Wenn man ein Flugzeug betritt und feststellt, daß die Hälfte der Sitzpolster aufgeschlitzt ist, nur ein Teil der Innenraumbeleuchtung funktioniert und etliche Gepäckfächer sowie Teile der Wandverkleidung herunterhängen, dann hat man ein mulmiges Gefühl. Das kommt daher, daß man automatisch vom Zustand der kosmetischen Oberfläche der Maschine auf den Zustand ihrer verborgenen wesentlichen Teile schließt. Die Qualität von Sitzpolstern und Gepäckfächern ist für die Flugsicherheit nicht entscheidend, aber da wir Passagiere den technischen Zustand der Triebwerke und aller wirklich wichtigen Teile nicht überprüfen können, halten wir uns an das äußere Erscheinungsbild der Kabine.
Die Fluggesellschaften tun deshalb alles, um einen guten Eindruck zu machen, da sie wissen, daß der Mensch eine natürlich Scheu hat, sich in einer aufgepumpten Druckkabine etliche tausend Meter hoch durch dünne Luft befördern zu lassen. Auch die Lufthansa, leider nur auf Platz 12 der neuesten Weltrangliste in Sachen Sicherheit, pflegt intensiv ihr Image als Inkarnation technischer Präzision und Perfektion.
Doch bei diesem Unternehmen, dem einstigen Stolz der deutschen Luftfahrt, gibt es Bereiche, die eher nach einer Mischung aus Monty Python und Bernie Madoff aussehen. Ein solcher Bereich heißt „Miles and More“. Es ist die Abteilung, welche die Flüge der Kunden zählt und ihre zurückgelegten Strecken mißt und dafür festgelegte Rabatte und sonstige Vorteile vergibt. Es soll hier aber nicht um die Rabatte und sonstigen Vorteile gehen, sondern um die tiefgreifende Frage, ob bei der Lufthansa überhaupt alles korrekt funktioniert.
Ich flog zweimal spurlos von Köln nach Berlin
Wer nämlich davon ausgeht, daß es angesichts der Vielzahl subtiler Kontrollen, denen man als Passagier bei jedem Flug unterzogen wird, für eine europäische Airline ein Leichtes ist, festzustellen, wer wann tatsächlich befördert wurde, dem möchte ich eine andere Erfahrung entgegenhalten. Vor zehn Wochen flog ich zweimal spurlos von Köln nach Berlin. Viermal durchschritt ich an den jeweiligen Flugsteigen die Sperren, viermal wurden die betreffenden Bordkarten gescannt, es gibt zahlreiche Buchungsvorgänge, die sich auf diese Reisen beziehen, doch „Miles and More“ kann meine Reisen einfach nicht nachvollziehen.
Zuerst habe ich – so ist es vorgesehen – über ein Online-Formular die nötigen Angaben gemacht und um nachträgliche Berücksichtigung der Flüge gebeten. Ergebnis: „Flugdaten wurden nicht bestätigt“. Dann habe ich bei „Miles and More“ angerufen und eine Faxnummer bekommen, an die ich meine Buchungsbelege übermitteln sollte. Nachdem ich das erledigt hatte, kam ein Brief, in dem es heißt: „Zu dem bereits eingereichten Ticket benötigen wir jedoch auch die Bordkarten.“ Nun wirbt Lufthansa, beziehungsweise ihre Tochter Eurowings, die für meine Transporte zuständig war, seit langem für die Benutzung ihrer Smartphone-Apps, in denen die Bordkarten vor dem Flug erscheinen und nach dem Flug verschwinden. Ich hatte natürlich per Handy eingecheckt. Wie soll man es nennen, wenn jetzt, viele Wochen nach dem Flug, vom Passagier die nichtexistenten Bordkarten aus Papier verlangt werden?
Die Kommunikation verläuft übrigens nach einem ähnlich totalitären Muster: Auf jede Eingabe – ob online, per Fax oder mit der Post – hört man wochenlang …nichts. Man erfährt nicht, ob bloß die Bearbeitung länger dauert oder ob man gänzlich abgeschrieben wurde. Denn die Stelle, die darüber befindet, sitzt in 33409 Verl und ist nicht zu sprechen. Von der (haha!) „Hotline“ bekommt man nur eine Faxnummer und den Rat, „den Kollegen das Ganze nochmal darzustellen“.
Diese „Kollegen“ gehören zu einer Firma namens Arvato, welche im Auftrag der Lufthansa – noch – für „Miles and More“ arbeitet, nachdem sie beim Kundenfeedback-Management wohl zu Recht vor einem Jahr rausgeflogen ist. Es handelt sich um jene Bertelsmann-Tochter Arvato, die kürzlich dafür berühmt wurde, daß sie für Facebook die Drecksarbeit im Internet erledigt: aufspüren unliebsamer Inhalte, löschen und sperren. Man kann nur hoffen, daß Arvato nicht auch eines Tages die Ersatzteilbestellungen für Lufthansa-Maschinen abwickelt, denn es macht gar keinen guten Eindruck, wenn eine Fluggesellschaft in Deutschland zehn Wochen lang keinen Nachweis darüber finden kann, daß ein bestimmter Kunde in einer bestimmten Maschine auf Platz 5A gesessen hat, als gäbe es keine Passagierlisten bei Eurowings.