Thomas Rietzschel / 30.04.2018 / 14:30 / Foto: Pixabay / 5 / Seite ausdrucken

Gesehen, gelesen, gehört, verpasst: Aus für den Literaturnobelpreis

Dieser Tage sickerte durch, dass man sich in der Schwedischen Akademie mit dem Gedanken trägt, 2018 auf die Vergabe des Nobelpreises für Literatur zu verzichten. Nicht weil der altehrwürdigen Nobelstiftung das Geld ausgehen würde, die paar Millionen Schwedischer Kronen (umgerechnet gut 760.000 Euro), die der oder die  Ausgezeichnete erhalten, wirft das Vermögen allemal ab; auch an Schriftstellern, die es mit früheren Preisträgern wie Elfriede Jelinek, Dario Fo oder Bob Dylan aufnehmen könnten, besteht kein Mangel. Auch sind die weltpolitischen Verhältnisse nicht so, dass es der Anstand geböte, auf die Feierlichkeit der Vergabe zu verzichten, wie das etwa 1914 und zuletzt in den Jahren von 1940 bis 1943 der Fall war.

Weder gibt es eine literarische noch eine aktuell politische Notlage, die die Jury in Bedrängnis bringt. Vielmehr ist sie soeben selbst dabei, sich das Wasser abzugraben, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Von ehemals 18 Mitgliedern sind, so der heutige Stand, nur noch 10 auf dem Posten. Einige mussten gehen, weil sie es mit der Ehre des Amtes nicht so genau nahmen, andere warfen hin, um nicht den Verdacht der Hehlerei auf sich zu ziehen.

Immer neue Skandale kommen ans Licht

Seit bekannt wurde, dass die Autorin Katarina Frostenson – vor Jahren auf Lebenszeit in das Vergabe-Gremium gewählt – ihrem Mann, dem Clubbetreiber Jean-Claude Arnault, lukrative Aufträge der Akademie zuschanzte, kommen immer neue „Skandale“ ans Licht. Nicht bloß soll das Pärchen nach Kräften in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, auch die Vorwürfe „sexueller Belästigung“ verdichten sich. Sogar der Kronprinzessin Victoria habe der Dichterinnen-Gemahl gelegentlich den Hintern getätschelt, wurde eben erst gemeldet.

Ob die erhobenen Vorwürfe gerechtfertigt sind, müssen die Ermittlungen zeigen, die von der Stockholmer Staatsanwaltschaft eingeleitet wurden, insbesondere wegen möglicher „Wirtschaftsverbrechen“. Außerdem wissen wir längst, dass in Sachen Moral unterdessen vieles nicht mehr so heiß gegessen wird, wie es in der Medien-Küche aufkocht. Im schlimmsten Fall ändert man die Vergabepraxis, wenn ein Preis fragwürdig Schlagzeilen macht, wie jüngst der „Echo“.

Natürlich lässt sich das eine nicht kurzerhand mit dem anderen vergleichen, womöglich in eins setzen. Die deutsche Auszeichnung wurde vorrangig – im Grunde ausschließlich – für den kommerziellen Erfolg vergeben. Jeder erhielt sie, wenn er genug verkaufte. Selbst das künstlerisch Belanglose wurde prämiiert, mitunter der pure Dreck. Davon konnte beim Literaturnobelpreis bisher keine Rede sein, ungeachtet der ästhetischen Zweifel an dieser oder jener Entscheidung.

Die Institutionen haben ausgedient

Und dennoch sind gewisse Parallelen kaum zu übersehen. Auch der höchsten literarischen Auszeichnung der Welt droht plötzlich das Aus, weil kommerzielle Interessen dazu verführten, das Ansehen des Preises aufs Spiel zu setzen. Dies einer einzelnen Jurorin anzulasten, wäre ebenso kurzsichtig wie scheinheilig. Schließlich hat sie sich schlichtweg nach den Regeln einer Konsumgesellschaft verhalten, in der es Usus geworden ist, den persönlichen Vorteil über alles zu setzen und das Ehrenwerte mit dem Einträglichen zu verbinden.

Wo der Profit mehr zählt als Geist und Genie, wo man schon mit einem Treffer beim Fußball „Geschichte schreiben“ kann, als „genial“ gilt, wer die Masse mit dröhnender Musik toben lässt, sollte sich niemand wundern, dass die Würde wohlfeil geworden ist. Die Institutionen, die sich die bürgerliche Gesellschaft einst schuf, um Bildung und Kunst hochzuhalten, haben ausgedient. Das gilt für den Literaturnobelpreis sowie für den PEN oder die vor sich hin vegetierenden Schriftstellerverbände.

Während sie ehedem für den Stolz eines Bürgertums standen, das den Geist respektierte, da es sich selbst auf sein Kunstverständnis etwas zugutehalten wollte,  berechtigt oder unberechtigt, fallen sie heute mit Skandalen auf, die ihre Überflüssigkeit offenbaren. Von daher wäre die Schwedische Akademie gut beraten, würde sie die Gelegenheit nutzen, den Literaturnobelpreis für immer zu begraben, statt ihn nur für ein Jahr ins künstliche Koma zu versetzen. Er wird sich danach ohnehin nur als ein anachronistischer Schatten seiner selbst wiederbeleben lassen.

Dass das einer kulturhistorischen Bankrotterklärung gleichkommt, steht außer Frage. Am Ende aber wäre dieser Verlust leichter zu ertragen als die fortgesetzte Agonie. Es blieb uns wenigstens die Erinnerung an eine große Geschichte. Der Mut, sie zu beenden, würde von einem Rest bürgerlichen Selbstbewusstseins zeugen. 

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Leserpost

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Peter Zentner / 30.04.2018

Ich wage ein Zitat: “Mit Orden und Auszeichnungen ist es wie mit Hämorrhoiden, irgendwann bekommt sie jedes Arschloch.” (Billy Wilder) — Was nicht nur für den Literaturnobelpreis gilt

Jochen Lindt / 30.04.2018

Laut Marcel Reich-Ranicki war der Lit.Nobelpreis de facto erledigt als er Elfriede Jelinek verliehen wurde. (” Sexualität als grausamer Unterwerfungsakt”).  Da war der gute MRR der Entwicklung also 14 Jährchen voraus.  Zu Herta Müller fiel ihm dann auch folgerichtig nichts mehr ein (“Kein Kommentar”).  Jetzt hat das Nobelpreiskomittee nur nachgezogen.  Mehr ist gar nicht passiert.  Modernisieren kann man das ohnehin nicht mehr. Weg damit. Was solls.  Die Weltliteratur wird schon nicht untergehen.

Roland Stolla-Besta / 30.04.2018

Seit einigen Jahren kristallisierte sich immer mehr heraus, daß entweder die Zeit der großen Literaten vorüber sein könnte, oder daß das Nobelpreis-Komitee nur noch Drittklassiges des Preises für würdig hält, der absolute Tiefpunkt war die Ernennung eines Pop-Fuzzies. Von daher gesehen dürfte der Wegfall dieses Literatur-Preises keinen großen Verlust bedeuten. Also weg damit!

Frank Holdergrün / 30.04.2018

Diese Art von anhängenden Gemahlen und Gemahlinnen sind auch bei uns omnipräsent: sie sprudeln wie Champagnerblasen an allen Orten, wo sich Ruhm und ein Bild in der Presse ergatten lässt. Vetternwirtschaft und Korruption brodelt vor allem in der bunt-pluralen Kultur, alle weißen Linien sind längst überschritten und weitere peinliche Implosionen werden folgen. Menschen sind heute bis zum kleinsten Youtube-Marketing-Influencer-Schreihals durchkorrumpiert, eine einzige große Werbeagenturblase, in der jeder jedem etwas andrehen will. Dass dies alles jetzt von oben her zusammenbricht: man findet keine Worte mehr. Jeder Satz von Thomas Rietzschel sitzt in der 12.

Sabine Schönfelder / 30.04.2018

Wer bei einer Preisverleihung noch ethisch- moralische Vorstellungen pflegt, glaubt auch an den Weihnachtsmann! In der Regel sind es Selbstbeweihräucherungsveranstaltung mit medium -elegant gekleideter AB und C-Prominenz bei Champagner und Häppchen. Preisverleihungen sind meistens dem Zeitgeist angeschlossen und beehren deshalb oft Menschen aus dem eigenen gedanklichen Dunstkreis. Das muß bei einer hervorragenden Leistung kein Nachteil sein, sollte aber nicht das einzige Auswahlkriterium bleiben. Für welchen ’ Frieden’ hat noch mal Mister Obama seinen Nobelpreis erhalten?

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