Ein Arzt, der seine Patienten per Handschlag begrüßt, weiß von der ersten Sekunde an einiges, das bei der Diagnosestellung hilfreich sein kann: Wie ist der Tonus? Ist der Mensch gut durchblutet? Zeigen sich motorische Probleme? Auch im Geschäftsleben merkt man schon beim Händeschütteln, ob einem der Partner sympathisch ist. Die Hand geben und in die Augen sehen: das ist in unserer Kultur die übliche Begrüßung.
Neben der explorativen Funktion besitzt der Händedruck auch eine expressive: es geht darum, für die zuschauenden Zeugen etwas zu demonstrieren: Einigkeit, Friedlichkeit und das Versprechen, sich an Vereinbarungen zu halten. Verträge werden auf diese Weise besiegelt, ein symbolischer Akt, bei dem es, wie beim Schwur oder beim Gebet, auf eine bestimmte Handhaltung ankommt.
Das politische Händeschütteln der letzten Tage, dessen Abbildungen und Beschreibungen die Gazetten füllen, hat sowohl explorativen als auch expressiven Charakter. Es handelt sich einerseits um Kennenlern-Berührungen, manuelle Erstkontakte, da der französische sowie der amerikanische Präsident neu in der Riege der Staats- und Regierungschefs sind. Andererseits sind gerade ihre Handshakes und Poignées de main reine Schauspielerei – lange geprobt bei Emmanuel Macron, der seine Ehefrau in der schulischen Theatergruppe kennenlernte, ebenso wie bei Donald Trump, der neben seinem Immobilien-Business eine Karriere als Fernsehshowmaster vorweisen kann.
Deshalb war gerade ihr Handschlag ein besonders finessenreiches Beispiel dieser Körperkunst. Die wechselseitige politische Abneigung erhöhte die Muskelspannung, sodaß die 17.000 Fühlkörperchen auf der Handinnenfläche allenfalls eine harte Sehnenplatte bei der Gegenseite registrierten. Das Andocken war weniger sanft, aber genauso präzise wie ein Kopplungsmanöver zwischen Apollo-Kapsel und Raumstation; vor allem ging es schneller. Dabei hatte Macron seinen Arm weniger weit ausgestreckt als Trump, was ihm im Bruchteil einer Sekunde eine kräftemäßige Überlegenheit verschaffte. Als Trump versuchte, sich aus dem festen Griff des Franzosen zu befreien, ließ der einfach nicht los.
Gespannt auf das nächste Extremitäten-Match
Die Szene erinnerte ein wenig an den berühmten handshake murder vor bald hundert Jahren in Chicago, wo ein Gangsterboß seinem Gegner die rechte, also die in der Regel starke, das heißt: waffenführende Hand so lange schüttelte, bis seine Komplizen ihn kaltgemacht hatten. Da Trump die Macron-Zange allerdings überlebte, kann man auf das nächste Extremitäten-Match der beiden nur gespannt sein.
Vielleicht aufgrund dieses Vorfalls hat sich der russische Präsident Wladimir Putin die dargebotene Hand Macrons erst ostentativ angeschaut, bevor er einschlug. Auch dies ist ein guter Trick, um den anderen zu desavouieren: man zögert nicht nur, die eigene Hand zu reichen, sondern mustert die fremde, als hätte man von ihr etwas zu befürchten: Bazillen, Dreck oder schlechte Schwingungen. In der Tat steht die Vorstellung eines metaphysischen Kraftstroms im Hintergrund jedes Handschlags: daß Hände heilende oder auch schädliche Strahlen aussenden, zieht sich als Topos durch die Kulturgeschichte.
Nicht von ungefähr macht Macron bei jedem Händedruck ein Gesicht, als müsse er eine Art Übelkeit niederkämpfen: er preßt die Lippen zusammen und reckt sein Entschlossenheits-Kinn vor, als gäbe ihm das Mut, den Augenblick zu überstehen. Für die Kameras wirkt das staatsmännisch: eine PR-Mischung aus Härte und Zuversicht. Da die Politik als solche bekanntlich alternativlos ist, wird die Öffentlichkeit mit solchen Gesten und Bildern beschäftigt. Je länger, desto mehr.
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