Volker Seitz / 19.06.2021 / 10:00 / Foto: Jean Wimmerlin/Unsplash / 10 / Seite ausdrucken

Grundeinkommen für Namibia?

Seit Jahrzehnten taucht die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens immer mal auf – und verschwindet wieder. Jeder Bürger soll unabhängig von seinem Einkommen oder Vermögen pauschal vom Staat ein Grundeinkommen erhalten. Es liegt deutlich oberhalb des Existenzminimums, und man muss dafür weder arbeiten noch eine andere Leistung erbringen. Das Ersetzen aller Sozialleistungen durch das Grundeinkommen birgt allerdings die Gefahr, dass es dem Staat eine enorme Macht verleiht.

ARTE hat die Debatte mit einer fünf Jahre alten Dokumentation „Komm Komm Grundeinkommen“, gesendet am 15. Juni 2021 (noch bis 22. Juni in der Mediathek), neu befeuert. Tenor: „Menschenrecht ohne Gegenleistung und visionäres Reformprojekt“ sowie „bedingungslos = Weiterentwicklung der Demokratie". 

Als eines der ersten Länder hat Namibia 2008 ein Experiment gestartet. In dem Film von 2016 wird – ohne Erläuterung – behauptet, dass das Projekt die Lebensbedingungen der Teilnehmer „stark verbessert“ habe. Kein Wort davon, dass das Projekt bereits im April 2015 beendet wurde. 

Hintergrund: Basic Income Grant (BIG) war ein Projekt der Evangelischen Kirche, von Gewerkschaften und namibischen Unternehmern, und hat mit einem staatlichen Grundeinkommen nichts zu tun. Bis jetzt gibt es in Namibia kein Sozialsystem außer einer kleinen Rente, die Menschen über 60 Jahre zusteht. 

Jeder der etwa 1.000 Einwohner des Dorfes Otjivero/Omitara bekam 100 Namibische Dollar (etwa acht Euro) im Monat – ganz ohne Gegenleistung. Ziel des Experiments war es, zu zeigen, dass sich die Bewohner nicht auf dem Geld ausruhen, sondern aktiv werden und in ihre Zukunft investieren. 

Projektleiter führten Studie selbst durch

Eine Evaluierung zeigte durchweg positive Ergebnisse: Mehr Kinder gingen regelmäßig zur Schule, mehr Menschen nahmen die Hilfe von Gesundheitsstationen an (beides nicht kostenlos), und es wurden kleine Geschäfte eröffnet.

Die Studie hatte aber einen Haken: Sie wurde von den Projektverantwortlichen vor Ort selbst durchgeführt. Einblick in die gesammelten Daten wurde Externen verwehrt, die genannten Ergebnisse wurden nach nur einem Jahr, teils schon nach nur einem halben Jahr, festgestellt, Nachfolge-Evaluierungen gab und gibt es nicht, manche Ergebnisse sind medizinisch, andere ökonomisch wenig plausibel, Wissenschaftler der Universität von Namibia oder von unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituten wurden nicht einbezogen.

Die schnell vorgelegten Ergebnisse dienten dann dem erneuten Werben für ein landesweites Grundeinkommen. Aber die Regierung zeigte sich wenig beeindruckt. Immerhin wollte sie die von den Projektpromotoren angewandte Methode und die von ihnen berichteten Ergebnisse von einer unabhängigen Kommission überprüfen lassen. Aber eine Einsicht in die gesammelten Projektdaten durch die Kommission ohne Beteiligung der BIG-Promotoren kam für letztere nicht infrage. So wurde aus der Überprüfung nichts.

Die damalige Regierung Namibias beobachtete das Projekt zwar, erhob aber keine eigenen Daten und sprach sich stets gegen ein Grundeinkommen für ganz Namibia aus. Ob das Grundeinkommen als entwicklungspolitisches Instrument wirklich Erfolg hat, hängt vor allem davon ab, wie die nationalen Regierungen (und nicht Milliardäre oder Künstler aus Europa und den USA) diese Idee als wirksame Armutsbekämpfung aufnehmen. 

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“ – ein Afrika ABC in Zitaten.)

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S. v. Belino / 19.06.2021

@Wilfried Düring. Diese Diskrepanz - man darf sie auch ruhig Heuchelei nennen - stößt auch mir auf. Aber über ihren Tellerrand hinauszudenken, ist den Nachhaltigkeits- und Klimafanatikern offensichtlich nicht möglich. Natürlich wäre eine “ökologisch heile Welt” sehr zu begrüßen. Auf dem zur Zeit angedachten Weg und unter einem geradezu illusorischen Zeitdruck wird, bzw. würden die Maßnahmen in den Wohlstandsländern - die heute zwangsläufig weltumspannende Auswirkungen haben - andernorts, also in anderen Teilen der Welt noch weit mehr Armut erzeugen als sie heute schon zu beklagen ist. Durch das Ausbleiben von Touristen sind im Verlaufe der Corona-Krise schon Abermillionen von Arbeitsplätzen verloren gegangen. Die meisten davon noch dazu in Ländern, die keinerlei diesbezügliche Sozialleistungen für ihre Bürger vorsehen, bzw. bieten können. Aber all das ist ja gottlob ganz weit weg von den oft lautstarken und nicht selten ziemlich verwöhnten Anwälten der Neuen Bescheidenheit. Vielleicht ist der Teller auch nur viel zu groß, als dass man über seinen Rand schauen könnte.

Wilfried Düring / 19.06.2021

@S. von Belino:  ‘der in Afrika völlig zusammengebrochene Tourismus’. Wer das Klima rätten will, muß schließlich Opfer bringen. Natürlich nicht er/sie/lsbtq/divers selber! Andere schon! Das ‘bisschen weiter Denken’ können sie von der hüpfenden Gemeinde der Propheten Neubauer, Bockbär und Blasel (besonders militantes Exemplar: ein arbeits-scheuer A-bi-tu-ri-ent !) nicht erwarten. Verzichten sollen IMMER die Anderen. Das war auch schon im Holodomar und im Maoismus so - verhungert sind IMMER die Anderen. Gott sei Dank interssiert es die Welt einen Scheiss-Dreck, wenn wohlstandsverwahrloste und arbeitsscheue ‘junge Menschen’  ein Land durch Hüpfen, Faulheit und Militanz zu Grunde richten. Der Rest der Welt - wird weiterleben wie bisher.

Michael Stoll / 19.06.2021

Der Traum vom Schlaraffenland ist ja nicht neu. Die Dummen und Faulen begeistern sich immer wieder für die Idee, egal ob sie als Kommunismus (Jeder arbeitet so viel er möchte und nimmt so viel er benötigt (in der Praxis: haben will!) ) oder als bedingungsloses Grundeinkommen daherkommt. Die Geschichte hat mehrfach gezeigt, dass Gesellschaften, in denen sich Leistung nicht (mehr) lohnt, dem Untergang geweiht sind. „Deutschland verrecke!“ Der linke Traum wird bald wahr.

S. v. Belino / 19.06.2021

Der Namibische Dollar ist eng an den Südafrikanischen Rand gekoppelt. Deswegen weiß ich, dass auch schon im Jahre 2008 eine monatliche Zuwendung in Höhe von 100 Namibischen Dollar kaum mehr Effekt gehabt hätte als ein Taschengeld. Schon damals hätte dieser Betrag nicht im Entferntesten ausgereicht, um auch nur die grundlegendsten Lebensbedürfnisse einer Person zu erfüllen. Wie man ein solch mageres Handout mit dem hohen Anspruch eines bedingungslosen Grundeinkommens in Zusammenhang bringen kann, verstehe ich nicht. Vermutlich haben selbst die damaligen Nutznießer die Höhe der “pittance” als blanken Hohn aufgefasst. Ebenso könnte man vermuten, dass die relativ rasche Beendigung des Experiments sogar dadurch erklärt werden kann. Die Annahme, dass man in vielen außereuropäischen Ländern - wie z. B. auch Namibia - günstig leben kann, ist falsch. Gerade auch Afrikaner müssen schon seit vielen Jahren immer mehr Geld aufbringen, um sich und ihre Familien einigermaßen über die Runden zu bringen. Alleine der schwindsuchtartige Verfall etlicher Landeswährungen hat die Lage enorm verschlechtert. Zusätzlich hat der aufgrund der Corona-Pandemie auch in Afrika völlig zusammengebrochene Tourismus großes ökonomisches Unheil mit sich gebracht. Daran denkt hierzulande wohl kaum einer.

Jochen Lindt / 19.06.2021

Bedingungsloses Grundeinkommen gibt es für Afrikaner (plus Großfamilien) durchaus.  Allerdings nur als “Flüchtlinge” und nur noch in Deutschland.  Selbst die Schweizer spielen nicht mehr mit und sanktionieren “Flüchtlinge” die im Heimatland Urlaub machen.

R. Bunkus / 19.06.2021

Einzelne Dörfer müssen keine fiskalische Verantwortung tragen, so wie es ein ganzer Staat tut. Deshalb bleibt es ein Experiment ohne Bedeutung für den Einsatz im wahren Leben.

Jürgen Fischer / 19.06.2021

Grundeinkommen? Gibt’s bei uns doch schon lange. Bundestag, Landtage, staatliche Rundfunkanstalten ... ja, sogar länderübergreifend (EU) - wen interessiert da Namibia? Aber es wird ja schon an der Einkommenswende gearbeitet: nämlich der Tatsache, dass immer weniger dämliche Steuerzahler für immer mehr Schmarotzer aufkommen müssen. Auf Dauer kann und wird das nicht gutgehen. Nicht hier und nicht anderswo. Da kann die Generation „Fordern“ noch so schrill plärren.

Werner Arning / 19.06.2021

Womöglich schwebt den Linksgrünen für Deutschland ein Grundeinkommen vor, welches durch umweltbewusstes Verhalten erhöht bzw. durch umweltschädliches Verhalten gemindert werden kann. Möglicherweise würde dieses der Fridays-For-Future-Generation entgegenkommen. In dieser Mentalität werden sie schließlich in der Schule und Zuhause häufig erzogen. Leistung, Fleiß, Anstrengung und Intelligenz wiegen wenig. Die richtige Haltung wiegt dagegen viel. Wenn Leistung gar eher verpönt ist, kommt dieses dem Bequemen entgegen. Dafür kann man ja eventuell freiwillig auf Fleisch, Auto und Fliegen verzichten. Die Hängematte ist auch im eigenen Öko-Garten bequem. Und am Wochenende wird gegen den Kapitalismus demonstriert. Gute Nacht Good old Germany.

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