Literatur von afrikanischen Schriftstellerinnen gibt es seit den 70er Jahren des vorherigen Jahrhunderts, jedoch fand sie in Deutschland lange nicht die Resonanz, die den Werken international zuteil wurde. Einzelne Romane wurden zwar übersetzt, aber hinterließen so gut wie keine Spuren. Der Grund war, dass die Förderung afrikanischer Literatur (und im besonderen von Frauen geschriebene Bücher) den herablassenden Geruch von Entwicklungshilfe hatten. Wer den Frauen einen Bonus einräumte und nicht die literarische Leistung würdigte, erwies ihnen keinen guten Dienst. So wurden auch gute Bücher, die das Unbehagen und die Unterdrückung der Frauen in den afrikanischen Gesellschaften artikulierten, lange nicht ernst genommen, obwohl sprachgewaltige Literatur darunter ist. Einige Romane brauchen keinen Vergleich mit europäischer, amerikanischer oder südamerikanischer Literatur zu scheuen.
Der manchmal bedauernswerten Wirklichkeit von Frauen in Afrika kann man sich literarisch nähern. Vier Bücher aus unterschiedlichen Gegenden Afrikas empfehle ich sehr: „Ein so langer Brief „ von Mariama Ba (Senegal), „Zwanzig Säcke Muschelgeld“ von Buchi Emecheta, „Blauer Hibiskus“ von Chimamanda Ngozi Adichie (beide Nigeria) und „Der Preis der Freiheit“ von Tsitsi Dangarembga (Simbabwe). Das Buch von Mariama Ba hat viel Aufmerksamkeit erregt, weil sich hier zum ersten Mal eine Frau aus einer polygamen Gesellschaft zu Wort meldete.
Alle genannten Bücher sind mit einem außergewöhnlichen Blick für die Nuancen des Lebens prägnant und sinnlich erzählt. Obwohl über tausende von Kilometern voneinander entfernt und in unterschiedlichen Traditionen und Lebensweisen aufgewachsen, schildern vier Frauen ähnliche Schicksale. Die Bücher sind mal witzig, mal melancholisch und ironisch geschrieben. Trotzdem sind sie immer optimistisch. Einige Bücher sind vergriffen, sind aber antiquarisch zu finden.
In den letzten Jahren haben sich Herablassung und Entwicklungshilfe-Geruch verflüchtigt. Ijoma Mangold, der Literatur-Chef der ZEIT, macht sich seit einigen Jahren sehr verdient um afrikanische Schriftstellerinnen. Die Journalisten und Buchautoren Peter Ripken („Die Literatur Schwarzafrikas“) und Holger Ehling haben mit wissenschaftlichen Beiträgen afrikanische Autorinnen auch bei uns besser bekannt gemacht. Der Schweizer Al Imfeld hat auf die vielen weiblichen und guten Schriftstellerinnen aus Afrika hingewiesen. Die große Ironie sei, dass „zwei großartige Schriftstellerinnen wie die (2017 verstorbene) Buchi Emecheta (London) und Marie Ndiaye (Frankreich) bereits zur britischen respektivew Französischen Literatur zählen“. Marie Ndiaye erhielt 2009 den renommierten Prix Goncourt für den Roman „Drei starke Frauen“.
Unermüdlich fördern der Hammer Verlag und die Buchreihe Afrika Wunderhorn seit 2010 systematisch zeitgenössische Literatur aus Afrika.
Buchempfehlungen
Buchi Emechta, eine der bedeutendsten nigerianischen Autorinnen, ist im Januar 2017 verstorben. Sie hat etwa 20 Gesellschaftsromane und Kinderbücher hinterlassen. In ihrem Roman „Kehinde“ beschreibt sie schnörkellos ohne Larmoyanz die Stellung des Mannes in der nigerianischen Gesellschaft. Indem sie über ein Leben in London und Afrika schreibt, hat sie offenbar Autobiografisches verarbeitet: Nach der Trennung von ihrem Mann studierte Emecheta in London Soziologie und begann zu schreiben. Ihre Bücher mit gesellschaftlich relevanten Anliegen erreichten im anglophonen Raum beachtliche Auflagen. In den Jahren 1972-1982 war sie Gastprofessorin in England, den USA und Nigeria.
Fatou Diome: Die senegalesische Erfolgsautorin (sie schaffte es mit ihrem ersten Roman in die französischen Bestsellerlisten) lebt in Straßburg und unterrichtet an der dortigen Universität Literaturwissenschaften. Ihr erster Roman „Le Ventre de l’Atlantique“ (2003), in der deutschen Übersetzung „Der Bauch des Ozeans“ (2004), handelt in bildreicher Sprache von der Sehnsucht der Senegalesen auszuwandern. Frankreich, das Land der ehemaligen Kolonialherren, ist immer noch das große Vorbild. Das Bild entsteht auch durch die wenigen heimgekehrten Nachbarn, die ihren Erfolg zur Schau stellen: ein Haus, Fernseher, Kühlschrank und vier Ehefrauen. Alles ist besser, schöner und größer in Frankreich. Sie erzählt aber auch von den gescheiterten Träumen der Auswanderer im vermeintlichen Schlaraffenland.
Chimamanda Ngozi Adichie: Die international gefeierte Nigerianerin (1977 geboren) ist der Star unter den afrikanischen zeitgenössischen Schriftstellerinnen. Ihre Bücher „Purple Hibiscus“ (2003); deutsch „Blauer Hibiskus“ (2007) und „Americanah“ (2013 bzw. deutsch 2014) sind klug, feministisch, selbstbewusst, ohne Aggressionen und zugleich amüsant. Der New York Times Book Review wählte „Americanah“ zu einem der besten zehn Romane des Jahres 2013. Von der BBC wurde der Roman 2015 zu den bedeutendsten Büchern des Jahrhunderts gewählt. Insgesamt wurde Adichies Werk in 37 Sprachen übertragen. Ihr Roman „Half of a yellow sun“ (2006), „Die Hälfte der Sonne“ (2007) erzählt die Geschichte einer Familie zu Zeiten des Biafra Kriegs der 1960er Jahre, der zu einer großen Hungersnot führte. Biafra existierte nur drei Jahre. Auf der Flagge strahlte eine aufgehende Sonne. Es war ein Bürgerkrieg einer gut ausgerüsteten nigerianischen Armee gegen eine unorganisierte und zum Teil zwangsrekrutierten Rebellentruppe.
Taiye Selasi hat nigerianisch-ghanaische Eltern, ist 1979 in London geboren und wuchs in den USA auf. Sie hat in Yale und Oxford studiert. In dem Essay „Bye-Bye Babar 2005“ prägte sie den Begriff „Afropolitans“, um kosmopolitische Afrikaner zu beschreiben, die nicht in Afrika leben, aber ihre afrikanischen Wurzeln nicht vergessen haben. Ihr Debutroman ist „Ghana must go“ (2013), deutsch „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“. Hubert Spiegel schrieb in der FAZ: „Eine beachtliche erzählerische Kraft und Selasis geschickter Umgang mit den exotischen Reizen afrikanischer Kultur machen diesen Roman zur spannenden Lektüre. Zugleich ist dieses bemerkenswerte Buch der Roman zum Essay, zu jenem Essay nämlich, mit dem die Autorin vor acht Jahren einige Berühmtheit erlangt hat. Er ist die erzählerische Probe aufs politische Exempel.“
Imbolo Mbue wurde 1982 in Limbé in Kamerun geboren. Sie lebt seit zehn Jahren in den USA. 2016 erschien in den USA ihr hochgelobtes Debüt „Behold the dreamers“ und 2017 deutsch „Das geträumte Land“. Für ihren Erstlingsroman hat sie eine Million Dollar Vorschuss bekommen. Sie beschreibt Amerika als Sehnsuchtsort für die Einwandererfamilie Jonga. Der ewige Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es ist ein eindrucksvolles Buch, das den Nerv der Zeit getroffen hat. Die „New York Times“ und die „Washington Post“ wählten 2016 das Buch zu einem der besten Bücher des Jahres.
NoViolet Bulawayo (Jahrgang 1981) ist eine simbabwische Schriftstellerin, die in den USA lebt. Der Deutschlandfunk nannte ihren Erstlingsroman „ein furioses Debüt“. „We need new names“ erschien 2013 in New York. (Deutsch „Wir brauchen neue Namen“ 2014.) Er erzählt die Geschichte von „Darling“, die als zehnjähriges Mädchen in Simbabwe und später als Jugendliche in den USA lebt. NoViolet Bulawayo war die erste Schwarzafrikanerin, die auf der Shortlist des Man Booker Prize, dem wichtigsten angelsächsischen Literaturpreis, stand.
Lola Shoneyin: „Das geheime Leben der Frauen des Baba Segi“ – in ihrem ersten Roman (2010 in Großbritannien, 2014 deutsch) erzählt die nigerianische Schriftstellerin humorvoll über die Unruhe, die eine gebildete Frau in den Haushalt des polygamen Patriarchen bringt. Claudia Kramatschek schrieb in Neuen Züricher: „Die Figuren sind mit ebenso viel Wärme wie psychologischer Kenntnis gezeichnet. Das gilt selbst für Baba Segi – einen überzeugten Polygamisten, der soeben seine vierte Frau geheiratet hat. Bolanle, so ihr Name, ist allerdings anders als seine bisherigen Frauen: Sie ist eine gebildete Akademikerin, und ihre Ankunft wird die bisherige friedliche Koexistenz in Baba Segis Haus spürbar aus dem Lot bringen.“ Lola Shengin (Jahrgang 1974) lebt in Abuja, Nigeria, wo sie Schauspiel und Englisch unterrichtet. In Lagos leitet sie ein Literaturfestival. Ihr Schwiegervater ist Wole Soyinka, der 1986 als erster Afrikaner den Nobelpreis für Literatur erhielt.
Schriftsteller sind Zeitzeugen
Vermutlich ist die Literatur der beste Weg, um den einzigartigen, widersprüchlichen und beeindruckenden Kontinent Afrika zu verstehen. Literatur fördert auf angenehme Weise interkulturelles Verständnis und Respekt vor anderen Kulturen. Als Diplomat habe ich mich vor jeder Versetzung mit der zeitgenössischen Literatur eines für mich neuen Landes auseinandergesetzt. Das möchte ich auch jedem Reisenden, Entwicklungshelfer oder eben Diplomaten empfehlen. Eine bessere Vorbereitung auf ein Land gibt es nicht. Wole Soyinka, Chinua Achebe, Ngugi wa Thiong’o, Sembène Ousmane oder Meja Mwangi gehören in die Reihe der Großen der Weltliteratur und sind den interessierten Lesern bekannt. Ich möchte Ihnen mit diesem Stück Appetit auf die weiblichen Stimmen der Literatur Afrikas machen. Diese Bücher sind eines der schönsten Mittel, Afrika mit den Augen der Schriftsteller zu sehen. Die Texte machen Spaß, vermitteln Wissen und unterhalten auf intelligente Weise. Gehen Sie selbst auf Entdeckungsreise.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.