Maxeiner & Miersch / 31.03.2012 / 07:29 / 0 / Seite ausdrucken

Grüne Männchen

Sie empfangen Ihr Fernsehbild durch eine Satellitenschüssel? Dann haben Sie Glück gehabt. Warum? Ganz einfach, weil sich in Deutschland nie eine Anti-Satellitenschüssel-Bewegung gebildet hat. Aber das hätte auch anders laufen können. Und zwar so: Eine Aktivistengruppe setzt das Gerücht in die Welt, Satellitenschüsseln seien gefährlich. Wer sein Fernsehbild per Schüssel empfange, der habe bald kleine grüne Männchen im Kopf. Das Gerücht verbreitet sich, und irgendwann sieht halb Deutschland kleine grüne Männchen. Die Hüter der Volksgesundheit nehmen die finsteren Satellitenschüsselkonzerne ins Visier. Überall im Land werden Satellitenschüsseln von den Häusern gerissen. Tausende wissenschaftliche Untersuchungen können aber keine Gefährdung nachweisen. Das hilft aber nichts. Die Grünen machen die Sache zum Wahlkampfthema, die CSU erklärt Bayern zur grünemännchenfreien Zone. Die Tatsache, dass überall in der Welt Millionen Menschen Satellitenschüsseln ohne Schaden benutzen, wird ignoriert. Ein neues Gesetz kommt. Satellitenschüsseln dürfen fortan nur in ein paar Kilometern Abstand zum Nachbarn angebracht werden. Benutzer müssen eine intensive Schulung im Umgang mit grünen Männchen absolvieren und ihr Haus so abdichten, dass keine grünen Männchen nach draußen können. Falls sie dem Nachbarn trotzdem erscheinen, darf der Schadenersatz in Millionenhöhe einklagen. Weil die Verwendung einer Satellitenschüssel so praktisch unmöglich wird, landet die Sache vor dem Verfassungsgericht. Und das urteilt: Es komme nicht darauf an, ob es die kleinen grünen Männchen nun gebe oder nicht. Es genüge, dass sie im Kopf der Betroffenen existieren.

Nun kehren wir in die reale Welt zurück und tauschen das Wort “grüne Männchen” gegen “Grüne Gentechnik” aus. Dann entspricht unsere kleine Erzählung der Geschichte des deutschen Gentechnikgesetzes, das vom Bundesverfassungsgericht unter anderem mit dem Hinweis auf den “gesellschaftlichen Frieden” bestätigt wurde. Winfried Kluth, Richter am Landesverfassungsgericht von Sachsen-Anhalt, ist jetzt der Kragen geplatzt. In einem aktuellen Gutachten schreibt er: “Die Zulassung von Freiheitsbeschränkungen ohne jede empirische oder fachwissenschaftliche Grundlage ist nichts als ein Deckmantel für schlecht kaschierte Willkür, die vor einer gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung kapituliert.” Mal sehen, wer als Nächster dran ist.

Erschienen in DIE WELT vom 30.3.2012

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