Gastautor / 20.08.2016 / 06:00 / Foto: Tim Maxeiner / 22 / Seite ausdrucken

Happy 70, Henryk!

Von Nathan Gelbart.

Lieber Henryk,

zu Deinem 70. Geburtstag hat man mich gebeten,  an unsere "schönsten" Prozesse zu erinnern.

Vor Gericht und auf hoher See, heißt es oft, sei man in Gottes Hand. Das ist natürlich Quatsch, wie Du weißt. Vor Gericht braucht man mehr als göttlichen Beistand: Klar, ein guter Anwalt ist wichtig. Aber vor allem braucht dieser einen guten und selbst mitdenkenden Mandanten. Und wenn man wie Du keine Auseinandersetzung scheut: einen sehr guten Mandanten.

Mit stolzer Bescheidenheit bemerkt, gingen wir gemeinsam mit der Kollegin Katy Ritzmann zumeist als Sieger vom Platz. Es begann mit dem »israelkritischen« Friedensrentner aus Westfalen und ging mit dem semitischen Bruchpiloten aus Frankfurt-Süd weiter. Auch die strafrechtliche Meinungsverschiedenheit mit den bayerischen Filialen der »Erben Freislers« konnten wir bis zum höchsten bayerischen Spruchkörper erfolgreich beenden. Du hattest mit Blick auf die deutsche Justiz gesagt: »Es bleibt der Hautgout, dass die Erben der Firma Freisler entscheiden, was antisemitisch ist und was nicht.«
 

Weil sich Eberhard Kramer, der Präsident des Frankfurter Landgerichts, dadurch in die Nähe des Volksgerichtshofs gerückt sah, stellte er wegen Beleidigung Strafantrag gegen Dich und erwirkte einen Strafbefehl über 16.000 Euro. Rückt Dein Satz ein Gericht wirklich in die Nähe des Volksgerichtshofs unter Präsident Roland Freisler, den die Nationalsozialisten einsetzten? Nein, entschied das Amtsgericht München und sprach Dich vom Vorwurf der Beleidigung frei. Die Äußerung sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Team Broder 1, die Erben der Firma Freisler 0!

Rechtsgeschichte durften wir auch mit Deinem nachfolgenden Statement aus einer E-Mail an die damalige Intendantin des Westdeutschen Rundfunks (WDR) schreiben. Zuvor war »die Tochter« in der WDR-Radiosendung Hallo Ü-Wagen zum Thema »Ganz schön kompliziert: Reden über Israel« zu Gast.

»Jeder Kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut«, schriebst Du damals der Intendantin Monika Piel, »würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau Evelyn Hecht-Galinski eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizionistische Gedankenlosigkeiten, die zurzeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben.«

Die diplomierte »Israelkritikerin« mit bekanntem Vater fühlte sich zutiefst gekränkt und klagte. Beim Bundesverfassungsgericht war dann Schluss – das im Jahr 2010 zugunsten der Meinungsfreiheit erfolgreich erstrittene Urteil beim Oberlandesgericht Köln hielt. Bis heute darfst Du behaupten, dass Evelyn Hecht-Galinski antisemitische Äußerungen von sich gibt.

Die juristischen Erfolge haben weniger mit anwaltlicher Exzellenz als schlichtweg mit Deiner schriftstellerischen und publizistischen Genialität zu tun. Aktuell gibt es niemanden, der Dir das Wasser reichen kann. Komplexe Zusammenhänge zwischen tagesaktuellem Geschehen und historischen Parallelen legt keiner so nachhaltig und eindrucksvoll dar wie Du. Die bereits von Sartre längst belegte These der Identität zwischen Antisemitismus und pathologischem Hass auf Israel knallst Du auch dem letzten widerwillig zuhörenden »israelkritischen« Intellektuellen sprichwörtlich aufs Tablett.

Die vor allem in diesem Land nachhaltig gepflegte Kultur der Selbstbelügung, wonach links von der NPD Judenhass unmöglich sei, hast Du besonders mit Deinem Bestseller Der ewige Antisemit eindrucksvoll offengelegt. Selbiges gilt für die Annahme, Juden können keine Antisemiten und Polizisten keine Bankräuber sein. Deinen konsequenten Austritt aus der Partei Die Grünen und Deine klaren Positionen zum linken Judenhass – von Entebbe 1976 über Hans-Christian Ströbele bis hin zu Inge Höger und Annette Groth – nehmen Dir nicht zuletzt deshalb viele Linke heute noch übel.

Einige von ihnen, wie die Grüne Claudia Roth, sind sich sogar nicht zu schade dafür, den Diskurs mit Dir in TV-Shows durch Ausladungen zu verhindern. Überhaupt Claudia Roth. Treffender als Du Anfang des Jahres hat sie meines Wissens noch keiner beschrieben: »Wenn man sie auf das reduziert, was sie ist – eine Wichtigtuerin, die sich von der öffentlichen Hand alimentieren lässt –, wird sie böse.«

Henryk, Du bist eine in der europäischen Medienlandschaft nicht wegzudenkende Stimme. Was nicht bedeutet, dass sie gerne gehört wird. Die Erkenntnis, dass sich die in Deinen Werken wie Hurra, wir kapitulieren! und Die letzten Tage Europas vorausgesagten Szenarien detailgenau als wahr erweisen, ist schlichtweg erschreckend. Doch nur allzu viele Besserwisser werfen Dir Polarisierung und Rechthaberei vor. Ist es indes nicht der beste Beweis eines Autors, erfolgreich zu polarisieren und nachweislich Hunderttausende Menschen zum Nachdenken zu bewegen?

Der ständig im gehorsamen Chor repetierte Aufruf zur konsequenten Fortsetzung eines – offenkundig falsch, aber scheinbar »alternativlos« – eingeschlagenen Weges ist der Dir dazu übel aufstoßende Gegenpol. Das aus Deiner Sicht im Zuge des Programms »Wir schaffen das!« angerichtete Chaos beschreibst Du wie folgt: »Es hört sich an, als würde der Kapitän der Titanic kurz nach dem Zusammenstoß mit dem Eisberg rufen: ›Mein Kurs war richtig! Der Eisberg hat nicht aufgepasst!‹«

Nein, Henryk. Dein Problem ist nicht, dass Du rechthaberisch bist. Dein Problem ist, dass Du recht hast. Und das bitte noch sehr lange. Happy 70, mein Freund!

Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin und Vorsitzender des Keren Hayesod Deutschland.

Dieser Text erschien zuerst in der Jüdischen Allgemeine hier

Foto: Tim Maxeiner

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karl Ammann / 20.08.2016

Alles Gute zum 70. Mögen Sie noch viele Jahre Ihren Esprit in schwärende Wunden streuen. Mit vorzüglicher Hochachtung K. Ammann

Sabine Gabriel / 20.08.2016

Lieber Henryk ! Wir, mein Mann und ich, wünschen Ihnen ebenfalls alles Gute zum Geburtstag ! Bleiben Sie weiterhin so voller Energie, provokant, polarisierend , mutig, unbequem und bei so wachem unabhängigem Verstand, wie gewohnt. Es macht uns immer wieder Freude Ihre Artikel zu lesen und Ihre Diskussionsbeiträge im Fernsehen zu hören und zu sehen. Ihre ironische Art, mit sehr guten Vergleichen, die die Dinge unmissverständlich beim Namen nennen.  Das hat ja heute leider Seltenheitswert, in unserer medialen Verarmung. Hirngedrosselte Funktionseinheiten wiederholen ständig die gängigen Ideologien, die sich in nur wenigen Kategorien zusammenfassen lassen. Wie arm und schwarz/weiss ist unsere Welt geworden, wieviel Reichtum und Farbe und Schattierung bringen Sie in diesen Einheitsbrei. Ich bewundere Ihren Mut. Aber, dass ist auch das Gute am Alter. Man kann wissen worauf es ankommt und man gibt sich ggf. nicht mehr mit Zugeständnissen zufrieden. Das ist auch das Wunderbare am Judentum: es gibt so viele Meinungen, soviel Unzufriedenheit und Zweifel, soviel Freiheit im Denken und Forschen, dass weder die Welt, noch man selbst jemals fertig.

Barbara Müller / 20.08.2016

Ich kann mich dem Geburtstagsgruß von Herr Stolla-Besta nur anschließen. Bitte weiter so !!!

Michael Murmurachi / 20.08.2016

Sehr geehrter Herr Broder, zu Ihrem Ehrentag wünsche ich Ihnen alles Gute: vor allem körperliche und geistige Fitness, damit Sie auch in Zukunft Intellekt in die sonst oft trostlose Presselandschaft bringen und die Träumer und Spinner im öffentlichen Leben einfach als das entlarven, was sie wirklich sind. Mit Ihrer nachfolgenden Aussage zur aktuellen Politik haben Sie das unverwechselbar getan: „Es hört sich an, als würde der Kapitän der Titanic kurz nach dem Zusammenstoß mit dem Eisberg rufen: Mein Kurs war richtig! Der Eisberg hat nicht aufgepasst!“

M. Arnold / 20.08.2016

Lieber Herr Broder, die besten Wünsche zu Ihrem Geburtstag und weiterhin viel Spaß am Journalismus. Sie sind außerdem ein Beweis dafür, dass Arbeiten bis 70 überhaupt kein Problem darstellt. Ich hoffe, dass dies natürlich niemandem außer mir auffällt, nicht dass einige Menschen auch noch auf 55 Arbeitsjahre kommen müssen. Viele Grüße, und helfen Sie weiter, die wirklichen Probleme in unserer Gesellschaft zu analysieren, zu benennen und zu beschreiben.

Frank Hoppe / 20.08.2016

Lieber Herr Broder, alles erdenklich gute zum Geburtstag. Ich hoffe, dass wir noch viele Jahre von Ihnen hören und lesen werden. Mein großes Dankeschön für all Ihre unbequemen und doch so wahren Beiträge. Weiter so, wir brauchen Sie mehr denn je! Beste Grüße Frank Hoppe

Bernhard Walter / 20.08.2016

Einer publizistischen Säule im Meer der Durchschnittlichkeit und Belehrung! Alles Gute, bleiben Sie gesund und uns lange erhalten!

Karla Kuhn / 20.08.2016

Viele gute Wünsche sende ich Ihnen, sehr geehrter Herr Broder, zu Ihrem Geburtstag. Vor allem wünsche ich Ihnen Gesundheit !! aber auch, dass Sie Ihren Witz, Ihren Humor und Ihren Mut, mit denen Sie Ihre Artikel würzen auch weiterhin einsetzen, damit sie mit einem lachendem Auge gesehen werden. Ich freue mich, dass Sie diese besondere Gabe besitzen und danke Ihnen für die Artikel, die ich bisher von Ihnen gelesen habe. Genießen Sie den Tag.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 16.04.2024 / 06:00 / 203

Doch, es war alles falsch!

Von Andreas Zimmermann. Wir brauchen eine Aufarbeitung der Corona-Jahre, bei der eben nicht diejenigen das Sagen haben, die die Verantwortung für die Verheerungen dieser Zeit…/ mehr

Gastautor / 02.04.2024 / 06:25 / 60

„Traditional Wife“: Rotes Tuch oder Häkeldecke?

Von Marie Wiesner. Der „Tradwife“-Trend bringt die Verhältnisse zum Tanzen: Junge Frauen besinnen sich auf das gute alte Dasein als Hausfrau. Irgendwo zwischen rebellischem Akt und Sendungsbewusstsein…/ mehr

Gastautor / 31.03.2024 / 12:00 / 5

Der Bücher-Gärtner: Warum die Giraffe nicht ohmächtig wird

Von Edgar L. Gärtner. Dieses Buch erzählt Geschichten von kleinen und großen Tieren von Seepferdchen bis zu Elefanten und Narwalen, in denen sich manchmal jahrtausendealte…/ mehr

Gastautor / 30.03.2024 / 06:00 / 42

Warum will die Generation Z nach „Old Money“ aussehen?

Von Marie Wiesner. Der „Old-Money-Look“ ist ein gefragter Trend unter jungen Leuten. Was steckt hinter dem Bedürfnis der Generation Z, nach altem Geldadel auszusehen? Vielleicht…/ mehr

Gastautor / 24.03.2024 / 10:00 / 48

Kunterbunt in die Katastrophe

Von Florian Friedman. So ziellos er auch mittlerweile durch die Geschichte stolpert, auf eine Gewissheit kann der Westen sich noch einigen: Unser aller Erlösung liegt…/ mehr

Gastautor / 10.03.2024 / 11:00 / 2

Der Bücher-Gärtner: Das Zusammenleben täglich neu aushandeln?

Von Edgar L. Gärtner. Der zugegeben sperrige Titel „Ohne Bestand. Angriff auf die Lebenswelt“ von Michael Esders ist eine höchst anregende Lektüre, die vom Raubbau am sozialen…/ mehr

Gastautor / 04.03.2024 / 12:00 / 14

Warum die polnischen Bauern demonstrieren

Von Aleksandra Rybińska. Auch in Polen sind die Bauern wütend. Und zwar über uneingeschränkte ukrainische Agrarimporte und noch mehr EU-Auflagen. Seit Monaten gehen Landwirte in…/ mehr

Gastautor / 03.03.2024 / 11:00 / 22

Der Bücher-Gärtner: Fossilenergie erneuerbar?

Von Edgar L. Gärtner. Unsere neue Buch-Kolumne richtet sich allein danach, ob ein Buch oder die Diskussion darüber interessant ist oder nicht. Den Anfang macht…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com