Thomas Rietzschel / 02.02.2018 / 12:00 / Foto: Villa Giulia / 30 / Seite ausdrucken

Gesehen, gelesen, gehört, verpasst: Kulturrevolution-West

Vor einem halben Jahrhundert, von 1966 bis 1976,  fegten Mao Zedong und seine Frau Jiang Qing, die Anführerin der berüchtigten „Viererbande“, mit eisernem Besen durch die chinesische Kulturgeschichte. Was nicht der kommunistischen Ideologie entsprach, flog über Bord. Museen wurden geplündert, Kunstwerke vernichtet, Universitäten geschlossen. Am Pranger stand, wer da nicht mittun wollte. Tausenden drohte das Schlimmste.

Es sollte endlich Schluss sein mit der Freiheit des Denkens und der Künste. Im einstigen Reich der Mitte ging es der Kultur an den Kragen. Die Partei rächte sich an den Gebildeten, den lebenden und an denen, die früher geschaffen hatten, was den Genossen nie zugänglich war. Die aufgepeitscht Meute trat die Geschichte von Jahrtausenden mit den Füßen. China taumelte im fernen Osten durch eine „Kulturrevolution“, die der Westen und vorneweg Deutschland  heute nachholen wollen.

Auch wenn es hierzulande vorerst noch halbwegs zivilisiert zugeht, so sind doch die Anfänge gemacht. Historisch beschränkte Eiferer schlagen der kulturellen Barbarei die Gasse. Was nicht in das Weltbild eines spießig anmaßenden Moralismus passt, verfällt dem Verdikt. So lächerlich das von Fall zu Fall anmuten mag, ernst zu nehmen sind die Rüpeleien allemal.

Der Mohr muss weg!

Gleich, ob eine Kampagne dagegen losgetreten wird, dass es in Frankfurt noch immer eine „Mohren-Apotheke“ gibt, oder ob auf Plakaten mit Gemälden von Egon Schiele intime Körperregionen überklebt werden, weil eine „Ethikkommission“ Darstellungen der entblößten Vulva oder des Penis für „zu anstößig“ hält. Dass es sich dabei um die nachträglich Zensur von Kunstwerken handelt, die vor einem Jahrhundert entstanden, spielt für diejenigen keine Rolle, deren geistiger Horizont dem einer Eintagsfliege entspricht.

Ohne einen blassen Schimmer von der Kulturgeschichte vergreifen sie sich scheinheilig moralisierend an dem, was über die Jahrhunderte auf uns gekommen ist. Wegen tatsächlicher oder unterstellter Verfehlungen der Künstler sollen ihre Werke nicht länger zu sehen sein. Tradierte Namen, die auch Zeugnisse der Vergangenheit sind, werden ausgelöscht, nur weil wir sie heute, unter ganz anderen Verhältnissen, nicht mehr gebrauchen, weil sie der political correctness widersprechen.

Eine naseweise Berichtigung der Geschichte, auf deren Schultern wir stehen. Denn immerhin verdanken sich die freizügigen Gemälde und Graphiken Egon Schieles, um bei dem Beispiel zu bleiben, nicht zuletzt dem Bestreben, sich über die Verklemmungen seiner Zeit zu erheben. Der Künstler nahm sich Freiheiten, die für uns selbstverständlich geworden sind, für manche offenbar schon wieder zu selbstverständlich.

Die Rache der Kleingeister

Aber es geht ja auch nicht um die Werke an sich, sondern um die vermutete Unmoral ihrer Schöpfer. Weil sie ihnen das Wasser nicht reichen können, sie insgeheim um ihr Genie beneiden, ziehen Sittenwächter und Betschwestern über die Kunst her. Mit ihrer Verurteilung und Aussonderung wollen die ewig zu kurz gekommen Kleingeister Rache nehmen. In der ferneren Vergangenheit sowie in die Gegenwart müssen sie auslöschen, was sie selbst nicht zustande brächten.

Der auf dem Ticket seiner Mutter Senta Berger zum „Star-Regissuer“ (BILD) aufgestiegene Simon Verhoeven machte erst vor wenigen Tagen nicht nur das „Arschloch“, den „egomanischen Schreihals“ und „Gewalttäter“ Dieter Wedel persönlich zur Schnecke. Er verlangte zugleich, seine Filme „nie wieder auszustrahlen“.

Nur, was haben Dieter Wedels Taten, für die er einstehen muss, sollte sich das bislang Kolportierte bestätigen, was haben sie mit seinen gefeierten Filmen zu tun? Sind die Publikumserfolge plötzlich künstlerisch wertlos, verwerflich, selbst womöglich ein Akt sexueller Belästigung? Haben die Selbstgerechten noch alle Tassen im Schrank?

Wie kommen sie darauf, aus acht harmlosen Versen Eugen Gomringers, einem Großen der deutschen Nachkriegsliteratur, „sexuelle Belästigung" herauszulesen, obwohl es da einzig um Alleen, Blumen und Frauen geht? Weshalb soll das Gedicht an der Außenwand einer Berliner Hochschule verschwinden? Konnten die Deppen den Text in spanischer Sprache überhaupt lesen? 

Nackte Frauen in den Armen geharnischter Männer

Vermutlich haben sie die Zeilen so wenig verstanden, wie sie in der Lage wären, die künstlerische Bedeutung eines Peter Paul Rubens zu erfassen, die malerische Kraft und den mythische Kontext von Gemälden, auf denen nackte Frauen geharnischten Männern in den Armen liegen. Gezeigt werden diese unschätzbar wertvollen Werke gerade eben in einer großen Sonderausstellung des Frankfurter Städel-Museums. Man sollte sich beeilen, sie zu sehen, bevor sie womöglich als purer Sexismus enttarnt werden.

Auch sonst ist Eile geboten. Denn wer weiß, ob es demnächst nicht zur Einrichtung einer Historikerkommission kommt, die erforschen soll, unter welchen Umständen dieses oder jenes Kunstwerk entstand, ob die Künstler es womöglich mit den Modellen getrieben haben. Um die Venus von Milo, die Bordell-Szenen von George Grosz, um Goyas „Nackte Maja“, Picassos Akte könnte es ein für allemal geschehen sein. Nicht zureden von der Grafik Gustav Klimts, darunter die Skizzen masturbierender Frauen. Schweinkram über Schweinkram, geschaffen von Männern, die die Frauen mit sexueller Gier auszogen. Schlichter geht es nicht.

Wo Bildung und Wissen um die Kulturgeschichte durch Eifer und Hysterie ersetzt werden, verfällt die Kunst dem ideologischen Urteil. Es drohen kulturrevolutionäre Zustände, ästhetische Bevormundung, Gleichschaltung und der Sieg der Einfalt über die Freiheit. Die deutsche Öffentlichkeit ist auf dem besten Wege, es den Chinesen gleichzutun, weniger brutal gewiss, doch nicht prinzipiell anders. Viel werden wir dagegen nicht ausrichten. Gibt es doch nach Albert Einstein nur zwei Dinge, die „unendlich“ sind, „das Universum und die menschliche Dummheit“, wobei er sich beim Universum „nicht ganz sicher“ war. 

Foto: Villa Giulia via Wikimedia Commons

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Karl Schmidt / 02.02.2018

Sind es Kindsköpfe? Sind es Narzissten, die Kritik oder jede Form von Abweichung vom eigenen Ideal nicht ertragen? Sind es Ungebildete, die nicht gelernt haben, die Vergangenheit in den zeitlichen Kontext zu stellen (oder diesen schlicht nicht kennen)? Ist es eine Unterwerfung, die ein mittelalterliches Sittenverständnis von Ausländern, die aus Regionen kommen, die nicht selten aus der Zeit gefallen sind, zum Maßstab hat? Sicher. Doch welche Strategie schlagen sie vor, damit wir diese Leute in den Griff bekommen? Sie werden herzlich unbeeindruckt sein - egal, wie ich oder sie das Phänomen beschreiben. Geht es nicht letztlich darum, sie öffentlich vorzuführen? Ist das nicht die Art Grenzsetzung, die früher funktioniert hat? Doch ist das im Zeitalter des Internets noch möglich? Wenn die Qualitätsauswahl - abseits des Internets - schon bei denen liegt, die sich auf dem gleichen Niveau bewegen, scheint mir das illusorisch zu sein. Im Moment erleben wir, dass die öffentliche Debatte von durchaus radikalen Netzwerken bestimmt wird. Wie wollen Sie diese Mechanismen aufbrechen? Sie beschreiben hier doch nur ein (!) Symptom dieser Entwicklung.

Dietmar Schmidt / 02.02.2018

Lieber Rietzschel, Sie haben recht, dumm sind die “Moralisten” auf jeden Fall, ja sogar saudumm aber es reicht nicht um permanent so einen Stuss von sich zu geben. Der geht, von der von Ihnen genannten Verurteilung der Kunst, Künstler und Künstlerinnen bis zu der aufgeblasenen meetoo- Debatte und Gender- Gehabe. Irgendetwas muss noch mehr dran sein als nur Dummheit, ich denke Sie können es nicht sehen, dass andere einen eigen Lebensentwurf haben und sie damit glücklich sind und vielleicht, oder wahrscheinlich, sogar glücklicher als sie selbst. Daher versuchen sie ihr “Ding” allen aufzuzwingen. Leider und ich hoffe, dass sie damit scheitern. Daher ist die Achse so wertvoll, denn sie redet/ schreibt zu den Themen Klartext. Gruß D. Schmidt

Wolfgang Salzmann / 02.02.2018

Lieber Thomas Rietzschel, sehr schön dargelegt! Nur in einer Sache habe ich Widerspruch anzumelden: Das Vorbild für diese Form von vermeintlich an Reinheit und Natur orientierter kleinbürgerlicher Spießigkeit müssen Sie gar nicht in Asien suchen: Es reicht der Blick zurück zu den ideologischen Wurzeln des nationalen Sozialismus in Deutschland. Und da fällt besonders die Lebensreformbewegung auf, die mit vielen Facetten bis heute das Denken im Grünen- und pseudo-linken Lager prägt. Im Namen dieser Bewegung, beschleunigt von der archaischen Gewalt des nationalen sozialistischen Kollektivismus unter Hitler, wurde Reinheit der Körperlichkeit und die Bekämpfung der Entartung und sexuellen Perversion (was immer das in den Köpfen der Kleinbürger auch sein mag ...) zu einem Leitmotiv der Kulturpolitik. Und gerade Egon Schiele wurde als entarteter Künstler identifiziert, der Sexualität in einer dem reinen Deutschtum fremden, ja geradezu jüdischen Weise darstellte. Wie verräterisch, dass es gerade wieder die Akteuere in der Gegenwartsbundesrepublik sind, die dem Sozialismus in einer seiner vielen schmutzig-grauen Schattierungen besonders zugeneigt sind, die sich vehement nun gegen Schieles Bilder wenden. Der Schoß ist warm und lebendig, aus dem all der Schrecken des Dritten Reiches kroch - und er predigt weiterhin Sozialismus und nun auch reine, unverdorbene Kunst!

Roland Stolla-Besta / 02.02.2018

Sehr geehrter Herr Rietzschel, danke für Ihre Anregung für eine moralische Erneuerung “dieses unseres Landes”. Da ich von Hause aus musikalisch vorbelastet bin, beschäftigen mich in diesem Zusammenhang auch unsere großen Komponisten. Etwa dieses: Daß Mozart kein Kind von Traurigkeit und ziemlich unterleibsgesteuert war, dürfte ja allenthalben bekannt sein. Und daß er mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit die eine oder andere Sängerin seiner Opern „sexuell belästigt“ haben dürfte, liegt ja auf der Hand. Bedeutet das nun, daß die Werke Mozarts auch von den Spielplänen unserer Opern- und Konzerthäuser verschwinden sollten? Noch eine weitere Idee: das Geburtshaus Mozarts in Salzburg wäre doch ein von einem namhaften „Künstler“ zu verhüllendes! Quasi aus Scham… Zu den o. a. Vorwürfen gegen Mozart habe ich eine Zeugin: Nancy Storace, die in der Uraufführung des „Figaro“ die Susanna sang. In einer spiritistischen Séance teilte sie mir weinend mit, Mozart habe sie im Jahre 1786 bei Proben mehrmals in eindeutiger Absicht am Knie berührt! Später habe er nach der Uraufführung in der Theatergarderobe der Wiener Hofburg sie zu küssen versucht, sie habe das bis heute noch nicht überwunden! Mieh-Tu-Mädels, eurer harret eine dankbare Aufgabe! Weitere Namen sind im Angebot: Verdi, Liszt, Schumann, Wagner, Puccini… Die abendländische Musikgeschichte muß durchforstet und neu geschrieben werden!

Margarete Rausch / 02.02.2018

Und irgendwie kommt es mir vor, als würde dieser Strudel des Irrsinns, der Lügen und der Zensur immer schneller und ungehemmter, immer furchterregender. Eingepeitscht von den Medien und beklatscht von einer linkslastigen Gesellschaft, die mit ihrer Meinungshoheit das Land beherrscht. Wie wird das enden? Ich fürchte mich in diesem Land.

Bettina Diehl / 02.02.2018

Als ich vor kurzem bei einem Abendessen, bei der eine “Journalistin” mit ihren beiden Söhnen (10 und12 Jahre) anwesend waren, Wilhelm Busch erwähnte, sahen mich die Jungs verständnislos an? Who the f… ist Wilhelm Busch - unbekannt. Ich fragte ungläubig nach, ob sie noch niemals etwas von Wilhelm Busch , Max und Moritz, Hans Huckebein usw. gehört hätten? Die Mutter antwortete für die beiden “der ist nicht wichtig und total überflüssig”.  Wieder was gelernt

G. Wagner / 02.02.2018

die Irise und die Sentas werden noch weinen, wenn es die Olivers und Simons erwischt. Revolutionen dieser Art fressen bevorzugt ihre Kinder!

Axel Kracke / 02.02.2018

Im besten Deutschland aller Zeiten brauchen wir dringend eine Ausstellung über solchermaßen entartete Kunst…

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