Maxeiner & Miersch / 13.06.2014 / 23:41 / 3 / Seite ausdrucken

Goldman-Sachs, Neymar und das Klima

Das Fußball-Fieber grassiert in diesen Tagen überall, selbst die Investmentbanker von Goldman-Sachs sind davon befallen. Die Ökonomen der Bank haben ihre Computer mit ausgewählten Daten und Analysen gefüttert und ein Rechenmodell entwickelt, das den Ausgang der Fußball-Weltmeisterschaft im voraus ermitteln soll. Und zwar auf die Stelle hinterm Komma genau. Brasilien wird Weltmeister mit einer Wahrscheinlichkeit von 48,5 Prozent, Deutschlands Chance liegt bei 14,1 Prozent, Spanien bei 9,8, die Niederlande bei 5,6.

Der Haken an der Sache: Die Goldman-Sachs-Methode ist die gleiche, mit der die Banker seinerzeit die globale Finanzkrise mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,00 Prozent vorausgesagt haben. Es ist die gleiche mit der Rankings für Berge von Schrottpapiere erstellt wurden, die den großen Crash auslösten. Was mit dem Anspruch wissenschaftlich exakter Analyse daherkommt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen oft als eine Mischung aus Wunschdenken und Lotterie.

Damit das keiner merkt wird ein sprachliches Feuerwerk gezündet, das die Schlichtheit des dahinter stehenden deterministischen Denkens verbergen soll. So beschreibt Goldman-Sachs seine „Fußballstudie“ als ein „statistisches Modell“ bei dem Vorhersagen für jedes einzelne Weltmeisterschafts-Spiel auf einer „Regressions-Analyse“ der Fußball-Historie „seit 1960“ basiert. Aus „14 000 Beobachtungen“ lassen sich die „Koeffizienten“ des Modells „schätzen“ und eine „Monte Carlo-Simulation“ von „100 000 Spielzügen“ jedes einzelnen Spiels erstellen.

Der Informatiker Joseph Weizenbaum hat sich einmal darüber gewundert, dass Menschen dazu neigen, berechnete Ergebnisse eines Computers absonderlich ernst zu nehmen. Computermodelle sind gute Handwerkszeuge für Wissenschaftler um Szenarien durchzuspielen, sie sind aber keine Orakel. Sie taugen nicht für verbindliche Prognosen. Beim Fußball ist das eigentlich jedermann klar. Doch bei Klima-Modellen etwa herrscht nach wie vor allgemeine Ehrfurcht. Und dies obwohl das Klima-Geschehen mindestens genauso viele Unbekannte enthält wie ein Match Brasilien gegen Deutschland. Die Tatsache, dass Kohlendioxid potenziell die Atmosphäre aufheizt ist genauso unbestritten wie die Fähigkeit von Neymar ein Tor im Endspiel zu schießen. Ob es dann aber tatsächlich dazu kommt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Erschienen in DIE WELT am 13.06.2014

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Max Wedell / 16.06.2014

@Rupert Reiger, daß man in Bezug aufs Klima prinzipiell nichts Vernünftiges vorhersagen kann, da würde ich Ihnen nicht zustimmen. Man kann im Prinzip schon, braucht aber für eine bessere Annäherung an die Realität (die vonnöten ist) a) weit höhere Rechnerkapazitäten, b) weit umfangreichere Kenntnisse über alle beteiligten Vorgänge, und vor allem muß man die auch bis ins Detail verstehen können, c) die genaue Vermessung der Welt als Anfangsbedingung, von der ausgehend man losrechnet. Im Grunde gibt es aber schon eine Art “Computer”, der das künftige Klima herausfindet… es ist die Erde selber… allerdings braucht sie recht viel Zeit, um das Klima in 100 Jahren (auf dem Wege einer Simulation) “herauszufinden”... nämlich genau 100 Jahre. Wie Sie also deutlich erkennen können, ist es nicht prinzipiell unmöglich.

Rupert Reiger / 14.06.2014

With four parameters I can fit an elephant, and with five I can make him wiggle his trunk. Attributed to von Neumann by Enrico Fermi. Wikipedia: John von Neumann Was heist das? Nun, habe ich Daten von der Vergangenheit bis jetzt, kann ich Modelle mit Parametern so anpassen, dass jedes Modell, ob es nun gilt oder nicht, die Vergangenheit bis jetzt „fittet“, heißt die Modelle scheinen zu passen. Habe ich nun auch noch Verhältnisse und entsprechende Modelle mit sensiblen Anfagsparametern wie beim Klima oder in der Wirtschaft, das heißt minimal variierende Anfangsparameter führen schnellstens zu beliebig variierenden Folgezuständen, ist das Anpassen der Modelle an die Vergangenheit sogar noch einfacher (!!!), da beliebig variierende Endzustände schon durch kleinstes Anpassen von vergangenen Anfangszuständen anzupassen sind. Das kann mit falschen Modellen so sein und mit richtigen Modellen schon gleich. Richtige Modelle mal vorausgesetzt, was erlaubt uns das an Vorhersagen für die Zukunft? Nichts, denn wiederum führen beliebig kleine Anfangszustände (hier = Heutiger Zustand) zu beliebig schnell und groß variierenden Folgezuständen, oder kurz: In der Zeit: Nach hinten geht alles, nach vorne geht nichts. Soviel zu: Wir haben unsere Modelle an historischen Daten getestet. Natürlich kann man über die Physik mit solchen Modellen etwas lernen, nur vorhersagen kann man halt nichts. Das gilt insbesondere für die Bénard-Strömung auf der Sonne (Sonnenflecken) oder der Strömung im Erdmantel oder Meeresströmungen entsprechender Auslegung oder Luftströmungen wo es unten wärmer ist als oben (was selten vorkommt oder?): Wikipedia: Bénard-Experiment Wikipedia: Feigenbaum-Konstante Somit gilt es für das Wetter wie auch auf der langen Zeitskala für das Klima, was eben nicht nur ein Randwertproblem ist. Mag das Klima werden wie es will, von mir aus wird es auch wärmer, nur vorhersagen kann man nix.

Max Wedell / 14.06.2014

Die Klimamodelle funktionieren ganz anders als die Goldman-Sachs-Berechnung der Weltmeisterschaft. Klimamodelle versuchen, die Realität abzubilden, indem die in der Atmosphäre ablaufenden physikalischen Prozesse im Computer berechnet werden. Es handelt sich um Gleichungssysteme, deren aufwendige Berechnung hauptsächlich deshalb nicht mit ausreichender Sicherheit die realen künftigen Klima-Verhältnisse ergeben, weil a) temporale und örtliche Auflösungen (Dichte der “Punkte” in Raum und Zeit, für die man die Gleichungssysteme berechnet) aus Gründen der beschränkten Rechenkapazitäten nicht hoch genug sein können, und b) nicht alle beteiligten physikalischen Prozesse überhaupt modelliert werden, oder ausreichend exakt modelliert werden (nicht nur wegen fehlender Rechenkapazität, sondern weil manche Vorgänge in Atmosphäre oder angrenzenden Gebieten überhaupt noch unbekannt oder nicht ausreichend verstanden sind). Bei Fußballspielen kann man so allerdings prinzipiell schonmal gar nicht vorgehen, daß man ein Spiel über ein System von Gleichungen versucht zu simulieren, die die Vorgänge im Spiel beschreiben… denn es gibt ja keine Gleichungen, die die Handlungen eines Menschen analog dazu vorhersagen, wie es Gleichungen tun, die die Luftbewegung vorhersagen, wenn bestimmte Energien (kinetische, Strahlung etc.) auf die Luftpartikel einwirken. Deshalb muß Goldman-Sachs hier einen ganz anderen Weg wählen, den statistischer Methoden. Am Ende steht, da haben Maxeiner und Miersch auch ganz recht, wiederum nicht die absolute Sicherheit, was aber diesmal daran liegt, daß zum einen aus statistische Methoden am Ende sowieso nur Wahrscheinlichkeiten herauskommen können (was Goldman Sachs ja auch zugeben, wenn sie diese beziffern), und zum zweiten - und das wiegt schwerer - Fußball durch Persönlichkeiten gestaltet wird, die eben noch nicht einmal statistisch beschreibbar sind. Wenn eine Mannschaft aus irgendeinem Zufall heraus dieses Jahr, im Gegensatz zu allen anderen Jahren, ein paar ganz außergewöhnliche Spielerpersönlichkeiten hat, dann gibt es keine Möglichkeit, dies aus den Statistiken vorherzusehen… denn in den Statistiken sind die Auswirkungen solcher Spieler nicht enthalten, wenn es diese Spieler bisher nicht gab. Solche Spieler wirken aber beträchtlich auf die Ergebnisse ein, die man so gern berechnen will. Die Absicht von Goldman Sachs ist einigermaßen klar… man möchte wohl zeigen, daß man hier mathematische Expertise und leistungsfähige Computersysteme hat, um damit Kunden anzulocken (“Wow, wenn die die WM vorhersagen können, können die sicher auch berechnen, durch welche Anlagen mein Geld sich am schnellsten vermehren kann”). Man geht hier im Grunde nur das Risiko ein, daß Brasilien nicht Weltmeister wird. Daß Brasilien Weltmeister wird, dafür sprechen eine Reihe Gründe, die man auch ohne Computer finden kann. Wenn es dann auch so kommt, wird niemand feststellen können, daß Brasilien Weltmeister wurde, weil die Wahrscheinlichkeit dafür 48,5% war, oder 24,3%, oder 88,1%... d.h. die Zahlen selber sind schonmal überhaupt ganz unüberprüfbar, selbst nach der WM. Und wenn Brasilien nicht Weltmeister wird, kann Goldmann-Sachs darauf hinweisen, daß 48,5% ja nun nicht 100% sind. Blamabel wirds erst, wenn eine Mannschaft mit von Goldman-Sachs ausgesprochen niedrig prognostizierter Wahrscheinlichkeit den Titel holt. Aber offenbar hielt man dort dieses Risiko für dermaßen gering, daß man es einzugehen wagte (Wer nicht wagt, der nicht gewinnt).

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