Das Theater steckt voller Überraschungen. Zuerst wurde uns monatelang eine Posse en suit geboten. Von Szene zu Szene schleppte sich auf der Berliner Staatsbühne die Rangelei der Parteien um die Macht. Wie in der Boulevard-Komödie klappten die Türen mal auf dieser, mal auf jener Seite. Kaum dass einer abging, trat der nächste aus den Kulissen. Volkstheater ohne Volksschauspieler, dafür besetzt mit Laiendarstellern, die gaben, was sie für das Beste hielten, bis sie sich zum Schluss, als keiner mehr weiter wusste, alle den Faden verloren hatten, zänkisch vereint vor dem Publikum aufstellten. Der Vorhang fiel, alle Fragen blieben offen. Das Ende eines Schwanks, bei dem wir öfter gähnten, als dass wir zum Lachen verführt worden wären. Kein großes Theater, nichts, das den Kritiker vom Stuhl gerissen hätte.
Doch wie so oft kam es ersten anders und zweitens als man dachte. Unverhofft folgte der Klamotte eine Tragödie auf den Fuß: die politische Hinrichtung Sigmar Gabriels. Obwohl ihm das Amt des Außenministers, das er derzeit kommissarisch versieht, auch für den Fall einer neuen GroKo versprochen gewesen sein soll, namentlich von Martin Schulz, wurde er kaltherzig von Bord gestoßen. Der einstige Freund wollte den Posten selbst besetzen. Von „Wortbruch“ sprach der Geschasste. Eine Aussprache, sagte er, hätte es nicht gegeben.
Rein dramaturgisch betrachtet, Stoff genug für die theatralische Gestaltung eines tragischen Konfliktes. Wie Brutus, der politische Wendehals römischer Antike, seinem Ziehvater Cäsar in den „Iden des März“, 44 v.Chr., den Dolch in den Rücken rammte, so hat Martin Schulz Sigmar Gabriel hinterrücks aus dem Weg geräumt, um Platz für sich zu schaffen. Der Abservierte versteht die Welt nicht mehr. Als sei er aus allen Wolken gefallen, stellte er bestürzt fest, seine bisherige Arbeit sei „der neuen SPD-Führung herzlich egal“. Sollte er sich in der Historie auskennen, dürfte er dabei noch im Abgang vor sich hin gemurmelt haben: Auch du, mein Sohn Martin.
Das Ende der Geschichte muss das noch lange nicht sein. Denn schon seinerzeit sah man sich „bei Philippi“ wieder. Nur zwei Jahre nach dem Cäsaren-Mord war es um den Kopf des Brutus geschehen. Martin Schulz hat den seinen unterdessen vorsorglich eingezogen. Außenminister will er nicht mehr werden, indes sich Sigmar Gabriel von seiner jüngsten Tochter in die Arme nehmen lässt. „Du musst nicht traurig sein, Papa“, soll sie ihn getröstet haben, „jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“
Da sage noch einer, der Staatsbühne unserer Tage mangele es an Tragödien.