Gerald Wolf, Gastautor / 22.06.2016 / 06:19 / Foto: Tim Maxeiner / 11 / Seite ausdrucken

Intelligenz und Vererbung: Wenn Forschung für den Zeitgeist hingebogen wird

Von Professor Gerald Wolf.

 „Die Tücken des Erblichkeitsbegriffs - Eine Antwort auf Thilo Sarrazin“ hieß ein Beitrag von Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt , der sich auf einen Text von Thilo Sarrazin bezog. Es war gleichsam eine Selbstrezension zu ihrem soeben erschienenen Buch: „Erblichkeit der Intelligenz. Eine Klarstellung aus biologischer Sicht“. Eine Klarstellung, in der die Autoren klarzustellen versuchen, dass sich die Aussagen der Genetik zur Vererbbarkeit der Intelligenz dem politischen Zeitgeschmack folgend recht einfach hinbiegen lassen. Das kann nicht unwidersprochen bleiben.

Seit jeher tun sich Politiker und Sozialwissenschaftler mit der Genetik schwer, ganz besonders dann, wenn es um die Vererbung der Intelligenz geht. Diese Last tragen zu helfen, versuchen die Autoren des oben genannten Buches, indem sie die Wirksamkeit von Genen bei der individuellen Ausformung der Intelligenz so weit wie möglich in Abrede stellen. Am Ende der Lektüre muss man den Eindruck haben, als sei die Vererbung von Anlagen zur Intelligenz lediglich Hirnprodukt einiger weniger reaktionärer Genetiker und nicht dem Bereich der Tatsachen zugehörig.

Gewiss, die Welt wäre viel einfacher zu begreifen und sicherlich auch viel schöner, würden wir Menschen uns in genetischer Hinsicht gerade einmal von den Tieren unterscheiden, untereinander aber identisch sein. Dann wären jegliche Unterschiede zwischen den Menschen allein durch die Umwelt bedingt, und diese könnte man zum Guten hin nach Belieben formen. Mit solch utopistischer Einstellung feierten einst die sowjetischen Genetiker Mitschurin und Lyssenko politische Triumphe.

Wenn es um die Vererbung der Intelligenz geht hat das Wort "umstritten" Hochkonjunktur

Sie machten sich damit bei Stalin sehr beliebt, während er – Väterchen Stalin, wie er sich gern nennen ließ – kritisch eingestellten Genetikern mit dem Gulag aufwartete. Im sowjetischen Einflussbereich wurde der Lyssenkoismus als „Feldzug gegen die faschistische und bourgeoise Genetik“ zur Staatsdoktrin. Auch in der DDR. Diese Schmach wirkt bis heute fort, so dass man in Kreisen mit sozialutopischen Tendenzen nunmehr vorzieht, von „umstrittenen“ Hypothesen zu sprechen, ganz besonders eben dann, wenn es um die Vererbung der Intelligenz geht.

In diesem Sinne, nämlich sich genetikfernen Kreisen anzudienen, ist das Buch von Fischbach und Niggeschmidt geschrieben. Vor den Augen des Lesers wird mit Begriffen und terminologischen Missverstehbarkeiten gespielt, um – ideologisch intendiert – den Leser zum Schluss gänzlich in die Unbestimmtheit zu entlassen. So wie die Autoren zudem die von ihnen ausgewählte Literatur interpretieren, wird sehr schnell klar, dass (wie einer der Rezensenten befriedigt feststellt) „Sarrazin und seine Vordenker nicht nur die gesellschaftliche Natur des Menschen verkennen, sondern dass ihnen auch naturwissenschaftliche Grundkenntnisse fehlen“.

Auf das mächtige Instrument der Zwillingsforschung gehen die Autoren gar nicht ein, geschweige denn auf deren Ergebnisse. Stattdessen Polemik, wo sachliche Auseinandersetzung gefragt wäre. Es gibt weder einen Hinweis darauf, dass die Bestimmung der Intelligenz zu den schärfsten Testverfahren der Psychologie gehört, noch eben, dass die genetischen Voraussetzungen der so gemessenen Intelligenz über die der Umwelt eindeutig dominieren. Und durchaus auch unabhängig vom jeweiligen Bildungsstand der untersuchten Personen. Weltweit hunderte von Studien, zumal Zwillings- und Adoptionsstudien, haben es gezeigt. So unbezweifelbar, dass es hierzu kaum noch weitere Forschung gibt.

Dem Problem genetisch bedingter Intelligenzunterschiede ist nicht durch Leugnen beizukommen

Dem Problem genetisch bedingter Intelligenzunterschiede ist nicht durch Leugnen beizukommen, vielmehr muss in einer wahrhaft humanen Gesellschaft alles getan werden, um jedem seinen individuellen Anlagen gemäß und möglichst weitgehend zu einem persönlichen Optimum zu verhelfen. Theodor Storm hatte Ähnliches im Sinn: „Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man zur Verfügung hat.“

Übrigens, was in der gesamten Debatte um die genetische Veranlagung zur Intelligenz fehlt, ist eine klare Aussage der für den Problemkreis zuständigen Fachverbände. Bangt man dort um die staatlichen Forschungsgelder? Etwa so wie die Klimatologen, wenn es um den angeblich CO2-bedingten Klimawandel geht?

Professor Gerald Wolf ist Hirnforscher und emeritierter Institutsdirektor. Er widmet sich in seinen Vorträgen und Publikationen und regelmäßig im Fernsehen (MDR um 11, Sendung „GeistReich“) dem Gehirn und dem, was es aus uns macht. Neben zahlreichen Fachpublikationen und Fach- und Sachbüchern hat er auch drei Wissenschaftsromane veröffentlicht.

Foto: Tim Maxeiner

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Karl-Friedrich Fischbach / 22.06.2016

Lieber Herr Prof. Dr. Wolf, wir sind ganz Ihrer Meinung: Zum Thema “Erblichkeit der Intelligenz” wäre sachliche Auseinandersetzung gefragt. Wir würden gerne mit Ihnen diskutieren, konnten aber in Ihrem Text kein einziges inhaltlich-wissenschaftliches Argument entdecken. (Auf den Vorwurf, wir machen uns bei Stalin beliebt, müssen wir nicht eingehen. Oder?) Wir stellen nirgendwo die Bedeutung genetischer Faktoren für die Intelligenzentwicklung in Frage, auch nicht individuelle Unterschiede. Auf die Art der von uns angeprangerten Missverständnisse gehen sie leider mit keinem Wort ein. Viele Grüße Martin Niggeschmidt und Karl-Friedrich Fischbach

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