Thilo Schneider / 10.04.2018 / 10:00 / 9 / Seite ausdrucken

Das ewige Relativieren nach Anschlägen

Der Täter von Münster ist bekannt. Es handelt sich um den Deutschen Jens RPunkt, der anscheinend psychische Probleme und deswegen seinen Selbstmord angedroht hat und den dann jetzt auch unter Mitnahme Unbeteiligter durchgezogen hat. Ich spare mir an dieser Stelle die Phrasen a lá „meine Gedanken sind bei den Opfern, es ist jetzt nicht die Zeit laber rhabarber“, ich bin lediglich heilfroh, dass es meine Bekannten aus Münster nicht erwischt hat und dass ich in Aschaffenburg und nicht in Münster die erste Frühlingssonne genossen habe.

Wir haben im Jahr 2018 gelernt, mit Terroranschlägen umzugehen. Wir wissen, es gibt sie, ebenso, wie es Autounfälle, Krebserkrankungen, Aneurysmen und Blitzeinschläge gibt. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Terroranschlag zu sterben, befindet sich (noch) im Bereich eines Sechsers im Lotto. Routiniert laufen die Mechanismen ab, bei den ersten Meldungen liegen die Tipps der AfD und ihrer Sympathisanten stets auf irgendwelchen Islamisten, für Linke und ganz Linke beginnt so ein Zwischenstadium zwischen Hoffen und Bangen, dass sich die Rechten irren.

Hat die eine Seite recht, so bemüht sich die andere, einen „Einzelfall“ zu deklarieren, der „jetzt nicht zu Pauschalisierungen führen darf“ und der „hoffentlich jetzt nicht von Rechts instrumentalisiert wird“, hat die andere Seite recht, so handelt es sich bei dem Täter aber bestimmt doch um einen „Passdeutschen“, der „vor kurzem zum Islam konvertiert sein soll“, auf jeden Fall aber „als Einzeltäter“ gehandelt hat.

Been here, done that.

„Jetzt, wo der Täter in #Münster offenbar Deutscher war & keinen islamistischen Hintergrund hatte, sind manche von rechts außen geradezu enttäuscht. Das ist genauso krank wie Islamismus. Man trauert um jedes Opfer, wenn man Mensch ist!“, schreibt der Mensch Cem Özdemir auf Twitter.

Ob Cem Özdemir tatsächlich trauert, ist mir nicht bekannt, schließlich steht da ja das unverbindliche „man“. Vielleicht bin ich aber zu sensibel. Mein untrainiertes Auge liest da aber einen fetten Plumps von dem Stein, der dem Menschen Özdemir vom guten Herzen gefallen ist. Eigentlich fehlt mir da nur noch die „Hoffnung, dass das jetzt nicht von den Linkspopulisten instrumentalisiert wird“.

Wird es natürlich doch werden. Been here, done that. Der Nächste, der sein Fahrzeug als Projektil missbraucht und ungebremst in seine Mitmenschen ballert, wird, so er das, begleitet von „Allahu Akbar“-Rufen, getan hat, mit dem Täter von Münster relativiert werden, fährt er in eine Menschenmenge vor einer Moschee, dann werden die Anderen „es gleich gewusst haben“.

Ich persönlich bin es leid. Wirklich leid. Immer und immer wieder erklären zu müssen, dass es einen Unterschied macht, ob ein Täter einfach nur böse Einen am Helm hat oder meint, für irgendeine „höhere Sache“ den „Märtyrertod“ sterben zu müssen. Sicher – für die Toten und Verletzten und deren Angehörige macht es unter dem Strich keinen Unterschied, ob sie von einem LKW überrollt werden, weil deren Fahrer mit dem Abendland, dem Morgenland oder lediglich mit seiner persönlichen Gesamtsituation unzufrieden ist. Über dem Strich macht es aber sehr wohl einen Unterschied: Und zwar für die, deren Aufgabe es ist, ihre Bürger zu schützen. Also Politik, Polizei und Gerichtsbarkeit.

Die politische Verwertbarkeit von Anschlägen

Kein Mensch ist sicher vor einem Verrückten. Mit etwas Cleverness kann jeder von uns losziehen, einen Kleinbus mieten, sich Sprengstoff basteln oder am Hauptbahnhof eine Knarre besorgen. Und für die ganz Doofen und Faulen tut es ja auch ein handelsübliches Küchenmesser, um die eigene Unzufriedenheit einer erschrockenen Bevölkerung nachhaltig mitzuteilen.

Ja, Jens RPunkt hätte seinen, wie es so verständnisvoll heißt, „erweiterten Suizid“ auch begangen, wenn es 2015 ff. Grenzkontrollen gegeben hätte. Und nein, das macht sie deswegen nicht obsolet. Weil das Eine nichts mit dem Anderen zu tun hat.

Aber na schlecht: Der Täter war ein Deutscher und offenbar gemütskrank. Nur lässt sich das politisch eben nicht verwerten. Wer im Internet quer liest (wie ich das mache), der wird im wahrsten Wortsinne wahnsinnige Statements und Vermutungen finden, dass Jens RPunkt irgendwie „ein Rechtsextremer war“ oder wenigstens „Verbindungen in die rechtsextreme Szene hatte.“ Es muss so sein, damit die ewige politische Bodycount-Tabelle von 317:10 auf 317:11 (Zahlen willkürlich) korrigiert werden kann. Vielleicht hatte der Täter ja ein verdächtiges Tattoo? Oder 2013 die Facebook-Seite der AfD Münster geliked? Oder 1996 nach dem dritten Bier die erste Strophe der Nationalhymne beim Schützenfest in Hausen an der Unstrut abgesungen? Oder bei der WM ein Deutschlandfähnchen am Auto gehabt? Irgendetwas wird sich schon finden lassen, denn irgendetwas findet sich immer. Der Hobbyprofiler muss nur tief genug graben, damit das eigene Weltbild wieder in Ordnung ist.

Cem Özdemir hat es mit seinem Twitter-Kommentar vorgemacht, aus dem ich lese: „Ich trauere aber sowas von um die Opfer, im Gegensatz zu Beatrix von Storch. Der Täter war aber kein Muslim. Ätsch!“ Zumindest für diese Offenheit und Ehrlichkeit hätten er und seine teddybärwerfenden Konsorten meine Hochachtung gehabt. Wenigstens bis zum nächsten „Einzelfall“, der aber „jetzt nicht von rechts instrumentalisiert werden darf“. 

Es hat einen Grund, warum psychisch Kranken „Messer, Gabel, Scher’ und Licht“ abgenommen werden, die machen damit manchmal Unfug. Unter Umständen für sich und andere tödlichen Unfug. Deswegen schaut sich jeder Psychiater und Psychologe seinen Patienten genau an und stellt somit alle psychisch Kranken zuerst einmal unter Generalverdacht. Und genau das ist auch der Grund für Grenzen und Türschlösser: der Besitzer möchte gerne wissen, wen er ins Haus lässt. Er kann sich auch irren, weil es nun einmal keinen absoluten Schutz gibt. Aber er kann sich um Risikominimierung bemühen. Wenn er will.

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Leserpost

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M.Besler / 10.04.2018

Die erste Strophe der deutschen Nationalhymne zu singen wäre absolut unbedenklich. Was Sie vermutlich meinen, ist die erste Strophe des Liedes der Deutschen. Dessen dritte Strophe übrigens die aktuelle Deutsche Nationalhymne ist. Ansonsten haben Sie das Niveau der Debatte treffend beobachtet und beschrieben.

Norbert Rahm / 10.04.2018

Hurra, es war ein Deutscher! Es erinnert mich an Elmar Theveßen, der bei der Amokfahrt Amris noch sehr lange und mehrfach hoffte, “vielleicht war es ja doch ein Unfall!” Es ist interessant und entlarvend, dass man gerade das Naheliegende nicht vorschnell vermuten (und schon gar nicht “instrumentalisieren”) darf. Es bleibt die Frage, wann wird eine kritische Masse an Anschlägen, Vergewaltigungen und sonstigen alltäglichen Reibereien mit nur regionaler Bedeutung erreicht, dass auch eine tatsächliche politische Konsequenz gezogen wird.

Andreas Rühl / 10.04.2018

Psychisch Kranken, insbesondere suizidgefährdeten Patienten wird nicht alles abgenommen, womit sie sich oder andere schaden können, sondern nur “Offensichtliches”. Und das nicht, um einen Selbstmord oder sonst eine Tat zu verhindern, sondern um dem Patienten zu verdeutlichen, dass man (der Arzt, die Schwestern und so weiter) um die Gefahr (für sich und andere) wissen. Es ist daher ein Akt der Kommunikation - und zwar deshalb, weil man einen Patienten, der Suizid begehen will, davon in Wahrheit gar nicht abhalten kann. Und auch nicht davon, mit einem Auto in eine Menschenmenge zu rasen. Im Radio hört man, “die Ermittler” untersuchten auch weiterhin den Fall “fieberhaft”. Im Fieber müssen “die Ermittler” sein, denn gegen Tote wird nicht ermittelt. Oder sucht man doch einen Gehilfen oder Anstifter oder Hintermann? Wenn ja, auf Grund welcher Verdachtsmomente? Oder sucht man nach Verdachtsmomenten? Weder die Öffentlichkeit, noch die Presse, aber leider offenbar auch “die Ermittler” sind in der Lage, auf derartige Vorfälle, die in einer 90 Millionen Bevölkerung unvermeidbar sind, angemessen, rechtstaatlich und vernünftig zu reagieren. Was links und rechts damit tun, ist ganz und gar geschmacklos, allerdings von beiden Seiten, aber das passt ins Bild dieser - beidseitig - längst von allen guten Geistern Verlassenen.

Werner Arning / 10.04.2018

Ich kann mich gut an Zeiten erinnern, und sie sind noch gar nicht so lange her, da ließen die Menschen in Dörfern und sogar Städten Fenster und Türen offen. Zumindest waren sie nicht abgeschlossen. Quasi wie offene Grenzen. Man ging davon aus, dass sollte jemand hineinkommen, derjenige nichts Böses im Sinn hat. Der Hintereingang in meinem Elternhaus stand jederzeit offen, nur nachts nicht und war mal niemand zuhause, lag der Schlüssel auf der Fensterbank neben der Tür. Außen wohlgemerkt. Warum geht das heute nicht mehr. Was genau, hat sich geändert? Sogar noch vor ca. 12-13 Jahren, als wir in einem nicht allzu großen multikulturellen Mietshaus, mit einer kurdischen Großfamilie und unseren kurdischen Vermietern lebten, gab es keine Probleme. Man konnte den Wohnungstürschlüssel bedenkenlos außen stecken lassen, damit man sich etwa nicht aus Versehen ausschließt. Was ist es, was uns heute das Gefühl gibt, so offen nicht mehr sein zu können? Und warum kommt man ausgerechnet in dieser Zeit auf den Gedanken, Menschen unkontrolliert ins Land zu lassen? Gerade jetzt, wo wir uns lieber erst mal absichern wollen, das Bedürfnis haben, uns zu schützen, ein wenig misstrauischer zu sein? Würden wir selber, wenn wir eine Gefährdung erkennen, dann erst recht alle Türen und Fenster sperrangelweit aufmachen? Nein, wir würden sie wahrscheinlich erst einmal zulassen und uns vielleicht den Dackel anschaffen, den wir uns doch immer schön gewünscht hatten.

Andreas Brecht / 10.04.2018

Wie Herr Özdemir zu der Einschätzung gelangt sein könnte, dass “manche von rechts außen geradezu enttäuscht” sind, das es im Münster ausnahmsweise kein mohammedanischer Autojihad war, dem 2 Unschuldige zum Opfer gefallen sind, ist mir offen gestanden nicht ersichtlich. Die ausgesprochen naheliegende Vermutung, dass es sich auch in diesem Fall um Autojihad gehandelt haben dürfte, zu äußern, gibt das jedenfalls in meiner Welt nicht her. Aber ich bin ja auch nicht Herr Özdemir oder einer der anderen Grüninnen, der bei jedem mohammedanischem Terroranschlag (wenn er sich nicht unter den Teppich kehren lässt) nur die üblichen Trauer- und Betroffenheitstextbausteine von sich gibt, und es peinlich vermeidet die wahrhaftig nicht sehr komplizierten Schlussfolgerungen zu ziehen, die diese Terroranschläge bezüglich der Sicherung unserer Außengrenzen gegen illegale Migration und das Einsickern mohammedanischer Terroristen sowie die fehlende Integrationsbereitschaft der Anhänger des Mohammedanismus zulassen.

Anton Geiger / 10.04.2018

Ein punktgenau treffender Kommentar!

Dietrich Herrmann / 10.04.2018

Wenn ich den Özdemir-Tweet lese, vermute ich, dass der auch schon nah an der psychischen Einzelfallgrenze sich befindet. Und: Ätschi. bätschi wird wohl jetzt zur salonfähigen, infantilen Politikersprache? Lustig, dann kann man die noch viel weniger Ernst nehmen.

Georg Dobler / 10.04.2018

Wenn Jemand in einer Trauerbekundung das Wort “Ätsch” verwendet, stimmt etwas mit seiner Psyche nicht; wenn er dann auch noch bekundet dass eine andre Person nicht trauert, sollte man sich ernsthaft Gedanken machen was in Kopf und Seele dieses Jemand nicht stimmt.

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