Wir erinnern uns an die Tage, da rund um die Pegida-Märsche in Dresden und anderswo noch mehr los war. Über eines waren sich Medien und – fast alle – Politiker einig: Die “Islamisierung des Abendlandes” oder auch nur Deutschlands findet nicht statt. Wo denn auch? Sie ist ein Popanz, der eigentlich nicht der Rede wert sei, hieß es allenthalben (öffentlich jedenfalls), ein “Schreckgespenst”. Umso bemerkenswerter ist jetzt ein Beitrag im Berliner “Tagesspiegel”, gedruckt wie online, vom 17. Juni 2015, in dem mutige Frauen vorgestellt werden, die “gegen die Islamisierung des Abendlandes” vorgehen wollen, wie wir groß in der Headline lesen können. In der gedruckten Überschrift im Tagesspiegel (Seite 3) hieß es “gegen die Islamisierung in Deutschland”. Ohne Relativierung steht das da, als angenommener, akzeptierter Fakt. Also doch?
Bei den Personen, die dort mit ihrem Engagement beschrieben werden, handelte es sich um ehemalige Muslime, die passenderweise einen Zentralrat der Ex-Muslime gegründet haben, offenbar in Anspielung auf den Zentralrat der Muslime in Deutschland. “Donner und Doria” kann den Beitrag im Tagesspiegel nur empfehlen. Aber was ist jetzt mit der Islamisierung des Abendlandes und dem bisherigen Protest dagegen insgesamt?
Ebenfalls auf Seite 3 hatte der Tagesspiegel am 14. Januar 2015 die “Islamisierung Deutschlands” noch als “Schreckgespenst” bezeichnet, am 4. Januar auf Seite 1 als “fixe Idee”. Und am 26. Februar machte ausgerechnet Harald Martenstein, den man nicht unbedingt zu den politisch korrektesten Schreibern des Blattes rechnen kann, sich ebenfalls auf der Titelseite über den Begriff ausgiebig lustig: “Ablehnung der westlichen Popmusik, Zuneigung zu Feuerwaffen, Scharia statt Rechtsstaat, Angst vor Schwulen, Nebenfrauen der Scheichs, Zwangsehe – ich kann die politischen Positionen von Geis (Norbert, CSU-Politiker, D&D) beim besten Willen nicht von denen der Taliban unterscheiden. Einziger Unterschied: Er trägt keinen Bart. Die von den Rechtsradikalen behauptete Gefahr einer “Islamisierung Deutschlands” gibt es also tatsächlich, sie geht hauptsächlich von Norbert Geis aus.” Es gab noch mehr Beispiele, und natürlich noch viel mehr aus anderen Blättern, auch aus dieser Zeitung, gedruckt wie online.
Die Frauen, die der Tagesspiegel vorstellt, grenzen sich von Pegida ab, wofür es Gründe geben mag. Ob sich dabei allerdings ihre reichlich pauschale Differenzierung (“wir sind gegen den Islam, aber nicht gegen Muslime”) so eindeutig durchhalten lässt, sowohl was ihre eigenen Position als auch – in der unterstellten Umkehrung – die von Pegida, ist längst nicht ausgemacht. “Pegida hat das Thema Islam-Kritik besetzt – und diese damit für alle, die nicht fremdenfeindlich sind, fast verunmöglicht”, sagen sie. Warum eigentlich, muss das so sein? Ich dachte, es ging auch darum, Pegida den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wie soll das funktionieren? Den Mund halten?
Ein Satz, den eine der Frauen ausspricht, demonstrativ mit dem Koran in der Hand, sollte allen zu denken geben: „Ich krieg‘ die Krise, wenn es immer heißt, dass das, was der IS tut, nichts mit dem Islam zu tun habe. Alles, was die machen, steht hier drin!“ An der Stelle heißt es weiter im Tagesspiegel: “Sie wedelt das Buch durch die Luft, blättert es auf, um Textstellen zu suchen, die das Geschlechterverhältnis beschreiben. „Wenn ihr fürchtet, dass irgendwelche Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie“, liest sie vor, Sure 4:34, und fährt fort mit Sure 4:11: „Allah verordnet euch in Bezug auf eure Kinder: ein Knabe ist so viel wert wie zwei Mädchen.“ Natürlich, man ahnte es, kam da der redaktionelle Einwand, dass es auch blutrünstige Passagen in der Bibel gebe, und die ebenso erwartbare Antwort der Ex-Muslima: “Das Christentum finde ich auch nicht toll”. Aber wo sind die Christen-IS, wo die Christen-Taliban? Kommt mir jetzt nicht mit den Kreuzrittern oder der Inquisition.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass beim Tagesspiegel (den ich – einmal abgesehen vom Thema Klimahysterie – durchaus nicht als Ausgeburt eines PC-Blattes ansehe) die Diskrepanz der früheren “Linie” zu den Überschriften des 17. Juni nicht bemerkt worden wäre. Vielleicht gab es ja eine interessante Diskussion. Dürfen Muslime, beziehungsweise Ex-Musliime gegen eine “Islamisierung des Abendlandes” vorgehen, die es für uns andere gar nicht gibt, nicht geben darf?
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog Donner & Doria