Habe kürzlich meinen Ohren nicht getraut. Fünfzehn Prozent der Angestellten in Dienstleistungsbetrieben sollen an einer neuen Krankheit leiden: dem Boreout Syndrom. Die Wortschöpfung lehnt sich an Burnout an, was früher als Nervenzusammenbruch bezeichnet wurde und heute wegen Arbeits-Überbelastung manch einen trifft. Vom Boreout sollen allerdings jene befallen sein, die man früher als Faulpelze bezeichnete. Die Langweiler leiden nicht an einem Aprilscherz.
Dabei grassiert diese Krankheit seit einiger Zeit in den Medien und ich bin anscheinend einer der letzten Ignoranten. Auf http://www.boreout.com habe ich mich schlau gemacht. Falls man vier von zehn Fragen positiv beantwortet, hat man wahrscheinlich schon ein Boreout. Hier eine kleine Auswahl der Testfragen: ein untrügerisches Zeichen für die Krankheit sind etwa das Erledigen von privaten Dingen während der Arbeit. Könnte man seine Arbeit schneller erledigen, als man dies tut, oder würde gerne etwas anderes arbeiten, scheut aber den Wechsel, weil man danach zu wenig verdient, darf man sich schon ein wenig elend fühlen. Gehört man gar zu den Angestellten, die während der Arbeit private E-Mails an Kollegen senden, sind bereits vier Fragen positiv beantwortet. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. So, wie wenn man zu lange an einem Leberfleck herum studiert, ob es nun doch ein Hautkrebs sein könnte, oder nicht.
Die restlichen Fragen haben mir dann endgültig klargemacht, dass ich zumindest während meiner Militärzeit hochgradig an einem Boreout Syndrom gelitten hatte. Ein Hoffnungsschimmer tat sich auf. Sollte ich nämlich je wieder zum Stimmenzählen aufgeboten werden, werde ich die Stadt wegen einem erlittenen Boreout verklagen. Es gibt Internet Foren, wo die betroffenen Boreout Patienten ein Coming-out machen. Seit Jahren hätten sie nur so getan, als ob sie gestresst arbeiten würden. Andere wurden zu Pseudorauchern, nur damit sie dem Pult fern bleiben konnten, oder hängten eine zusätzliche Jacke über den Bürostuhl und stellten eine Kaffeetasse hin, damit man meinte, sie seien nur mal schnell weg.
Haben Sie nun auch ein schlechtes Gewissen bekommen, naht Trost. Die Erfinder dieser neuen Krankheit haben mittels Studien herausgefunden: Boreout Typen sind nicht per se faul, sondern sie wurden faul gemacht. Das ist wie bei der Grippe. Man wird ja schließlich von jemanden angesteckt, der zu faul war, sich zu impfen. Selber trägt man keine Schuld. Schuld seien nämlich Chefs, die nicht delegieren.
Misstrauisch könnte man allerdings werden, wenn man die Berufsbezeichnung der Krankheits-Erfinder liest: der eine ist selbstständiger Unternehmensberater, der andere ist Business Consultant. Vielleicht sollte ich mich über die faulen Säcke, die nun sogar eine Entschuldigung für ihr Nichtstun gefunden haben, nicht lustig machen. Eher sollte ich mich beim schweizerischen Institut für Betriebsökonomie weiterbilden. Dort gibt es „Diagnose Boreout“ Kurse. Ein Kursnachmittag kostet 480 Franken inklusive Mehrwertsteuer, inbegriffen sind Handouts, ein Buchexemplar und ein Apéro.
Die Kolumne erschien zuerst am 27. Oktober 2007 in der Berner Zeitung.