Alex Feuerherdt / 16.05.2016 / 18:00 / 1 / Seite ausdrucken

High Tech in Gaza - Hamas von unten

Erstmals seit dem Ende des Gaza-Krieges im Sommer 2014 ist es wieder zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen der israelischen Armee und der islamistischen Hamas gekommen. Der Grund dafür liegt darin, dass erneut Tunnel entdeckt wurden, die vom Gazastreifen auf israelisches Gebiet führen. Diese unterirdischen Gänge werden von der Gotteskriegerpartei dazu verwendet, Waffen und Terroristen in den jüdischen Staat zu schleusen, um Attentate zu verüben und Menschen zu entführen.

Im Gaza-Krieg vor knapp zwei Jahren spürten die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) insgesamt 32 Tunnel auf, von denen 14 nach Israel reichten, und zerstörten sie. Es war das erklärte Kriegsziel, diese Infrastruktur zu beseitigen, um die Sicherheit der israelischen Bürger zu verbessern. Nun wurden erneut zwei Angriffstunnel gefunden: der erste – der noch aus der Zeit vor dem Gaza-Krieg stammte und von der Hamas instand gehalten worden war – bereits Mitte April, der zweite, ein bis dahin unbekannter, vor wenigen Tagen.

Um sie dauerhaft außer Funktion zu setzen, musste die israelische Armee rund hundert Meter in den Gazastreifen eindringen. Die Hamas nahm die IDF-Einheiten daraufhin durch Scharfschützen und mit Mörsergranaten unter Beschuss, weshalb das Militär erst Panzergeschütze einsetzte und anschließend einige Stellungen der Terroristen aus der Luft angriff. Wie in solchen Situationen üblich, warfen die palästinensischen Islamisten dem jüdischen Staat eine „Verletzung des Waffenstillstands“ vor, dabei waren sie es selbst, die mit dem Tunnelaus- und -neubau eine kriegerische Handlung vornahmen.

Peter Lerner, der Sprecher der IDF, sagte, die Einsätze der Armee würden „noch einige Zeit weitergehen, weil die Hamas die Infrastruktur ausbaut, die nach Israel hineinreicht, was wir nicht hinnehmen werden“. Verteidigungsminister Moshe Ya’alon bekräftigte: „Wir können eine Rückkehr zu einem alltäglichen Beschuss durch die Hamas und zu deren Versuchen, unseren Zivilisten und Soldaten Schaden zuzufügen, nicht tolerieren.“

Ein weit verzweigtes, professionelles Netzwerk

Wenn man verstehen will, welche Bedeutung die Tunnel für die Hamas haben und weshalb der jüdische Staat ein solch großes Interesse an ihrer Zerstörung hat, muss man wissen, dass es keineswegs bloß um ein paar dilettantisch gegrabene, instabile Aushöhlungen geht, durch die man auf dem Bauch robben muss, um von A nach B zu gelangen. Vielmehr handelt es sich um ein ausgeklügeltes, professionelles, sehr gut getarntes Tunnelsystem etwa 15 bis 30 Meter unter der Erde, gegen das die israelische Luftwaffe weitgehend machtlos ist. Die rund zwei Meter hohen Gänge sind solide betoniert, elektrifiziert und mit Sauerstoff sowie teilweise mit Telefonleitungen ausgestattet. Für den Durchbruch zur Erdoberfläche auf israelischer Seite sorgen die Terroristen dabei erst im Moment ihres Angriffs – vor allem deshalb sind die Tunnel für Israel so schwer ausfindig zu machen.

Schätzungen der israelischen Armee zufolge hat die Hamas zwischen 30 und 90 Millionen Dollar für drei Dutzend nach Israel führende Tunnel ausgegeben und 600.000 Tonnen Zement verbraucht – Geld und Material, das beim Wiederaufbau von Gaza fehlt. Die Arbeiter sind bei Monatslöhnen von 150 bis 300 Dollar acht bis zwölf Stunden pro Tag mit Grabungen beschäftigt und kommen in dieser Zeit vier bis fünf Meter voran. Nach einer palästinensischen Studie sind bis zum Jahr 2012 bei diesen Arbeiten 160 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch Kinder.

Die Tunnel bilden ein regelrechtes Labyrinth, ein „weit verzweigtes Netzwerk an Waffenwerkstätten, Lagerräumen und Raketen-Abschussrampen“, wie Gisela Dachs in einem lesenswerten Beitrag schrieb, der während des Gaza-Krieges auf Zeit Online erschien. Außerdem bieten sie den Terroristen während eines Krieges Schutz. Darüber hinaus dienen sie dazu, Israelis zu entführen – wie etwa den Soldaten Gilad Shalit, den die Hamas während des Libanonkrieges im Sommer 2006 in ihre Gewalt brachte, durch einen mehrere hundert Meter langen unterirdischen Gang auf ihr Territorium verschleppte und dort fünf Jahre lang festhielt.

Die Tunnel beginnen im Gazastreifen häufig in den Kellern von Wohnhäusern und enden auf israelischer Seite an Stellen, die die Hamas für strategisch günstig hält – dort nämlich, wo die Terroristen aus dem Hinterhalt schnell zuschlagen und sofort den Rückzug antreten können. Im Gaza-Krieg tauchten beispielsweise ganz in der Nähe des Kibbuz Sufa plötzlich 13 schwerbewaffnete Islamisten im Morgengrauen aus einem Loch im Boden auf. Die israelische Armee stoppte sie gerade noch rechtzeitig, bevor sie einen Anschlag verüben und Israelis entführen konnten. Zum Vorbild hat sich die Hamas übrigens den Vietcong genommen, der im Vietnamkrieg gegen die amerikanischen Truppen ebenfalls auf ein komplexes Tunnelsystem zurückgreifen konnte.

In einem Dokument, das im Herbst 2013 in palästinensische Milizen kursierte, wird der Tunnelkrieg gegen Israel als „eine der wichtigsten, aber auch gefährlichsten militärischen Taktiken“ bezeichnet. Für die israelische Armee sei er eine ganz besondere Herausforderung. Die Taktik bestehe darin, „den Feind zu überraschen und ihm einen tödlichen Schlag zu versetzen, der ihm keine Chance aufs Überleben, auf ein Entkommen oder auf eine Konfrontation zu seiner Verteidigung lässt“. Dazu müssten möglichst geräuschlos und professionell weitere Tunnel gegraben werden. Dass die palästinensischen Islamisten nun erneut unterirdische Gänge nach Israel bauen und reaktivieren, erhöht die Gefahr für den jüdischen Staat immens.

Einnahmequelle und Geschäftsmodell  

Es gibt aber nicht nur die Terrortunnel nach Israel, sondern auch Schmuggeltunnel nach Ägypten. Bevor das ägyptische Militär in den Jahren 2013 und 2014 etliche davon zerstörte, existierten mehr als 1.500. Durch sie werden Waren, Geld, Waffen und Waffenteile nach Gaza geschleust – unter offizieller Kontrolle der Hamas. „Alle Güter und Materialien, die Israel und Ägypten aus Sicherheitsgründen nicht hineinlassen, finden so trotzdem ihren Weg“, so Gisela Dachs. Die Anlagen seien dabei ständig verbessert worden, es gebe Lastenaufzüge, Strom, Belüftungs- und Sprechanlagen sowie Schienen. „Ein Auto muss nicht mehr in drei Teile zerlegt werden, um es einzuschmuggeln, es passt nun auch so durch.“

Mit diesem Tunnelsystem hätten sich die Islamisten eine überaus große Einnahmequelle erschlossen und ein blühendes Geschäftsmodell entwickelt, das vor allem Hamas-Funktionären und -Mitgliedern zugutekomme. Auf diese Weise, so Dachs weiter, profitiere die Hamas sogar von der Blockade des Gazastreifens. Die Zerstörung zahlreicher Schmuggeltunnel durch Ägypten habe allerdings für empfindliche Einbußen gesorgt und die Waffenzufuhr erheblich erschwert.

Zugrunde gehen müsste im Gazastreifen dennoch niemand, denn die israelische Koordinierungsstelle für Regierungsaktivitäten in den umstrittenen Gebieten (Cogat) sorgt dafür, dass täglich wichtige Güter dorthin geliefert werden. Allein im Jahr 2015 wurden aus Israel 139.364 Lkw-Ladungen mit Lebensmitteln, Baumaterial, Medikamenten und anderem Gut nach Gaza gebracht – eine Steigerung um 120 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wenn es vielen Bewohnern des Gazastreifens dennoch nicht gut geht, liegt das nicht am jüdischen Staat, sondern einzig an denjenigen, die über dieses Gebiet die Herrschaft ausüben – an der Hamas nämlich, die lieber Terrortunnel baut und bereibt, als die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Zuerst erschienen auf der Seite http://www.mena-watch.com 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thomas Bonin / 17.05.2016

Genau deshalb bündelt Israel seine Ressourcen. Hier ein Zwischenstand: Israelische Hi-Tech-Spezialisten haben mittlerweile ein hoch effektives Erkennungssystem zum Aufspüren derartiger Tunnelsysteme entwickelt. Anhand von Betriebserprobungen konnten erstmals exakte Positionen über Tiefe, Verlauf und zeitnahe Aktivitäten nachgewiesen werden: auf diese Weise identifizierte neulich die IDF einen 2 km langen, mit Beton ausgekleideten, Tunnel. Mitfinanziert wurde das kostspielige wie hoch komplexe System von den USA (auch, weil man sich von dort verwertbare Erkenntnisse zum Schutz der eigenen West-Grenze gegen illegale Aktivitäten [Drogen-, Menschen-, Waffenschmuggel] verspricht). Neben laufenden Updates steht die schrittweise Einführung innerhalb der kommenden Jahre auf dem Programm. Komplettiert wird das Projekt per Installation unterirdischer Sperranlagen in Kombination mit Detektoren in der Luft (Ballons) inklusive Datenübertragung zu Feuerleitstellen. Beide Teil-Projekte gelten als “state-of-the-art” - sehr zum Missfallen von Hamas (und garantiert so manch ihrer “Versteher” hierzulande). Quellen: israel21c.org und jns.org

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alex Feuerherdt / 11.10.2019 / 10:00 / 15

Grünes Geld für Terror und Antisemitismus?

Israelische Sicherheitskräfte haben den mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für den Mord an Rina Shnerb festgenommen. Der Palästinenser Samer Mina Salim Arbid ist dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet…/ mehr

Alex Feuerherdt / 12.08.2017 / 11:09 / 4

Gipfelsause der Despoten mit ihren nützlichen Idioten

Wer noch Tage nach der Iranreise der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini deren Namen und den jenes Landes, dessen Präsidenten sie ihre Aufwartung machte, bei Google eingab,…/ mehr

Alex Feuerherdt / 03.08.2017 / 15:06 / 5

Zur Behandlung in die Obhut des Bösen

Saeb Erekat geht es nicht gut, und das ist noch sehr vorsichtig formuliert. Der Fatah-Politiker, einer europäischen Öffentlichkeit vor allem als Chefunterhändler in israelisch-palästinensischen Verhandlungen…/ mehr

Alex Feuerherdt / 22.07.2017 / 13:34 / 4

Zehn Jahre Hamas in Gaza: Elend, Diktatur, Terror, Antisemitismus

Von Alex Feuerherdt. Ein wesentliches Merkmal der Nahostberichterstattung ist es, dass Gewalt gegen Palästinenser, die nicht dem jüdischen Staat zugeschrieben werden kann, auf vergleichsweise geringes…/ mehr

Alex Feuerherdt / 24.05.2017 / 09:45 / 2

Warum Israels Siedlungen nicht das Problem sind

Das Europäische Parlament hat vor wenigen Tagen wieder einmal Israel verurteilt, nämlich für dessen Siedlungspolitik im Westjordanland. Es ist längst ein Ritual, das in unregelmäßigen Abständen…/ mehr

Alex Feuerherdt / 28.04.2017 / 17:30 / 6

Pax Christi: In Gottes Namen gegen Israel

Wer in Essen eine Ausstellung präsentieren möchte, darf sich gewiss glücklich schätzen, wenn er es in der zentral gelegenen, altehrwürdigen und imposanten Münsterkirche tun kann.…/ mehr

Alex Feuerherdt / 02.03.2017 / 11:00 / 5

Das ZDF und seine arabischen Idole

Wenn es eine Unterhaltungssendung, die vornehmlich in einem anderen Erdteil ausgestrahlt wird, in die öffentlich-rechtlichen deutschen Nachrichten schafft, wird es dafür zweifellos gute Gründe geben.…/ mehr

Alex Feuerherdt / 06.02.2017 / 10:19 / 0

Die Vergiftung palästinensischer Kinder

Ghanem Naim Ghoneim macht aus seiner Sympathie für Adolf Hitler keinen Hehl. Auf seiner Facebook-Seite hat der Biologielehrer aus dem Libanon im Juni 2014 ein…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com