Schauspielerinnen und Schauspieler sind Darsteller. Dem Publikum schulden sie die Verkörperung dieser oder jener Rolle. Auf der Bühne wie vor der Kamera rühren sie uns zu Tränen, lassen uns lachen und bisweilen in Nachdenklichkeit versinken. Sie brillieren, indem sie die Charaktere geben, die ihnen der Text auferlegt. Was sie persönlich bewegt, ist dabei ohne Belang, soweit sie ihren Auftritt nicht durch private Gefühlsaufwallungen verpfuschen – und Herr ihrer Emotionen sind. Die können sie nachher Backstage ausleben. Nur hinter den Kulissen fließen die echten Tränen. Da wird gelacht, von Herzen gespottet, auf eigene Faust verhandelt und nicht selten intrigiert, bis die Fetzen fliegen. Alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
So war es, seit es das Theater gibt, so ist es, und so sollte es bleiben, wenn wir uns weiterhin für die Schauspielkunst begeistern wollen. Eine Selbstverständlichkeit, die indessen keineswegs mehr selbstverständlich zu sein scheint. Ist doch seit Wochen eine mediale Inszenierung des Kantinentratsches zu erleben, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Wo über Filme, Tragödien und Komödien zu reden und zu streiten wäre, brodelt die Gerüchteküche.
Das Eigentliche rückt in den Schatten der #MeToo-Kampagne. Frauen und Männer, die vor keiner Kamera einen verständlichen Satz herausbrächten, wollen ihren Schnitt beim Hashtag machen. Feministinnen missbrauchen die Kunst. Trittbrettfahrer spielen sich als Sittenpolizei auf. Was sie zusammenreimen, vermuten oder unterstellen, geht das Feuilleton nichts an. Darüber sieht man hinweg. Anders verhält es sich mit den Professionellen, den Mimen und ihren Geschäften. Sie sind unsere Klientel. So wie wir sie verteidigen müssen, müssen wir danach fragen, wie es dazu kommen konnte, dass sie vorzeiten ertrugen, woran sie sich jetzt traumatisch erinnern.
Fraglos gab und gibt es in Hollywood, in Berlin oder sonstwo brutale Vergewaltigungen, Straftaten, die juristisch zu ahnden sind. Wie aber lassen sich die „sexuellen Belästigungen“ erklären? Wenn es heißt, die Frauen mussten das alles, die anzüglichen Bemerkungen, den Kuss auf die Stirn, den Griff an das Knie, hinnehmen, weil sie sonst nicht für die gewünschte Rolle besetzt worden wären, wenn das so ist, dann heißt das doch auch, dass die Zudringlichkeiten mit Berechnung ertragen wurden. Sie gehörten sozusagen zum persönlichen Businessplan. Um Karriere zu machen, nahm man es mit der Unschuld so genau nicht. Das Ganze war ein Geschäft, kein sauberes, aber gleichwohl ein Handel. Mit der guten Miene zum bösen Spiel wurde der Karrierestart erkauft. Nicht immer von Erfolg gekrönt und gewiss nicht von allen, aber doch von sehr vielen, wie wir jetzt erfahren.
Verzicht auf die Laufbahn oder Bewahrung der Würde
Mit ihren ausgegrabenen Erinnerungen stellen sich die Anklagenden selbst ein durchaus fragwürdiges Zeugnis aus. Schließlich waren sie nicht gezwungen, sich den Männern zu unterwerfen. Sie hätten ihnen ebenso gut auf die gierigen Pfoten hauen können. Schlimmstenfalls wäre es mit der angestrebten Filmkarriere nichts geworden. Na und?
Im Grunde haben sich die moralisch erwachten Frauen zuvor nicht anders verhalten als eine Vielzahl der einstigen SED-Genossen in der DDR. Auch sie beriefen sich im Nachhinein darauf, dass sie nicht Schuldirektor oder Abteilungsleiter geworden wären, wären sie nicht in die Partei eingetreten. Ihre politische Unschuld galt ihnen weniger als der berufliche Aufstieg. Da wie dort konnte man sich entscheiden: Verzicht auf die Gewinn versprechende Laufbahn oder Bewahrung der persönlichen Würde. Die Verantwortung dafür hatte jeder selbst zu tragen; jeder tappte in die Falle, die er sich stellte.
Sollen jetzt alle wirklich glauben, dass die Ehrgeizigen sich dessen nicht bewusst gewesen sind, gerade in Hollywood, wo sich jede Frau, die es zu etwas brachte, der üblen Nachrede, sie habe sich „hoch geschlafen“, zu erwehren hatte? Nein, das ist, mit Verlaub, Blödsinn, pure Heuchelei. Natürlich spricht das die Männer nicht von ihrer Schuld frei! Ihr ungebührliches Verhalten bleibt ungebührlich, auch da, wo es berechnend in Kauf genommen wurde. Den Frauen daraus einen Vorwurf zu machen, steht niemandem zu, erst recht nicht dem Feuilletonisten. Jeder kann aus freien Stücken die Mittel einsetzen, die ihm erfolgversprechend erscheinen. Nur sollten die einstmals Willigen späterhin nicht die verfolgte Unschuld spielen. Nur das, nichts sonst ist ihnen vorzuhalten.
Das Moralisieren liegt mir so fern wie der Feministin Simone de Beauvoir ehedem. Sähe sie, wie C- und B-, seltener A-Promis mit der Offenbarung früherer Intimitäten heute versuchen, noch einmal die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu lenken, würden ihr vermutlich die Haare zu Berge stehen. Damit schaden sich die „Opfer“ am Ende nur selbst. Nolens volens sinken sie herab auf das Niveau des Boulevards. Ohne Grund stellen sie in Frage, was sie beruflich geleistet haben.
Auf der Bühne und im Film müssen sich die Mimen beweisen, gleich, welchen Geschlechtes sie sind. Alles andere haben sie hinter den Kulissen mit sich abzumachen, solange es nicht um Tatbestände geht, die justiziabel sind. Davon war bisher jedoch wenig zu hören.
Stattdessen wird kolportiert, was man glauben kann oder auch nicht. Klatschbasen schlagen der Prüderie die Gasse, üben Selbstjustiz in den sozialen Netzwerken und machen dabei keine bessere Figur als diejenigen, über die sie herziehen. Der Schauspielerei erweisen sie einen Bärendienst, ohne etwas an den Verhältnissen zu ändern. Denn Geschäft bleibt nun mal Geschäft, mitunter ein schmutziger Tauschhandel. Wer sich darauf einlässt, sollte nachher nicht vergessen, was er sich einstmals davon versprach.