In der vergangenen Woche, am Samstag, den 6. Januar, gastierte das Deutsche Staatstheater Berlin in Goslar. Gegeben wurde ein Zweipersonen-Stück über das Wunder der Freundschaft unter Politikern. In den Rollen: Sigmar Gabriel als deutscher Chefdiplomat und neben ihm Mevlüt Cavusoglu, der Darsteller des türkischen Außenministers. Ein Kammerspiel im kleinsten Rahmen, daheim bei Gabriels mit Kaffee und Kuchen. Off-Theater statt großem Bühnenspektakel.
Über den Inhalt des Stückes, über Handlung und Ausgang können wir freilich wenig sagen. Da es sich um eine intime, nicht öffentliche Aufführung handelte, haben wir sie verpasst. Auf jeden Fall aber müssen die Schauspieler miteinander zufrieden gewesen sein. Schließlich versicherten sie sich gegenseitiger „Freundschaft", mit strahlendem Lächeln von Minister zu Minister. Beide verstehen sie sich auf ihr Fach, die Mimikry politischer Possenreißer. Den Theaterkritiker sollte diese Kunst der Verstellung überzeugen.
Gestern noch Kesselflicker, heute beste Freunde
Sind der Deutsche und der Türke doch noch gestern wie die Kesselflicker übereinander hergezogen. Bundestagsabgeordneten wurde der Truppenbesuch auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik untersagt. Gabriel warnte die deutsche Wirtschaft vor Investitionen in Erdogans Sultanat. Den Urlaubern riet er zu Beginn des letzten Sommers davon ab, an die türkischen Küsten zu reisen, indes Mevlüt Cavusoglu wiederholt verlangte, Deutschland müsse lernen „sich zu benehmen", wenn er der Regierung nicht gleich „Nazimethoden“ unterstellte.
Und nun auf einmal die Wende von Goslar, plötzlich wie aus dem Nichts. Obwohl weiterhin sechs Deutsche in türkischen Gefängnissen sitzen, nicht abzusehen ist, ob und wann Deniz Yücel je freikommen wird, hunderte deutscher Firmen am Bosporus der „Terrorunterstützung“ verdächtigt werden, und obwohl Erdogan nach wie vor auf den Rechtsstaat pfeift, über zehntausend Staatsdiener gefeuert wurden, die nun – ohne soziale Absicherung und die Möglichkeit, das Land zu verlassen – ihrer Verelendung entgegensehen, obwohl das alles unverändert so ist, wie es nicht sein sollte, lässt sich Sigmar Gabriel sichtlich gerührt von seinem türkischen Kumpel als „persönlicher Freund“ ansprechen.
Würden wir dieses Auf-und-Ab von Verurteilung und Umarmung in der Nachbarschaft erleben, womöglich da, wo es zugeht wie bei Hempels unter’m Sofa, hieße es schnell: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“ Davon kann hier freilich keine Rede sein. Natürlich wissen wir, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen kann, die Politiker nicht mit Lieschen Müller und dem kleinen Mann auf der Straße, den sogenannten „Menschen“. Schon indem sie uns mit der Gattungsbezeichnung anreden, uns darunter subsumieren, geben die politisch Handelnden ja zu verstehen, dass sie sich selbst dieser Spezies nicht zugehörig fühlen.
Ein Gebot des Durchregierens
Während „die Menschen“ eine Masse bilden, mit der etwas angestellt wird, leben die Politiker grenzüberschreitend in ihrer eigenen Community. Sie stehen einander näher als den Bürgern, die sie aushalten. Sie haben längst ihre eigenen Wertvorstellungen ausgebildet. Was unsereinem unmoralisch anmuten mag, ist für sie ein Gebot des „Durchregierens“. Auch die Lüge gehört dazu, wie wir von Jean-Claude Juncker wissen. Volk und Regierung sind auseinander gedriftet, einander fremd geworden. Sie stehen sich gegenüber, wie die Zuschauer im Parkett und die Mimen auf der Bühne.
Je weniger die da oben Herr der Lage sind, desto mehr verlegen sie sich auf die Schauspielerei, darauf, denen da unten etwas vorzumachen. Dabei gehen sie selbst in der jeweils aktuellen Rolle so auf, dass sie bedenkenlos das Gegenteil von dem verkörpern, womit sie in der vorherigen Aufführung überzeugen wollten. Gestern einander spinnefeind, liegen sie sich heute in den Armen – nicht nur in Goslar, in der guten Stube des Genossen Gabriel. Eine Schmierenkomödie, das burleske Nachspiel der Demokratie.