Der Schnee in Paris ist weggetaut. Der Pegel der Seine fällt wieder. Der Zouave hat eine Rettungsweste um – jemand hat sich die Mühe gemacht, der fünf Meter hohen Statue eine maßstabsgerechte Schwimmweste zu basteln und sie ihr überzuziehen. Solche Umweltschützer bewundere ich. Sich vom Brückengeländer abzuseilen und einer Statue eine überdimensionale Schwimmweste zu spendieren – ein witziges Zeichen, um auf die globale Erwärmung hinzuweisen. Auch wenn mal wieder Wetter mit Klima verwechselt wurde.
Der Schnee hatte gnädig die überall herumliegenden Miet-Fahrradwracks zugedeckt. Jetzt sind sie wieder zu sehen und verschandeln mit ihren Knallfarben die Trottoirs und Parks. Sie liegen überall, mit fehlenden Sätteln, verbogenen Lenkern, hängenden Schutzblechen – die Gobeebikes, die O-Bikes, die Ofo-Bikes und wie sie alle heißen. So ein Fahrrad kann sich nicht wehren, und es gibt genug Idioten, die sich die Mühe machen, es zu vandalisieren.
Manche stehen auch noch benutzbar herum, mitten auf dem Fußweg oder irgendwo anders, wo sie im Weg sind. Benutzt werden die „App-Fahrräder“ kaum. Dabei ist ein Typ, der technisch richtig interessant ist: Aluguss-Räder, einseitig aufgehängt, Trommelbremsen vorn und hinten, statt Kette eine Kardanwelle und Vollgummireifen. Ich habe versucht, es mal anzuheben und weiß jetzt, warum niemand es benutzen möchte. Und ich glaube auch, dass die Betreiber ihr Geld eher mit dem Verkauf der Benutzerdaten machen als mit dem Vermieten der Fahrräder.
Fahrräder haben keine Schwarmintelligenz
Vor einigen Wochen waren sie plötzlich in Paris da, die „App-Bikes“. Es klingt so schön grün: App herunterladen und überall losradeln, für kleines Geld die Umwelt retten. Schwarmintelligenz wird die Stellplätze schon organisieren.
Eines schönen Morgens standen plötzlich 10 solche Fahrräder vor unserer Haustür. 500 Meter weiter die nächsten zehn. Sie kommen von Firmen aus Asien, die eine Regelungslücke nutzen: Schließlich ist es nicht verboten, Fahrräder auf dem Fußweg abzustellen. Was nach wenigen Tagen daraus entstanden ist, wird sicherlich zu einem solchen Verbot führen. Denn die Aufstellfirmen haben keine genügende Infrastruktur, die sich um die armen Fahrräder kümmert. Und Fahrräder haben keine Schwarmintelligenz.
Gleichwohl gibt es in Paris seit längerem ein gut funktionierendes System von Leihfahrrädern, die „Vélib“. Für einen Euro die Stunde kann man sich so ein robustes Fahrrad von einer Station leihen und an jeder anderen Station wieder abstellen. Es gibt seit 2008 vielleicht 1.400 Stationen mit jeweils ca. 20 Fahrrädern, ordentlich betrieben und instandgehalten von der Werbefirma JC Decaux, die im Gegenzug ihre Werbeflächen in der Stadt aufstellen durfte. Dieses Angebot nahmen die Pariser dankbar an, alle 5 Sekunden wurde so ein Fahrrad ausgeliehen – sagte JC Decaux. Das funktionierte bis zum Ende des Jahres 2017 ganz gut. Dann kam das große Ärgernis.
Das Ärgernis hieß „Vélib-Metropole“. Vélib Metropole wird elektrisch, hurra! Die Stationen beherbergen jetzt 50 Prozent elektrische und 50 Prozent normale Fahrräder, unterscheidbar an der Farbe und am Preis. Elektrisch kostet zwei Euro die halbe Stunde. Die Reichweite ist 12 Kilometer, dann muss die Batterie an den Ständer. Soweit, so erfreulich. Und chic sind die Dinger auch noch. Was ist dann ärgerlich?
Ein Albtraum für die Bürgermeisterin
Ein neuer spanischer Betreiber „Smovengo“ lässt sukzessive die aufwändigen, alten Stationen gegen neue, noch aufwändigere umbauen – allerorten Fußwege und Straßen aufreißen und wochenlang absperren ist die Folge. Über 60 Stationen sind schon umgebaut. 80 sollen es pro Woche werden, wer’s glaubt, wird selig. Doch dann sind die neuen Stationen leer, oder die Fahrräder lassen sich nicht lösen, oder die Applikation ist zickig oder die Abrechnung nicht korrekt – ein Alptraum für Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris.
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Nennen wir Deutschen die neue Vélib-Misere also mit dem Mäntelchen der Nächstenliebe eine Kinderkrankheit. Denn die neuen Vélibs werden sicher noch vor der BER-Fertigstellung unterwegs sein.
Die nächsthöhere Shared-Mobility-Stufe sind die Pariser City Scooter. Die Motorroller sind elektrisch, und das System scheint irgendwie zu funktionieren, wenngleich mir völlig unklar ist, wie die Dinger geladen werden. Es gibt nämlich keine Stationen. Aber sie stehen nicht im Weg, und man sieht auch keine Wracks, sondern erschrickt höchstens mal, wenn einer dieser lautlosen Roller auf dem Fußweg an einem vorbeischrammt, verbotenerweise natürlich. Vive la tolérance!
„Frei wie die Luft“
Es gibt diverse Car-Sharing Initiativen in Paris. Eher wenig verbreitet sind die verbrennungsmotorisierten Zip-Cars. Weit verbreitet hingegen sind die elektrischen „Autolib“, die angeblich „frei wie die Luft sind“. Die stehen an ihren festen Ladestationen und die dazugehörigen halbrunden hässlichen Ausleihhütten dienen gern mal den Clochards als Nachtlager. Die Elekto-Autolibs sind zwar von Pininfarina gestylt, zumindest steht das dran, strahlen aber den Charme eines Trabants aus. Nur war der Trabant jemandes Liebling und wurde, im Gegensatz zum Autolib, gehegt und gepflegt.
Wer die Zukunft der Shared Mobility live erleben möchte, der möge sich in ein Pariser Autolib setzen. Sechs Monate nicht gewaschen, rundum verbeult wie ein alter Kanister und innen versifft und verquarzt.
Nicht alle Menschen pflegen die gleichen Standards, viele mag das nicht stören. Denn das Autolib fährt tatsächlich „libre comme air“ und bringt einen von Ladestation A nach Ladestation B. Und es ist wirklich leise und abgasfrei – schließlich produziert Frankreich 80 Prozent seines Stroms mit Kernenergie.
Mein Auto fährt mit Diesel, hat aber keine Beulen, wird regelmäßig gewaschen und ist innen blitzsauber und wohlriechend. Ich bin wohl ein zu alter Spießer für die „geteilte Mobilität“. Und wenn ich mich innerhalb von Paris bewege, nehme ich sowieso immer die Metro oder den Bus. Die fahren auch schon weitgehend elektrisch. 1.000 voll elektrische Busse schafft Paris derzeit an.