Jüngst wies Achgut.com auf die grundsätzlich erfreuliche, wenngleich durchaus zwiespältige Tendenz hin, dass in letzter Zeit vermehrt Betroffene oder Insider den Weg in die Öffentlichkeit suchen, notgedrungen meist anonym. Als Mediziner vermisse ich bisher allerdings einen Insiderbericht zur zugenommenen Gewalt in den Notaufnahmen von Krankenhäusern, über die ansonsten in den letzten drei Jahren, nicht nur im Deutschen Ärzteblatt, recht häufig berichtet wurde.
So titelt beispielsweise die Welt: „Gewalt in Hamburgs Notaufnahmen eskaliert“, und das Hamburger Abendblatt sieht „Immer mehr Gewalt in Kliniken“. Auch die Sächsische Zeitung berichtet über „Gewalt in der Notaufnahme“ und erwähnt – große Ausnahme –, dass in zwei von dreizehn Fällen schwerer Gewalt Asylsuchende die Angreifer waren. Auch wer die Suchbegriffe „Messer" und „Notaufnahme" bei Google eingibt, erhält eine reichhaltige Sammlung von Vorfällen. Bei der Eröffnung des 121. Deutschen Ärztetages in Erfurt Anfang Mai nahm sich auch Thüringens Ministerpräsident Ramelow des Themas an. In Bezug auf mögliche Ursachen für Gewalt gegen Ärzte blieb er vage: Das deute auf ein „gewisses Maß an Verrohung in der Gesellschaft“ hin.
Die Rolle, die die in letzter Zeit neu zu uns Gekommenen an der Gewaltzunahme spielen, bleibt bisher im Dunkeln. Abgesehen von der oben genannten Ausnahme wird dieser Personenkreis in den Medienberichten gar nicht oder aber nur indirekt erwähnt, nämlich als Ursache für eine zahlenmäßig stärkere Inanspruchnahme der Notfallambulanzen. Ergänzt wird das allenfalls noch mit dem Hinweis, dass diese Gruppe noch nicht über Hausärzte verfüge und es aus ihrer Heimat ohnehin gewohnt sei, bei medizinischen Problemen eine Krankenhausambulanz aufzusuchen. Reicht aber dieser rein quantitative Aspekt aus, um – neben einer möglicherweise gestiegenen allgemeinen gesellschaftlichen Verrohung – die Gewaltzunahme zu erklären? Der Autor ist sich da nicht so sicher. Und dass unsere Leitmedien „kulturelle“ Ursachen für diese Gewaltzunahme nicht einmal in Erwägung ziehen, beruhigt ihn keinesfalls – ganz im Gegenteil.
Im Hafen-Krankenhaus gehts rauer zu
Selbstverständlich ist Gewalt in Notaufnahmen immer schon vorgekommen – in Abhängigkeit von der sozialen Struktur des Einzugsgebiets der Klinik. In Hamburg etwa war das Klima im mittlerweile geschlossenen Hafen-Krankenhaus deutlich rauer als in dem im schönen Stadtteil Eppendorf gelegenen Universitäts-Krankenhaus. Strukturell begünstigt wird die Gewalt durch den relativ hohen Anteil von alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Personen, nicht selten in Verbindung mit zusätzlichen psychischen Störungen.
Aber auch bei den Nüchternen erhöht eine schmerzhafte Erkrankung nicht unbedingt die Bereitschaft, manchmal stundenlanges Warten klaglos zu ertragen. Verschärft wird das Ganze nicht selten durch begleitende Angehörige, die glauben, durch energisches Auftreten die Wartezeit abkürzen zu können. Oder durch Patienten, die nach einschlägigem Googeln bereits genau zu wissen glauben, was der Arzt zu tun oder zu lassen habe. Schlussendlich erfolgt die Behandlung, anders als beim niedergelassenen Arzt, nicht in der Reihenfolge des Erscheinens, sondern die Wartezeit hängt wesentlich von der medizinisch begründeten Dringlichkeit ab, was für die Wartenden oft intransparent bleibt.
Vor diesem Hintergrund wäre es schon interessant zu erfahren, wie sich vor allem die in den letzten Jahren Eingereisten bzw. bestimmte Untergruppen von ihnen in den Notaufnahmen so verhalten. Denn in den meisten Herkunftsländern dürften Notaufnahmen von Krankenhäusern, so es überhaupt welche gibt, doch eher nach anderen Regeln funktionieren: Man sucht sie nur bei schweren Erkrankungen auf, hat besser immer etwas oder auch etwas mehr Geld dabei, und wer Rabatz macht, so er nicht irgendwie zur örtlichen Nomenklatura gehört, hat schon mal ganz schlechte Karten.
In den hiesigen Notaufnahmen dürften sich die ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter dagegen eher schwertun, den neu Eingereisten konsequent und nachdrücklich Grenzen aufzuzeigen. Die Betroffenen selbst, andere Patienten oder auch Kollegen könnten ja sonst vielleicht die Rassismus-Keule schwingen. Aber es gibt, neben den ja meist vorhandenen sprachlichen Verständigungsproblemen, noch weitere potenziell eskalationsfördernde Probleme: Wenn darauf bestanden wird, „dass Frauen von Frauen und Männer von Männern behandelt werden“, wie die WAZ berichtet. Oder wenn die hinreichend bekannte Tatsache zum Tragen kommt, dass die Mehrzahl der seit 2015 neu zu uns Gekommenen in ihrem bisherigen Leben nicht viel gelernt hat, aber über eine Eigenschaft so gut wie immer verfügt: schnell zu meinen, zu kurz zu kommen. Was – unter den Bedingungen einer Notaufnahme – in Verbindung mit einer ohnehin kurzen Zündschnur das Gewaltrisiko äußerst ungünstig beeinflussen dürfte. Aber vielleicht verhält sich ja alles ganz anders. Ich jedenfalls bin gespannt auf den ersten Insiderbericht.
Nachtrag:
Ein Kollege machte mich heute auf einen wirklich sehr interessanten Artikel eines Whistleblowers in Zeit online aufmerksam: "Erst kamen Flüchtlingen. Jetzt kommen Medizintouristen."
Der Whistleblower war drei Jahre, bis vor kurzen, als Arzt für die Bezirksregierung Niederbayern u.a. in einer Flüchtlingsunterkunft tätig. Eindrücklich, wie sich die veränderte Struktur der Asylbewerber" auch im medizinischen Alltag widerspiegelt. Das solle man den Achse Lesern nicht vorenthalten.