwule und Frauen als Imame, Predigtsprache Deutsch. Das ist reichlich viel auf einmal. Religionsfreiheit umfasst auch das Recht, die Religion zu kritisieren, jede Religion, auch diese. Das weiß Ateş selbstverständlich. Morddrohungen haben aber so wenig mit Protest zu tun, wie abgefackelte Autos und geplünderte Läden.
Doch die Morddrohungen können ja nicht von Muslimen stammen, denn Islam heißt Frieden und kennt keine Gewalt, wie Gewalt auch niemals links ist, sondern kriminell. Jedenfalls laut Ralf Stegner. Gewalt ist per definitionem rechts.
"Sie sollen getötet oder gehängt werden"
Allerdings hat Allah seinen Anhängern in Sure 5, 33 (das ist die auf dem Bekennerschreiben, das Mohammed Bouyeri Theo van Gogh mit einem Messer an die Brust geheftet hat, nachdem er ihn zuvor in absolut friedlicher Absicht angeschossen und ihm danach die Kehle durchgeschnitten hatte) geboten:
„Die Strafe derer, die gegen Allah und Seinen Gesandten kämpfen und Unruhen auf der Erde zu stiften trachten, soll sein, dass sie getötet oder gehängt werden oder dass ihnen Hände und Füße verschränkt abgeschlagen werden oder dass sie aus dem Lande vertrieben werden. Das soll für sie eine Schmach in dieser Welt sein. Und im Jenseits wird ihnen eine schwere Strafe zuteil.“
Und Unruhe hat Seyran Ateş mit ihrer liberalen Moschee weiß Gott gestiftet, mag sie nun danach getrachtet haben oder nicht. Das ist schon eine Schnapsidee, so eine liberale Moschee. Fast so wie der G20-Gipfel in Hamburg. Oder Frauen im Minirock auf der Domplatte in Köln. Da darf man sich wirklich nicht wundern.
Die türkische Religionsbehörde Diyanet kritisierte, mit dem Moschee-Konzept von Ateş würden "die Grundsätze unserer erhabenen Religion missachtet". Türkische Medien hatten das Vorhaben mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht. Und auch die oberste Fatwa-Behörde Ägyptens griff das Vorhaben an: "Frauen können nicht in einer Reihe neben Männern beten. Frauen ist es nicht erlaubt, ohne Schleier zu beten. Frauen ist es nicht gestattet, Imam zu sein, wenn dort Männer beten."
Der Sultan vom Bosporus hatte schon vor Jahren Anstoß an dem Begriff „moderater Islam“ genommen: „Solche Bezeichnungen sind sehr hässlich, das ist anstößig und beleidigend für unsere Religion. Es gibt keinen moderaten oder nicht-moderaten Islam. Islam ist Islam und damit hat es sich.“ (“These descriptions are very ugly, it is offensive and an insult to our religion. There is no moderate or immoderate Islam. Islam is Islam and that’s it”, Milliyet, Turkey, August 21, 2007). Und Khomeini höchst selbst hat Oriana Fallaci kurz nach seiner Rückkehr in den Iran belehrt: „Es betrübt uns, dem Wort Islam ein anderes Wort beizufügen, weil der Islam vollkommen ist.“ (“It is sad for us to add another word near the word Islam, which is perfect”).
Das hat aber beispielsweise Bassam Tibi nicht gehindert, einen Euro-Islam herbeizuwünschen, wenn auch erfolglos. „Lasst uns nicht im Stich – Gönnt uns einen Voltaire“ hat Ayaan Hirsi Ali ihrer europäischen Leserschaft zugerufen. Und Salman Rushdie schloss sich mit der Forderung an: „Wir brauchen eine islamische Reformation“, an deren Ende, so muss man wohl ergänzen, ein aufgeklärter Islam steht oder eben der „Euro-Islam“. Und der Politikwissenschaftler und Muslim Hamed Abdel-Samad erklärt: „Für mich hat nur ein ‚Islam Light‘ in Europa eine Zukunft: Islam ohne Scharia, ohne Dschihad, ohne Geschlechter-Apartheid, ohne Missionierung und ohne Anspruchsmentalität.“ Also genau das, was Seyran Ateş jetzt in Berlin-Moabit mit ihrer Ibn-Rushd-Goethe-Moschee zum Ausdruck bringen möchte.
"Gegen die Einschleimerei bei den Deutschen"
Alles Quatsch sagen Leute wie der salafistische Prediger Eyad Hadrous, in perfektem Deutsch übrigens und sehr eloquent. Regina Freitag lässt sich allerdings davon nicht beeindrucken und kommentiert: „Was für ein Arschloch und Frauenhasser. Wahrscheinlich hat er auch privat und im Bett lieber mit Männern zu tun, obwohl Schwule ja eigentlich gar keine sexistischen Vollpfosten sind wie dieser unverschämte Schreihals.“ Da kann man immer nur wieder staunen, wie unterschiedlich doch eine Rede wirkt.
Nicht weniger eloquent und sehr geschickt versucht ein anderer junger Mann, der den Koran und die Sunna ebenfalls „mit dem Verständnis der salaf“, also „der rechtschaffenen Vorfahren“ gelernt hat, die Betrachter seines Videos vom wahren Islam zu überzeugen. Interessant sind die Reaktionen einiger seiner Zuschauer, die bei youtube zu lesen sind:
„Dachte ich mir, dass das bestimmten Islamisten im Schafspelz wie dir nicht passt. Aber Ateş hat Recht. Entweder fangen die Muslime endlich an, Mohammed und sein Wirken zu hinterfragen oder der Islam wird das 21. Jahrhundert als Religion nicht mehr überleben.“
„Endlich mal jemand wie du! Du sprichst Klartext, stellst dich gegen die Einschleimerei vieler Muslime bei den Deutschen, vertrittst den wahren Islam und bringst es auch noch charmant und sachlich rüber, ohne vulgär oder hasserfüllt zu reden! Möge Allah dich belohnen!“
„Respekt Bruder Maschallah [Wie es Gott gefällt], mach weiter so. Sie wollen aus dem Islam eine ganz andere Religion machen. WÛNSCH DIR INCHALLAH [So Gott will] VIEL ERFOLG.“
„Nun leben wir aber in Deutschland, und hier gilt Religionsfreiheit. Und zwar für jeden. Dazu gehört auch, dass jeder seinen Glauben so praktizieren darf wie er möchte. Ob konservativ, modern, liberal, ob mit oder ohne Kopftuch, ob in Kutte oder Badehose. Wenn aber Zwänge aufkommen, hat das mit Freiheit nichts mehr zu tun.“
Die vergessenen Versuche eines zeitgemäßen Islam
Der Kurde Bilal Gümüs, ebenfalls Salafist und zum IHED-Team (Islamischer Humanitärer Entwicklungsdienst) gehörend, versucht’s dagegen auf die lustige Art und meint, an Ateş und ihre Gesinnungsfreunde gewandt: „Ganz Deutschland lacht Euch aus“. Da muss ich allerdings widersprechen: Ich lache nicht. Aber ich würde niemals so weit gehen wie dieser Zeitgenosse: „bin auch gegen diese ‚liberale bla bla‘ aber du bist der größte hund und der größte sonderschüler nenn dich bitte nicht kurde du stück scheisse.“ So redet man nicht mit Menschen, das überlässt man Stanislaw Tillich oder Sigmar Gabriel.
Doch vielleicht bin ich da einfach zu streng. Der 1943 verstorbene Autor Max Funke betitelte vor gut 100 Jahren (1910) eine Schrift „Sind Weiber Menschen? Mulieres homines non sunt.“ Selbst der Heilige Gandhi soll vergewaltigte Frauen nicht mehr als Menschen angesehen haben. Andererseits weiß man, dass auch große Menschen kleine Macken haben können. Also: „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“? Oder was?
Ich hoffe und wünsche jedenfalls, dass die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Alt-Moabit 24, nach kurzer Zeit nicht ebenso tot geschwiegen wird, wie andere Ansätze, den Islam nicht wie zur Zeit seiner Entstehung, sondern zeitgemäß zu interpretieren und zu leben:
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung vom 15. Januar 2015 gesagt: „Die Menschen fragen mich, welcher Islam gemeint ist, wenn ich diesen Gedanken [den bekannten Satz von Bundespräsident Wulff] zitiere.“ Ja, welcher denn, Frau Merkel, wenn nicht der von Akgün, Ateş, Balci, Kaddor, Mansour und anderen propagierte liberale Islam? Oder wollen Sie es nicht mit Aiman Mazyek verderben, mit dem Sie zwei Tage zuvor am Brandenburger Tor zusammengestanden und Gesicht gezeigt hatten?