Ja, sicher, Civilcourage wird auf der Achse groß geschrieben, wenn es darum geht, mit dem Strom zu paddeln. Ich finde, diese Stolpersteingedenkidee, an der sich ein Geschäftsmann die goldene Nase verdient, geht noch nicht weit genug. Was ist mit den anderen Opfergruppen? Sinti und Roma? Bibelforscher? Wehrdienstverweigerer? Schwule? Einfache Kriminelle, die das Hitlerregime rücksichtslos eingesperrt hat. Feindsenderhörer? Die gab es doch auch. Deren mangelnde Wichtigkeit und deren geringerer Schmerz im Vergleich zu den unermeßlichen jüdischen Leiden, da sind doch noch viele Pflasterstellen frei. Und viele verschiedene Metallfarben. Die Straßen würden auch bunter. Nach den goldenen kämen silberne, bronzene, drachenschuppenrote, kobaltblaue oder grünspangrüne Pflastersteine in Frage. Es wäre wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Allüberall Pflasterer. Und die Jugend hätte den Tag über Beschäftigung. Jetzt putzt sie ja nur hingebungsvoll die güldenen Stolpersteine. Aber dann erst! Jedenfalls solange noch deutsche Jugend da ist. Und deren Ende ist abzusehen. Danach klärt sich das mit den Stolpersteinen von selbst. Hätte Herr Gedeon eigentlich wissen können, wenn er der Achse verdienstvollen Autor Sarrazin gelesen hätte. Das werden dann die Familienzusammengeführten schon regeln. Bin ich ganz sicher.
Zweiter Versuch: Mir fehlt im Artikel der Hinweis darauf, dass in München die Stolpersteine durch den Stadtrat verboten wurden und Frau Knobloch dies unterstützte. Mein erster Leserbrief hatte einen Link zu einem Spiegelartikel von 2015 enthalten, vielleicht wurde er deshalb nicht freigeschaltet?
Ich fühle mich, 1951 geboren, nicht schuldig an dem, was zwischen 1933 und 1945 geschah. Die Verbrechen der Nationalsozialisten sind abscheulich und das man daran erinnert, ist schon richtig. Wie bei vielen anderen Dingen, ist aber auch beim Erinnern das richtige Maß zu beachten. Schon in der DDR wurde dieses Maß oft überschritten, was letztlich kontraproduktiv war. Wir sollten mehr praktisch dafür tun, dass Juden nicht wieder veranlasst sind, Europa zu verlassen, wie es bereits häufig in Frankreich, aber auch schon bei uns der Fall ist. Noch mal zur Schuld. Vor einiger Zeit ein Gespräch Prof. Meuthen (AFD) contra Ska Keller (Grüne) auf Phönix. Keller begründete die Migrationspolitik u.a. mit “unserer Verantwortung” aus der Kolonialzeit. Findet man da Worte? Die 34 Jahre deutscher Kolonialzeit fanden vor 100 Jahre ihr Ende! Haben wir auch Schuld am Einfall der Germanen in das Römische Reich? Ja; Herr Draghi straft uns dafür mit seiner 0-Zinspolitik.
Was will uns der Künstler sagen? Dass die von einer Hand voll Verantwortlicher installierten Stolpersteine die einzig korrekte Möglichkeit sind, sich zu erinnern und einer erneuten “Schweinerei” vorzubeugen? Der Stolperstein als Gretchenfrage: wie hältst du es mit dem Geschichtsempfinden? Wer ihn ablehnt ist schon mindesten Halbnazi? Ganz ehrlich jetzt? So einfach funktioniert Ihre Welt, Herr Schneider? “Man kann durchaus vor einem Stolperstein stehen, ein Eis essen, Geschichte lernen und sich trotzdem nicht schuldig fühlen.” Ja, muss man aber nicht! Mir schmecken Schokolade und Zitrone auch ohne Stolpersteine! Und wann und wo ich Geschichte lerne, möchte ich auch gerne selbst entscheiden. Darüber bin ich weder der deutschen Volksgemeinschaft noch dem Autor Rechenschaft schuldig. Das wäre ja noch schöner! Nebenbei: Wenn man sich denn mit den Entgleisungen (und es sind nicht wenige) eines Herrn Gedeon befassen möchte, dann gibt es hierzu bessere Aufhänger als die Stolpersteine. Man mag zu Wolfgang Gedeon stehen wie man will – was nichts an der Tatsache ändert, dass er hier angegriffen wird, weil er „die falsche Meinung“ hat. So viel zum Thema Geschichtsempfinden. Toleranz ist immer die Toleranz gegen Andersdenkende. Wolfgang Gedeon kann man viel vorwerfen, aber ganz sicher plant er nicht gerade die nächste “Schweinerei”. Um das nächste Dritte Reich im Alleingang zu verhindern, muss sich unser Held schon einen richtigen Drachen suchen.
Es geht eben nicht darum, das Gedenken aus unserem Blickfeld zu verbannen, oder es gar ganz einzustellen. Es muss unser Anliegen sein, diesem Gedenken seine Scheinheiligkeit zu nehmen, eine ihm innewohnende etwaige Verlogenheit zu entlarven. Gedenken ja, wenn es echt ist. Trauer ja, wenn sie echt ist. Solidarität mit den Opfern ja, wenn diese echt ist. Das Gedenken ist gut und notwendig. Denn was passiert, wenn ich dazu nicht fähig bin, zeigt die Geschichte. Sich nicht missbrauchen oder fremdbestimmen zu lassen, sich nie seinen gesunden Menschenverstand ausreden zu lassen, sich der eigenen Fähigkeit Mitgefühl zu empfinden, bewusst zu sein, die Wahrheit zu ehren, das müsste die Lehre sein, die wir aus der Vergangenheit ziehen. Und es ist eben auch wahr, dass sehr sehr vielen Menschen größtmögliches Leid zugefügt wurde, direkt oder indirekt herbeigeführt von Menschen, die unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern waren, die so „normal“ wie wir alle waren. Anzuerkennen, dass wir zu dem Schlimmsten in der Lage sind, wenn wir auf die erwähnten Voraussetzungen verzichten, oder sie uns stehlen lassen, daran müssen wir erinnert werden, da müssen wir drüber stolpern. Wir neigen auch heute noch dazu, uns unsere Gefühle und unsere Gedanken vorschreiben zu lassen. Das zeigen die Ereignisse der letzten drei Jahre deutlich. Um so wichtiger ist, dass in dieser Situation diejenigen zusammenhalten, die eine Antenne für derartige Entwicklungen haben und die sich, auch mithilfe der Erinnerung, der möglichen Tragweite dieses Umstandes bewusst sind. Scheuen wir nicht die Wahrheit, auch wenn sie weh tut, scheuen wir uns nicht uns nackt zu machen, auch wenn es unangenehm ist, diese vermeintliche Schwäche wird unsere anschließende Stärke sein. Ja, sie ist ihre Vorbedingung.
“Man soll sich nicht schuldig fühlen. Aber verantwortlich.” Eben. Und dann sollte man sich nicht um einen Einzelspinner Gedeon kümmern, sondern z. B. darum, dass solche Stolpersteine, anstatt nur thematisiert zu werden einfach sang- und klanglos verschwinden, wenn eine bestimmte Klientel in der Nähe wohnt. Wo bitte war der Bericht dazu? Und wenn der Autor wirksam etwas in Verantwortung tun will, schlage ich als Thema nicht ein paar Trittsteine vor, sondern beispielsweise, dass die EU in Millionenhöhe Jahr für Jahr meine Steuergelder jenen zukommen lässt, die die aktuell lebenden Juden gerne in genau das Schicksal treiben würden, wovon die Stolpersteine berichten. Ansonsten entsteht der Eindruck: Dort meckern, wo der wenigste Gegenwind zu erwarten ist (gegen AfD geht immer), streichelt das eigene Wohlfühlen noch am besten!
Die meisten Denkmäler können vielleicht ein Gefühl für die Tragik, für das Unfaßbare vermitteln- mehr auch nicht. Man kann die Stolpersteine schlecht finden, weil darauf getreten und gespuckt wird. Ein Verständnis für die Zeit vermitteln mir diese Steine nicht. Das tut keines dieser Mahnmale und Gedenkstätten, die man mal gesehen haben sollte, aber ich wüßte jetzt nicht, warum man dies regelmäßig tun sollte. Wichtiger finde ich, daß Bildungseinrichtungen, Medien vermitteln, worum es eigentlich geht. Wenn “Du Jude!” auf dem Schulhof kursiert, dann wurden diese Steine umsonst eingelassen.
Gerade das unglückliche Schicksal der einzelnen Menschen verdeutlicht für mich den Mangel an Empathie, den ideologische Tiefflieger wie Herr Gedeon offenkundig haben.
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