Henryk M. Broder / 13.03.2007 / 01:03 / 0 / Seite ausdrucken

Hans-Peter Raddatz: Bischöfe und Herrenmoral

Ins Zentrum seines Statements nach dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem im Rahmen der Reise des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz nach Israel stellte Kardinal Lehmann die Aussage “Niemand kann frei sein, der frei sein will vom Gedenken an die Shoa”. Als Pilger sei man ins Heilige Land gekommen, wo man in besonderer Weise das Bekenntnis der deutschen Bischöfe zum 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz im Jahre 2005 bekräftigen wolle: “Es bleibt unserem Volk das Eingeständnis zugemutet, daß Auschwitz auch deshalb möglich wurde, weil zu wenige den Mut zum Widerstand hatten”.

Wenige Stunden später schien die Ansprache in einigen der Bischöfe den Mut zum Widerstand auf eine Weise freizusetzen, die der Vorsitzende kaum im Auge gehabt haben dürfte. Nach Besichtigung des Schutzzauns bei Ramallah konnten sich einige der Kleriker - wohl noch unter dem Eindruck des Holocaust-Denkmals - einer zwanghaften und entsprechend harten Assoziation mit der Lage der Palästinenser mit der Shoa offenbar nicht entziehen. Von einem “Warschauer Ghetto” war die Rede, das “an Rassismus” grenze und die Menschen eher “wie Tiere” behandele. Israel-Botschafter Stein und der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierten “mit Entsetzen und Empörung”. Wer die Leiden der Juden mit der Situation der Palästinenser gleichsetze, habe weder aus der Geschichte noch für seine Moral irgendetwas hinzugelernt, sondern sich auf ein gefährliches Feld der Demagogie begeben, das eher zu neuem Antisemitismus als zur Versöhnung beitrage.

Wie war so etwas möglich? Wie konnten führende, für Millionen von Christen verantwortliche Kleriker der Kirche, noch dazu in Deutschland, die sich gerade eben zu ihrer Schuld und Verpflichtung gegenüber den “nachwachsenden Generationen” - insbesondere in Israel - bekannt hatten, so offensichtlich versagen? Denn an einem Vorwurf kamen sie tatsächlich nicht vorbei: Mit keinem Wort hatten sie den arabisch-iranischen Beitrag zur Bedrohung der Israelis und Misere der Palästinenser erwähnt. Ohne jede Bedeutung schienen sowohl die Korruption der Autonomiebehörden als auch die Aktivitäten der Terrortruppen, aus denen sich die die jahrzehntelangen Bomben- und Raketenanschläge, die gezielte Konservierung der “Flüchtlingslager” und schließlich auch der Leben rettende Zaun ergeben.

Daß die “kritischen” Bischöfe diese im Grunde bekannten Zusammenhänge vergessen hatten, ist Zeichen einer Herrenmoral, die sich auf die Seite des vermeintlich Stärkeren schlägt. Was ihr fehlt, ist jene Fähigkeit, auf die sich Christen besonders viel zugute halten: die “Unterscheidung der Geister”, die Fähigkeit zur Tolerierung des Anderen, die ausgewogene Wahrnehmung gegensätzlicher Interessen. Ihr “Mut zum Widerstand” ließ die Verfolgung der Christen im “Heiligen Land” unerwähnt, hatte aber zuvor das Gespräch mit Mahmud Abbas gesucht, dem Führer der PA, aber auch Mitgründer der PLO, Mitplaner des Münchner Anschlags auf das israelische Olympiateam von 1972 und Verfasser einer Dissertation, in der er den Zionisten eine - später widerrufene - Beteiligung am Holocaust unterstellt.

Das klerikale Verhalten kann nicht wirklich überraschen. Ob absichtlich oder nicht - man befindet sich im Einklang mit der EU-Politik, die eindeutig proarabisch und zunehmend antisemitisch gepolt ist, konterkariert allerdings damit auch die Vorgaben des Papstes, der von Anbeginn seines Pontifikats deutliche Zeichen der Annäherung an “die jüdischen Brüder” gesetzt hat. Der Widerspruch ist nur scheinbarer Art. Rom ist weit und die Führungsriege der deutschen Kirche elitär genug, die inopportune, christliche Humanität von der bequemen Stromlinie des interkulturellen Mainstream dominieren zu lassen. Im gängigen Trend erhält man mehr Applaus für den “Terrorstaat Israel” als ein glaubwürdiges Engagement für die jüdischen und - palästinensischen Menschen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 03.04.2024 / 12:00 / 120

Kein Freibrief von Haldenwang

Von „Verfassungshütern“ wie Thomas Haldenwang geht die größte Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie in unserem Land aus. Wenn die Bundesrepublik eine intakte Demokratie wäre, dann…/ mehr

Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 12:15 / 35

Eilmeldung! Herr Schulz ist aufgewacht!

Im Büro der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann war nach einem Bericht von Achgut.com die Luft heute morgen offenbar besonders bleihaltig. Richtet man…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 06:00 / 125

Frau Strack-Zimmermann hat Cojones, ist aber not amused

Es spricht für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ), dass sie mein Schaffen verfolgt. Deshalb hat sie noch eine Rechnung mit der Achse offen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ) hat…/ mehr

Henryk M. Broder / 22.02.2024 / 10:00 / 80

No News aus Wolfsburg in der Tagesschau

In Wolfsburg stellt sich der VW-Chef auf die Bühne, um Weltoffenheit zu demonstrieren. Die Belegschaft hat derweil andere Sorgen. Die Tagesschau meldet, auch an diesem Wochenende hätten tausende…/ mehr

Henryk M. Broder / 18.02.2024 / 11:00 / 57

Eine Humorkanone namens Strack-Zimmermann

Ja, wenn einem deutschen Politiker oder einer deutschen Politikerin nichts einfällt, irgendwas mit Juden fällt ihm/ihr immer ein. Dass immer mehr Frauen in hohe politische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com