Alexander Wendt / 15.07.2016 / 10:21 / Foto: Calebrw / 10 / Seite ausdrucken

Heiko Maas: vom Generalverdacht zur Generaleinschüchterung

Vor kurzem führte das Bundeskriminalamt zusammen mit 25 Polizeibehörden Razzien in ganz Deutschland gegen mutmaßliche Urheber sogenannter Facebook-Hasspostings durch. Darauf jubelte Spiegel Online, die Aktion sei „ein Warnschuss, eine Art erzieherische Maßnahme mit verschärften Mitteln“ gewesen. „Erzieherische Maßnahme“: das ist SED-Sprache trübsten Wassers. Eine „erzieherische Maßnahme“ war die Stasi-„Aktion Ungeziefer“, mit der 1952 über Nacht mehr als zehntausend politisch Unzuverlässige aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere zwangsumgesiedelt wurden. Erzieherische Maßnahme, das war der so genannte „Entengang“ in Jugendwerkhöfen. Die kollektive Rekrutenbestrafung bei der NVA. Die Versetzung politisch Aufsässiger in die tiefste Provinz.

Immer ging es darum, einen oder eine Gruppe zu demütigen, um ein großes Kollektiv zu disziplinieren. Oder, in der Sprache eines Staates, der sich für den Vormund seiner Bürger hält, eben zu erziehen. Dass ein Redakteur des  Sturmgeschützes der Postdemokratie honneckert wie weiland ein Kommentator des „Neuen Deutschland“, soll hier nicht das eigentliche Thema sein. Auch nicht, dass sich die Razzia offenbar nur gegen Rechtsextreme richtete und nicht auch gegen diejenigen, die Privatadressen von AfD-Mitgliedern ins Netz stellen und dort zu „Hausbesuchen“ aufrufen, die erwägen, das Land habe doch endlich Ruhe, wenn man die 2000 Delegierten des letzten AfD-Parteitags einfach umbringe, oder die bei Indymedia zum Bürgerkrieg in Berlin aufrufen.

Nein, es soll hier darum gehen, dass Bundesjustizminister Heiko Maas offenkundig kaum anders denkt als der Spiegel-Online-Sturmschütze. „Das entschlossene Vorgehen der Ermittlungsbehörden sollte jedem zu denken geben, bevor er bei Facebook in die Tasten haut“, erklärte Maas nach der Polizeiaktion. Damit überschreitet er eine rote Linie. Würde ein Staatsvertreter die Verhaftung eines Ladendiebs ernsthaft mit den Worten kommentieren: „Das sollte jedem zu denken geben, der künftig einen Supermarkt betritt“? Oder eine der seltenen Verurteilung wegen Volksverhetzung (Paragraph 130 StGB) mit dem Hinweis garnieren: „Das sollte sich jeder zu Gemüte führen, bevor er den Mund aufmacht“?

Eine derartige Drohsprache war bislang despotischen Regimen vorbehalten

Maas, der noch nie ein Problem damit hatte, ihm mißliebige Gruppen generalzuverdächtigen („Schande für Deutschland“), greift jetzt zur Generaldrohung. Eine Durchsuchung ist allerdings keine Strafe, sondern eine strafprozessuale Maßnahme zum Auffinden von vermuteten (belastenden und entlastenden) Beweismitteln. Selbstverständlich haben die von Durchsuchungen betroffenen Beschuldigten bis zu ihrer Verurteilung als unschuldig zu gelten. Generalpräventiv sind nur Urteile im Erwachsenenstrafrecht. Eine Durchsuchung ist keinesfalls etwas, was anderen, die gar nicht beschuldigt sind,„zu denken“ geben soll. Eine derartige Drohsprache hätten selbst Kritiker der Bundesregierung bis gestern höchstens aus dem Mund des türkischen oder weißrussischen Justizministers für möglich gehalten. In einer Demokratie muss ein Justizminister gehen, der so zu seinen Bürgern redet. Notfalls durch Stimmentzug für seine Partei bei den nächsten Bundestagswahlen.

Was Maas wünscht, ist offensichtlich: er möchte die wenigen Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und anderen Delikten, die im Netz begangen werden, zur Ausweitung seiner Kampfzone benutzen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung unter der schon in der DDR bewährten Anetta Kahane, die nach Maas’ Willen Facebook „berät“, nimmt diese Ausweitung schon vorweg. Da wird etwa die Seite von Vera Lengsfeld wegen eines kritischen Beitrags über Merkel gesperrt (ohne Begründung), und erst nach mehrfacher Beschwerde die Sperrung wieder aufgehoben (ebenfalls ohne Kommentar). Oder der linke Publizist Micky Beisherz von Facebook abgeklemmt, weil er offenbar die falschen Triggerworte benutzte.

Mit seiner Rundumdrohung suggeriert Maas, dass Polizei und Staatsanwaltschaften bisher nur einen winzigen Teil der „Hetze“ im Netz tatsächlich verfolgen, die Verfolgung aber auf seinen Wink jederzeit auf viele ausdehnen könnten, die seiner Ermahnung nicht folgen. Dabei zeigen die bisherigen Ermittlungszahlen, dass echte Gesetzesverstöße durch Äußerungen im Netz extrem selten vorkommen. In Nordrhein-Westfalen stellte eine eigene zentrale Ermittlungsgruppe der Polizei zwischen Januar und April 2016 192 mutmaßliche Straftaten fest; als Verdächtige wurden 78 Personen identifiziert. Über die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen ist nichts bekannt. Angesichts der Millionen Facebookpostings allein in NRW wird deutlich: tatsächliche Straftaten im Netz bewegen sich im Verhältnis zu den Userzahlen weit unter der Promillegrenze. Kritik, selbst bösartige, ist meist nicht strafbar. Wer meint, das ignorieren und allen, „die bei Facebook in die Tasten hauen“, mit dem Staatsknüppel drohen zu müssen, gegen den hilft keine Diskussion. Sondern nur die Entfernung aus einem Amt, für das er nie taugte.

Das ist auch eine Aufgabe für diejenigen unter den Journalisten, die wissen, was ein Rechtsstaat ist. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob jemand links, in der Mitte oder im konservativen Lagen steht. Heribert Prantl von der Süddeutschen, Jens Jessen von der Zeit, Deniz Yücel von der Welt: Sie sind auch gemeint.

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Thomas Bode / 16.07.2016

Maas ist eine Schande für den Rechtsstaat und die Demokratie. 2015 habe ich noch gegrübelt wieso um Himmels Willen, ausgerechnet der der deutsche Justizminister, permanent über die Medien in die Öffentlichkeit penetriert dass “Flüchtlinge” grundsätzlich keine Terroristen sein können.  Was jedem der seine Sinne beisammen hat sofort als absurd erkennbar war. Bis mir klar wurde dass es gar nicht um Fakten ging, sondern um die Verkündigung von Sprach- und Denkregelungen. man darf so etwas nicht denken und erst recht nicht sagen. Es ist zwar nun richtig dass Neonazis schlimme Finger sind, die man scharf unter Beobachtung stellen muss. Aber es gab bisher keinen einzigen Fall seit der Invasion (Zitat Papst Franziskus) von 2015 dass einer der sogenannten Flüchtlinge durch einen Neonazi zu Tode oder auch nur zu größerem Schaden kam. Das dürfte weniger sein als selbst statistisch zu erwarten wäre. Etliche, und auch etliche Biodeutsche, allerdings durch die Immigranten selbst. Berühmter Fall Khaled aus Dresden. Nur um mal die Relationen richtig zu rücken. Wenn Linksextreme, die quasi an der Seite von Mass “gegen Rechts” kämpfen, bei einer einzigen Demo 123 Polizisten, von ihnen “Schweine” genannt, verletzen, hat das offenbar keine Auswirkungen. Ebenso wenig wenn mitten unter uns, und von uns alimentiert, sich radikalmuslimische Feinde ausbreiten. Aber diese Blindheit gegenüber links und muslimisch, die Besessenheit von nur de rechten Gefahr ist ja bekannt. Die Blindheit der Justizia scheint Maas komplett misszuverstehen.

Jens M. Gutmann / 15.07.2016

Hasssprech ist Ausdruck schlechter Erziehung, peinlich und ggf. kann man dagegen wegen Beledigung, Übler Nachrede, Verleumdung etc. strafrechtlich vorgehen. Aber: Schlechte Rede im Netz stellt noch längst keine abgeschlossene Handlung dar. In den meisten Fällen reicht es völlig aus, sie schlicht ins Leere laufen zu lassen. Auch insofern ist die Maas’sche Wortschöpfung “Hasskriminalität” ein Frevel an der deutschen Sprache und für mich das Unwort des Jahres. Angesichts von terroristischer Bedrohung und einer Bundesregierung, die im Zusammenhang mit Merkels unprofessioneller “Willkommenspolitik” bestehende Gesetze, die Verfassung und EU-Verträge missachtet hat - DAS sollte einen Justizminister interessieren - widmet Herr Maas seinen Aktionismus lieber der virtuellen Welt. Er unterscheidet dabei sehr wohl zwischen ihm politisch mehr oder weniger unangenehmer Rede und zielt dabei auf die Gesinnung von Menschen. Orwells “1984” lässt grüßen! Und was ist mit den wirklichen Verbrechern im Netz, z. B. den Salafisten, die über soziale Netzwerke schwache Persönlichkeiten rekrutieren, als Vorstufe zu späteren Terrortaten in Syrien und anderswo? Ein Detail in diesem Zusammenhang: Der berüchtigteHardcore-Islamprediger Pierre Vogel hat auf Facebook einen blauen Haken - das Symbol, das einen authentifizierten, “seriösen” Account kennzeichnet. Interessiert das den Bundesjustizminister? Offenbar nicht im Geringsten.

Adriana / 15.07.2016

Facebook ist eine private Webseite, ich frage mich wie kann sich jemand strafbar machen wenn er oder sie eine persönliche Meinung auf einer rein privaten Webseite postet. Auch Google ist ein Privatunternehmen. Bei einem Privatunternehmen gilt das Hausrecht des Unternehmens nicht aber das öffentliche Recht. Ein Nutzer eines Privatunternehmen kann nur rechtlich belangt werden wenn das Privatunternehmen die Daten des Nutzers auf gerichtlichen Verlangen freigibt. Anscheinend hat Maas die juristischen Voraussetzungen missachtet und Rechtsbeugung betrieben. Facebook ist nicht öffentlich sondern privat. Herr Maas ist juristisch inkompetent und missachtet das Grundgesetz. Er gehört aus dem Amt entfernt.

piasko / 15.07.2016

Maas ist ab 2017 politische Geschichte!

Martin Duttlinger / 15.07.2016

Habe mir heute mittag das ARD Mittagsmagazin angesehen wo es auch einen Beitrag zum Thema Hasskommentare gab. Vor Beginn habe ich noch mit mir selbst gewettet, dass sicherlich nur gegen den Hass von rechts polemisiert wird. Und natürlich habe ich gewonnen. Natürlich durfte eine grüne Parlamentarierin und eine Journalistin, welche sich für Flüchtlinge engagiert, über ihre Erlebnisse berichten. Klare Botschaft des Beitrages: ....Hass ist rechts….und nur Linke leiden… oder Migranten usw… In besagtem Beitrag hätte man doch zumindest mit einem Nebensatz erwähnen können, dass es auch Hasskommentare von Linken gibt… siehe Berichterstattung “Rigaer94”.... und ebenfalls Hasskommentare durch Islamisten gegen die westliche Welt und unsere verdorbene Gesellschaft. Nichts, njente, nada…. Warum wurden nicht mal die Damen und Herren der AfD gefragt, welche Art von Mails diese bekommen. Warum fragt man nicht auch mal Jäger, Verbindungsstudenten, Metzger, Tierzüchter usw… Es ist ja auch erwiesen das es bei Linksterroristen oder Islamisten nicht nur bei Hasskommentaren bleibt sondern zur Tat geschritten wird. Nach Nizza wird wieder die Tricolore im Facebook Bild hinterlegt, Sprüche geklopft, Betroffenheit geheuchelt und morgen geht der Kampf gegen Rechts weiter. Unsere Medien und Politiker sollten sich nicht wundern, wenn immer mehr Menschen sich von ihnen abwenden und deren Berichterstattung ablehnt. Und dann dieser besserwisserische Dünkel und die moralische Überheblichkeit…. was in deutschen Medien momentan stattfindet ist nur noch billige, tendenziöse Volkserziehung. Die DDR lässt grüßen. Habe folgende Fragen an die Redation gestellt: Warum wird über Hasskommentare von anderer als von rechter Seite nicht berichtet….auch wenn diese nachweislich existieren? Was wollen Sie erreichen? Was denken Sie sich dabei? Bitte helfen Sie mir, Sie zu verstehen. Bin mal gespannt, ob ich eine Antwort bekomme.

Franz / 15.07.2016

Maas, Prantl, Jessen, Yücel & Co sind keine Demokraten, es sind Volksdemokraten, das ist ein feiner Unterschied. Die DDR war eine Volksdemokratie und was man dort unter Demokratie verstand, war uns allen ein Graus.

Karin Bußler / 15.07.2016

Sehr geehrter Herr Wendt, vielen Dank für Ihren mutigen Artikel. Aus leidvollen Erfahrungen mit dem Stasisystem kann ich Ihnen versichern, dass wir mittlerweile nicht nur Ansätze dieses Systems haben, sondern vor der Vollendung stehen. Mit einem Unterschied, die technischen Möglichkeiten bieten für Protagonisten der Bespitzelung und Denunzation beste Bedingungen. Ich habe aber die große Hoffnung, dass dieses abartige politische Gebilde genau so scheitern wird, wie in der DDR. Besten Dank! Mit freundlichem Gruß K. Bußler

Günter Lüdeking / 15.07.2016

Herr Wendt, als Exwähler der Sozialdemokraten verstehe ich diese Zeit nicht mehr.Wo geht die Reise hin? Die SPD ist zu einer verdorbenen politischen Einheitspartei unter Merkel verkommen. Gabriel,Steinmeier,Schröder,Andere und Maas, für die SPD der Niedergang .....das wars! Danke für für Ihren Bericht und Ihren Mut, bitte weitermachen.

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