Dem Kapitalismus aufs Haupt schlagen und dabei Sonne, Meer und warmen Dünensand genießen, wer möchte das nicht? Einmal im Jahr, meist Ende Juli, ist es soweit. Dann packen die Qualitätsjournalisten von NDR, WDR und geistesverwandten Anstalten sowie ihre fellow travellers aus den Printmedien Kameras, Mikros, Notizblöcke, Badezeug und Ambre Solaire ein und fahren auf die Insel Sylt. Da sind für die Wichtigen des Trosses schon Zimmer in Westerlands Hotel Stadt Hamburg gebucht. Die noble Herberge liegt einfach ideal für eine rundum stinkige Sylt-Reportage.
Grund der Dienstreise: Hoch im schönen Norden bleckt der Immobilienhai sein hässliches Gebiss. Da treiben zugezogene Geldsäcke und profitsüchtige Makler die verarmte Stammbevölkerung von der Insel. Man hat beinahe Bilder von den Trecks aus Ostpreußen vor Augen. Kolonnen des Elends mit der letzten Habe auf den Panjewagen, die Rote Armee im Nacken, scheinen im kollektiven Gedächtnis auf, schaut man in Sendungen wie „Sylt – Ausverkauf einer Luxusinsel“ (WDR) rein.
Das Rezept für eine herzhafte Sylter Agitationssuppe ist einfach. Man nehme ein paar Schaukästen mit Immobilienangeboten nicht unter zwei Mio für eine Haushälfte (im Dorf Kampen, das mit die höchsten Grundstückspreise der Insel aufweist, während es anderenorts auf Sylt weitaus billigere Häuser und Wohnungen gibt, doch das erwähnt man im Film besser nicht). Ferner finde man ein paar gegen steigende Preise wetternde Insulaner (dass es sich bei denen oft nur um früher oder später Zugezogene handelt, seltener um Angehörige der inzwischen raren autochthonen Bevölkerung, stellt man vielleicht im Laufe der Recherchen fest, kehrt das aber geschickt unter den Teppich). Mit etwas Glück gerät man an einen Makler, der blöd genug ist, nicht zu schnallen, was die öffentlich-rechtlichen Tendenzfunker vorhaben. Der arglos Werbesprüche in die Kamera labert: „Sylt ist eine sichere Bank, die Renditen hier stimmen immer!“
Sodann treibt man einen wackeren Malermeister auf, der zornige Sprüche zum Besten gibt, für die ihn die Leute vom Staatssender küssen könnten: „Hab mein Leben lang gearbeitet, aber ein Haus hier könnte ich mir nie leisten.“ Und man filmt Gärtner, die sich auf Grundstücken zu schaffen machen, spricht dazu anklägerisch aus dem Off: „Die Häuser, die sie pflegen, können sie sich ganz bestimmt nicht leisten“. Ferner fährt man Saisonkräfte auf, die auf Campingplätzen schlafen und diesen Umstand – leider! - vor der Kamera nicht mal bejammern. Weshalb man via Kommentar arschklar stellt, dass man als es als Redakteur des WDR/NDR o.ä. für menschenunwürdig hält, wenn Arbeitskräfte in Caravans wohnen müssen. Selbst wenn die Saisonmalocher ihren Wohnwagen einer teuren Pension zehnmal vorziehen.
Zwischen die sorgsam editierten Statements von „Betroffenen“ (was da nicht reinpasst, wird passend gemacht) streut man etwas Footage in den Film. Vom Strand zum Beispiel, wo das pralle Strandleben tobt. Oder vom Bahnhof in Westerland, wo Arbeitspendler vom Festland eintreffen. Diese Bilder unterlegt man mit Schlaumeierkommentaren wie „...was Touristen nicht ahnen…“ „...frühmorgens, wenn die Touristen noch schlafen…“ Nicht vergessen: um das Schlamassel zu illustrieren, in das Sylt durch seine vielen zahlenden Gäste geraten ist, zumal durch die Zweitwohnsitze der Reichen, gehören unbedingt Infos von der Art in den Sud, dass es in Kampen Handtaschen für 2500 Euro zu kaufen gibt.
Unverzichtbar ist die Erwähnung der Tatsache, dass Sylt außerhalb der Saisonzeiten ziemlich tot ist: „Im Winter ist keine Bevölkerung da“. Beziehungsweise: „Oft ist es geisterhaft still.“ Eine Binse, die selbstredend für sämtliche Touristenorte an den Küsten des Nordens gilt, von Borkum bis Spitzbergen. Außerhalb der Saison werden sie nur mehr von einer Stammbesatzung schwach bevölkert. Wer sonst wollte da im Winter nisten wollen? Heutzutage, da die EU-Politik die Küstenfischerei ruiniert hat?
Da Fernsehmacher ihr Publikum offenbar für strunzblöd halten, schenkt es ihm solche Selbstverständlichkeiten ein wie etwas ganz und gar Unerhörtes, Empörendes. Gilt auch für fast alle anderen Bausteine, aus denen ein typischer Stunkfilm zum Thema Sylt besteht. Dass Klempner, Gärtner, Reetdachdecker und ähnliche Dienstleister Villen, an denen sie arbeiten, sich selber nicht leisten können, ist weltweit nicht ganz ungewöhnlich.
Dass Menschen zu ihrer Arbeit pendeln, liegt ebenfalls global im Trend. Seit ungefähr hundert Jahren wohnen die wenigsten deutschen Arbeitnehmer neben ihrer Arbeitsstelle. Ob man nun aus Hamburgs Vororten acht Stationen mit der U-Bahn zum Büro in die Innenstadt fährt oder vom Festlandsort Niebüll mit den Zug über den Hindenburgdamm nach Sylt pendelt - Jacke wie Hose. Nur vollkommen Voreingenommene, ideologisch felsenfest fixierte, auf sozialen Krawall programmierte Meinungsroboter aus den Demokratieabgabeanstalten vermögen daran Menschenfeindliches zu entdecken.
Weshalb Luxusboutiquen auf Urlaubsinseln neu oder gar skandalös sein sollen, erschließt sich auch nur dem in die äußerste linke Ecke gerutschten Verstand. Was stellt Sylt in den letzten 50 Jahren denn wohl dar? Eine Düne, wo knorrige Seebären im Südwester ihre Pfeife am Bootsrand ausklopfen? Dieses Eiland generiert für Schleswig-Holstein mehr Steuereinnahmen aus dem Tourismusgeschäft als die gesamte Küste Nordfriesland. Worauf die Sylter oft stolz hinweisen.
Dass viele Saisonkräfte keine Wohnungen mieten, weil diese in Touristenzentren rar und teuer sind, ist gang und gäbe. Sommers auf einem Campingplatz nächtigen zu müssen, wenn man für drei Monate zum Gemüse putzen, Essen servieren oder Zimmer saubermachen auf eine Ferieninsel kommt - ein Fall für den Menschenrechtsgerichtshof? Überraschung, lieber WDR! Auf Sylt campieren auch Tausende von Urlaubern. Und zwar mit dem größten Vergnügen. Die Salzluft!
Dass die Hauptthese des Sylt-Bashing irgendwie hinkt, haben im Laufe der Jahre sogar professionelle Syltbasher kapiert. Deren Botschaft lautet: Der Sylt-Boom vertreibt die Sylter. Die können nun nicht mehr auf dem Eiland leben, wo sie geboren wurden, weil Geldsäcke sie vertrieben haben.
So weit, so simpel. Leider gelingt es den Redakteuren fast nie, einen echten Eingeborenen vor die Kamera zu zerren, welcher an der auf Sylt fraglos geschehener und noch stattfindender Gentrifizierung unschuldig wäre. Wer nämlich über Generationen auf Sylt verwurzelt ist, den hat die Insel längst wohlhabend gemacht. Doch darüber spricht er ungern. Denn schon seine Eltern, manchmal bereits die Großeltern, haben Sylter Grundstücke, Häuser oder Teile davon an Festländer verkloppt. Und zwar zu happigen Preisen. Vom Erlös haben sich viele Insulanerfamilien Immobilien auf dem Festland oder im sonnigen Süden zugelegt. Mit dem Geld wurde auch die Ausbildung der Kinder finanziert, der Aufenthalt der Alten in einem Pflegeheim bezahlt, eine Segelyacht angeschafft und Ähnliches.
Natürlich sind die Grundstücke, wie das in der Marktwirtschaft nun mal so läuft, nach dem Verkauf ein für allemal perdu. Dass viele Liegenschaften im Laufe der Jahrzehnte noch öfters (und jedes Mal mit einem dicken Aufschlag) die Besitzer wechselten, wurmt ihre Ur-Eigentümer bis heute.
Aber, wie sagt der Engländer? „You can’t eat the cake and have it.“
Die nicht verkauft haben und noch heute Pensionen etwa in Rantum, List oder Hörnum betreiben, sind auch keine Altruisten. Die nehmen, was der Markt hergibt. Vermieten im Juli und August noch die letzte Besenkammer, das dunkelste, übelste, feuchteste Loch für horrendes Geld. Ich kenne das, aus Erfahrung. Wenn ich in der Hochsaison mal privat kurzfristig nach Sylt wollte oder beruflich musste, bin ich gelegentlich in solchen Absteigen gelandet. Die Einrichtung: aus den 1970ern. Die Zimmerraten: topaktuell.
Vor etlichen Jahren gab es einen Aufstand dieser Spezies von Vermietern. Damals begann der Touristikkonzern Tui mit der Planung eines „Dorfhotels“ bei Rantum. Alle Register gegen das Projekt wurden gezogen; soziale, ökologische, inselbauliche. Nützte aber nix. Heute ist die Tui-Anlage eines der wenigen modernen, großzügig geschnittenen Resorts, die sich auf Sylt urlaubende Familien mit normalen Einkommen leisten können.
Aber was, könnte man fragen, ist nun mit den „armen“ Insulanern? Die nie Grundeigentum besaßen, das sie lukrativ verticken konnten? Die immer nur zur Miete wohnten, welche sie sich jetzt – vorgeblich oder tatsächlich - nicht mehr leisten können? Sind sie nicht tatsächlich Opfer des Sylt-Booms? Dürfen nicht wenigstens sie mit Fug und Recht in die Kameras und Notizblöcke der kritischen Journalisten jaunern?
Je nun. Leider gibt es in unserem Staat kein Grundrecht, dort zu wohnen, wo man aufgewachsen ist. Die Geburtsurkunde genügt nicht. Ich zum Beispiel bin in der alten Hansestadt Stade an der Unterelbe geboren. Aber mir gehört dort nichts. Nicht ein Quadratmeter. Und wissen Sie was? Stade ist das wurscht! Hat mir nie eine günstige Bleibe im historischen, schick renovierten, regelrecht gentrifizierten Stadtkern angeboten. Obwohl ich genau dort nachweislich aufgewachsen bin.
Das Leben ist ungerecht.
Jetzt naht das letzte Juli-Wochenende. Da gehen auf Sylt traditionell die großen Partys ab, welche die Reichen (leider aber meist nicht besonders Schönen; das Sylt des Gunter Sachs ist ja bloß eine verblichene Erinnerung) unter großem Tamtam schmeißen. Die Medienmischpoke ist wie immer dabei.
Wenn der Schampus so richtig sprudelt, darf, nein muss natürlich auch wieder schwerstkritisch über Sylt reportiert werden. Manch einschlägiges Feature, recycelt aus dem letzten Jahr, wurde bereits ausgestrahlt. Über unser Sorgenkind an der Waterkant! Ruiniert durch gemeine Profitgeier!
Ich habe schon mal herzhaft gelacht.
http://www.youtube.com/watch?v=ryTYGhzafyw