Viel wird jetzt ausgegraben. Eifrig blättern die Rechercheure in den Biographien von Alexis Tsipras, Giannis Varoufakis und anderer Mitglieder der neuen griechischen Regierung. Manches kommt dabei ans Licht, was nicht so recht zum Bild des verfassungstreuen Demokraten passen will. Richtig ist: Die neuen Herren am Syntagma-Platz haben sich bisher nicht gerade als Waisenknaben hervorgetan, eher schon als Kommunisten mit radikalen Neigungen.
Das mag nicht schön sein, ist aber auch nicht so außergewöhnlich. Man denke nur an die Gralshüter der politischen Kultur hierzulande. Was käme heraus, würden wir wieder einmal in die Biographie Joschka Fischers oder Jürgen Trittins einsteigen, die Lebensgeschichte Daniel Cohn-Bendits zurückverfolgen, bis hin zu den Tagen, da er sich (nach eigenen Angaben) den Hosenlatz von Minderjährigen aufknöpfen ließ. Martin Schulz, der Präsident der EU-Parlaments, hatte ein Suchtproblem, Jean-Claude Junker ebenso. Nicht zu reden von den DDR-frommen Jugendtagen der Frau Bundeskanzlerin.
Schwefelgestank steigt allemal auf, wenn man die Büchse der Pandora öffnet.
Schwamm drüber, jedenfalls solange, wie sich die Entlarvten nicht zum Schaden der Gegenwart an ihre Vergangenheit klammern. Und davon kann bei den Griechen vorerst keine Rede sein. Aus ihrer legeren Kleidung allein lässt sich kein Verdacht ableiten, erst recht nicht in einer Welt, der die Etikette ohnehin schnuppe ist. So etwas bemerkt nur noch, wer um sachliche Argumente verlegen ist. Wirklich auffällig ist vielmehr, dass sich die Griechen mit Mut, beinahe tollkühn, bemühen, in wesentlichen Bereichen mit der Vergangenheit zu brechen, wennschon nicht eben so, wie man es in Berlin oder Brüssel gern sähe.
Erst haben sie sich geweigert, gleich nach der Wahl zu vergessen, was sie ihren Wählern zuvor versprachen. (Bis heute lauert das politische Establishment Europas auf den längst überfälligen Wahlbetrug.) Dann haben die „Halbstarken“ (FAZ) sofort und ohne viel Federlesens die Troika des Landes verwiesen, so unmissverständlich, dass man in Brüssel unterdessen so tun muss, als habe man die Abberufung Finanzbeamten selbst längst erwogen. Und nach alledem nun auch noch dies: ein Beschluss, der ans Eingemachte geht.
Wie Spiegel online meldet, will die griechische Regierung ihren gesamten Fuhrpark, „darunter einen 750.000-Euro-BMW“, verkaufen. Alexis Tsipras, heißt es in dem Bericht, benutzt „weiterhin den schlichten schwarzen Audi A4, den er bereits als Oppositionsführer gefahren hat“. Andere nehmen das Taxi, der Finanzminister bisweilen sein eignes Motorrad. Bei Flügen sitzt er in der Economy Class, bevorzugt auf einem Gangplatz. Mehr sei nicht nötig, „Minister brauchen keine Staatskarossen“, erklärte der mit dem Verkauf der Limousinen beauftrage Reformminister Georgios Katarougalos im Interview.
Auch so kann eine Regierung Zeichen setzen; auch aus Brüssel oder Berlin würden wir ähnliches gern einmal hören. Nicht, dass man sich von dieser staatlichen Belebung des Gebrauchtwagenhandels die Sanierung der öffentlichen Haushalte versprechen dürfte. Das gewiss nicht. Ebenso wenig geht es darum, den Politikern eine Rosskur zu verordnen, sie auf Entzug zu setzen. Wer es so empfinden würde, hätte allerdings verdient, dass ihm der Brotkorb höher gehängt wird.
Nein, jeder soll sich leisten können, was er bezahlen kann. Fraglich ist nur, ob wir die politische Klasse, deren Angehörige unsere, des Volkes Angestellte sind, bezahlt und ausgehalten von Steuergeldern - ob wir sie mit Statussymbolen ausstatten müssen, die ihnen Ansehen von vornherein verleihen, ungeachtet der erbrachten Leistung. Tatsächlich ist aus dem politischen mittlerweile ein Showbetrieb geworden, dessen Inszenierung Unsummen verschlingt. Entertainment auf höchstem Niveau, betrachtet man es aus der Perspektive des Veranstaltungsprofis.
Keine Showproduktion des Cirque du soleil verschlingt derart viel Millionen, wie das G7-Treffen demnächst auf Schloss Elmau im bayrischen Krün. Allein die Gemeinde rechnet mit Ausgaben von über zehn Millionen. Mehr als 10.000 Polizisten werden im Einsatz sein, ohne dass jemand nachher fragen dürfte, was das Ganze gebracht hat, abgesehen von dem Nachrichten-Entertainment. The Show Must Go On, um die Politik in ihrer angenommen Bedeutung zu bestätigen.
Oder könnte jemand sagen, was die Kanzlerin von ihrem Besuch beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos mitgebracht hat, mit welchem Ergebnissen der Außenminister in Berlin aus dem Flieger steigt, wenn er wieder einmal mit großer Entourage zwischen Afrika, Moskau und Kiew unterwegs war? Braucht Martin Schulz wirklich einen persönlichen Diener, um eine gute Figur zu machen? Wieso musste bei der großen Demonstration in Paris nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo ein Extrabereich - in einer Seitenstraße - aufwendig abgesperrt werden, damit die Staatsführer so tun konnten, als ob sie bei der Kundgebung dabei gewesen wären, sie gar angeführt hätten?
Ja, es gab Zeiten, da sind die Politiker dem Volk, das führten, vorangegangen, ganz vorn in der ersten Reihe. Das gehörte zum Geschäft, es verstand sich von selbst. Nur die Tabakdose, die er in der Brusttasche über dem Herzen trug, rettete Friedrich dem Großen das Leben, als er in der Schlacht bei Kunersdorf angeschossen wurde, am 12. August 1759.
Nun sind die Zeiten andere geworden, versteht sich. Nachdem sie das Rauchverbot durchgesetzt hat, könnte sich Angela Merkel nicht mehr auf den Schutz einer Schnupftabakdose im Blazer verlassen. Aber hätte sie nicht in Paris Hand in Hand mit Hollande und Abbas an der Spitze des Demonstrationszuges laufen können, anstatt sich in der Etappe für die TV-Show aufzustellen? Sind die Politiker wirklich so bedroht, wie sie meinen? Oder ist das nicht auch eine Folge ihrer pompösen Inszenierung? Haben die Griechen nicht Recht, wenn diesen teuren Affenzirkus nicht länger mitmachen wollen?
Gefragt, ob er um seine persönliche Sicherheit fürchte, wenn er mit seinem alten Cabrio statt in einer gepanzerten Staatskarosse zum Dienst fahre, antworte Georgias Katrougalos. „Wozu brauche ich Polizeischutz? Wenn ich merke, dass jemand einen Joghurt nach mir werfen will, dann trete ich sofort zurück.“ Gut möglich, dass seine Kollegen in Brüssel, in Berlin oder in Paris eben das nicht merken wollen, dass sie sich mit den Insignien der Macht ausstatten, um sich gegen das bedrohende Gefühl ihrer Bedeutungslosigkeit zu wappnen. Täten sie es nicht, würden sie sich nicht derart aufblasen, sondern wieder darauf beschränken, ihre Arbeit zu verrichten, ohne dabei immer in den Spiegel zu schauen. Um ihre Sicherheit müssten sie sich sehr viel weniger kümmern.
Mit ihrer Inszenierung machen sich die Politiker selbst zur Zielscheibe. Das immerhin haben die neuen Herren in Athen erkannt. Sie tanzen aus der Reihe. Damit sind sie ihren Verhandlungspartnern um einige Nasenlängen voraus, ganz egal, wie das Kräftemessen schließlich ausgehen mag. Mit ihrem Mut, und sei es der Mut der Verzweiflung, machen sie den Besitzstandswahren Dampf unter den Hintern. Chapeau!