Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 01.03.2007 / 16:48 / 0 / Seite ausdrucken

Heuschrecken in Großbritannien

Wenn es nach drei Jahren, die ich mittlerweile in London gelebt habe, eine Erkenntnis gibt, die ich in dieser Zeit gewonnen habe, dann ist es diese: Briten und Deutsche sind sich viel ähnlicher als die Deutschen glauben und die Briten wahrhaben möchten. Die Vorurteile sind ja eigentlich ziemlich klar verteilt: Die Deutschen gelten als staatsgläubig und marktfeindlich, die Briten hingegen als freiheitsliebend und kapitalistisch (“a nation of shopkeepers”, wie Adam Smith es einmal formuliert hat). In Wirklichkeit besteht jedoch kaum noch ein Unterschied zwischen beiden Nationen, und so kann man gerade erleben, dass die Heuschrecken-Empörung, mit der Franz Müntefering vor der letzten Bundestagswahl wie eine Plage über Deutschland hergefallen ist, nun auch das Vereinigte Königreich erreicht hat.

Die britischen Geistesverwandten Münteferings finden sich erwartungsgemäß auf der linken Seite des politischen Spektrums, also Gewerkschaften, Labour-Traditionalisten und natürlich die BBC. Das Wirtschaftsmagazin “The Business” widmet sich dem (Zitat) “neuen Klassenkampf der Linken” in der Titelgeschichte “The War on Wealth” der aktuellen Ausgabe:

Over the past few months, what started as isolated sniper fire has turned into an all-out assault. The class warriors are now better organised, with Britain’s union movement undergoing a surprising resurgence.

Last week, one newspaper decried “Barclays’ £7bn bank robbery”, showing a worrying confusion between profit and theft. There have been deeply misguided calls for a maximum wage to go alongside the minimum wage. One left-wing journalist went as far as to argue that a banker’s “bonus from Goldman Sachs, then, is almost literally another person’s killer”; others called for a new top tax rate of 50% for those on very high wages.

Perhaps most strikingly, the private equity funds which buy, improve and then re-sell businesses, one of the City’s great success stories of the past 10 years, are being disparaged as locusts and asset-strippers and have become the whipping boys of the current frenzy.

Jon Cruddas, Labour MP for Dagenham and candidate for his party’s deputy leadership, has backed calls by the unions for an end to tax breaks for private equity firms which, like all companies, can deduct interest payments from tax. Rising activity by private equity in Britain – such as the putative £11bn bid for J. Sainsbury, the supermarket group – is also being used by the Left to warn of faceless men in suits culling swathes of jobs and enriching themselves with fat bonuses.

Monday’s Newsnight, BBC TV’s flagship current affairs show, depicted private equity groups as highway robbers – criminals extorting cash at gunpoint, a new low in the BBC’s institutionalised leftism. Its allies in the GMB union pulled an equally stupid stunt on Buffini by parading a camel outside his south London church one Sunday in a none-too-subtle biblical reference.

Brendan Barber, leader of the Trades Union Congress (TUC), has attacked private equity firms as “amoral asset-strippers after a quick buck”. He defined the industry as “casino capitalists enjoying huge personal windfalls from deals at the same time as they gamble with other people’s futures.”

Und nun sollten deutsche Leser nicht denken, dass das Wirtschaftsmagazin mit seiner Darstellung der britischen Stimmungslage übertreibt. Bei einem Arbeitsessen mit einem bekannten Wirtschaftsmoderator aus dem BBC-Fernsehen wurde mir erzählt, wie allein die Bekanntgabe der Gewinne britischer Banken kürzlich dazu geführt habe, dass die BBC-Redaktion mit Emails und Faxen empörter Zuschauer überflutet wurde. “Extortion”, “Robbery”, “Obscene” und “Theft” waren die am häufigsten verwendeten Worte in diesen Zuschauerreaktionen. Gewinne zu erzielen und auf Märkten erfolgreich zu sein, ist somit für viele Briten zumindest moralisch fragwürdig, wenn nicht gar kriminell. Gegen die gegenwärtige Anti-Business-Stimmung auf der Insel wirkt Münteferings Heuschrecken-Vergleich geradezu feingeistig.

Dabei sollten sich die Briten glücklich schätzen, dass sie überhaupt einen so hoch entwickelten und international erfolgreichen Finanzdienstleistungssektor haben. Denn wenn man sich einmal die Londoner City und die Wolkenkratzer in den Londoner Docklands wegdenkt, was bliebe dann noch von der britischen Wirtschaft übrig? Ehrlich gesagt nicht mehr viel. Die überwiegend staatlich organisierten Bereiche Verkehr, Bildung und Gesundheit befinden sich in einem beklagenswerten Zustand, während die einst erfolgreiche britische Industrie kaum noch vorhanden ist. Die Qualität ihrer Produkte konnte spätestens seit den 1970er Jahren mit jener ihrer Wettbewerber nicht mehr mithalten, und im Gegensatz zu beispielsweise Frankreich wurde sie auch kaum staatlich unterstützt. Statt dessen fand man sich auf britischer Seite mit dem Niedergang des sekundären Sektors ab und setzte fortan voll und ganz auf Dienstleistungen ... und das sehr erfolgreich. Kaum eine andere Wirtschaft kann von sich behaupten, den Übergang in die Postmoderne so konsequent vollzogen zu haben wie jene des Vereinigten Königreichs.

Statt nun aber darauf stolz zu sein, dass man heute einen Sektor vorzuweisen hat, in dem man höchst wettbewerbsfähig ist - so wettbewerbsfähig gar, dass der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg kürzlich davor warnte, die Rolle des Weltfinanzzentrums an London zu verlieren - entdecken weite Teile der britischen Gesellschaft den Klassenkampf wieder. In einer Umfrage des Sunday Telegraph sagten kürzlich fast drei Viertel der Befragten, dass sie die Gehälter, die in der City gezahlt werden, für “exzessiv” halten.

Dabei sind die positiven wirtschaftlichen Effekte beispielsweise der “Private Equity”-Gesellschaften nicht zu übersehen. In der Times war heute etwa zu lesen:

It is not good enough merely to quote statistics about the broadly positive effects of private equity deals on profits, productivity and even jobs — impressive though these are. The most extensive study of what happens when private equity companies take over businesses has been conducted by the Centre for Private Equity Research at Nottingham University. The research shows not only that investors in these deals over ten years on average made profits 22 per cent above the market index, even after paying the seemingly exorbitant fees of the merchant bankers and lawyers. More surprisingly it shows that employment, after dipping by an average of 5 per cent in the first year after a buyout, rose by 21 per cent after four years; also that productivity almost doubled in this period, that product innovation increased and that companies showed evidence of more entrepreneurship. Most surprisingly of all, the Nottingham study — financed in part by City institutions — “found higher levels of employment, employee empowerment, and wages” after these deals.

Und in einem Gastkommentar in “The Business” (leider nicht online) schreibt Corin Taylor von der britischen Taxpayers’ Alliance:

Over the last five years private equity-backed companies increased their worldwide staff levels by an average of 9% per annum, compared with annual worldwide staff grwoth of 1% for FTSE 100 firms and 2% for FTSE Mid-250 companies, according to the British Venture Capitalist Association (BVCA). No fewer than 73% of private equity-backed companies reported their growth to be organic rather than by acquisition.

Private equity is undoubtedly good for the UK economy. Over the last five years companies backed by private equity increased their sales by 9% per annum, compared with annual growth of 7% for FTSE 100 companies and 5% for FTSE Mid-250 firms. At the same time exports rose by 6% per annum, compared with a national grwoth rate of 2%, and investment rose by 18% each year while growing at just 1% per annum nationally. This has of course provided a boost to the Treasury’s coffers - last year the UK’s 1,300 private equity-backed businesses paid taxes totalling £26bn, the BVCA figures show.

Aber was stören solche Fakten schon klassenkämpfende Gewerkschafter, Labour-Politiker und BBC-Reporter?

Als sich die britische Wirtschaft vor über zwei Jahrzehnten anschickte, aus der Not eines erschreckend schwachen industriellen Sektors die Tugend der Konzentration auf den Dienstleistungssektor zu machen, war kaum zu erwarten, wie gravierend die Auswirkungen sein würden. Und leider, so sollte man hinzufügen, hat der britische Staat mit der dynamischen Modernisierung dieses Teils der britischen Wirtschaft auch nicht annährend mithalten können. Nun aber die erfolgreiche Entwicklung des Londoner Finanzmarktes mit dem Versagen des Staates in anderen Bereichen in Verbindung zu bringen und daraus klassenkämpferische Parolen herzuleiten, grenzt an die Anleitung zum wirtschaftlichen Selbstmord.

Vielleicht gibt es zwischen Deutschland und Großbritannien doch noch einen Unterschied. Münteferings Äußerungen über die Invasion der Heuschrecken des Finanzmarktes mögen zwar kein besonderer Ausweis ökonomischer Kompetenz gewesen sein, aber sie haben letztlich für Deutschland keinen größeren bleibenden Schaden angerichtet. So genau wird die deutsche Innenpolitik von britischen und amerikanischen Investoren dann auch nicht verfolgt - “Who the ... is Muntefering?”. Die jetzige Kampagne in Großbritannien gegen den einzigen wirklich erfolgreichen Sektor der eigenen Wirtschaft birgt da schon ein ganz anderes Gefahrenpotential. Eine Stagnation oder gar ein Niedergang der City würde aus dem zur Zeit noch vergleichsweise prosperierenden Großbritannien eine kleine, unbedeutende und unmoderne Insel im Nordatlantik machen, oder wie es “The Business” ausdrückt:

It is no exaggeration to call the City Britain’s only real world-class economic asset and the Treasury’s ultimate paymaster. Without it, Britain would soon drift into irrelevance, not only when it comes to business and commerce but also in culture, the arts, music, cuisine and just about everything else.

Aber vielleicht ist es ja genau das, was die vor dem Sprung auf die Barrikaden stehende Linke eigentlich will?

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