Kolumne von Maxeiner und Miersch erschienen in DIE WELT vom 2.11.2007
Nichts ist schöner als gemeinsam zu schimpfen. Wir echauffieren uns beispielsweise gerne über irrationale Vorlieben und Abneigungen unserer Mitmenschen, Dann kriegen Ökologisten, Esoteriker und Homöopathen ihr Fett weg - aber keine Angst, es geht jetzt nicht schon wieder los. Wir haben beschlossen mehr Milde walten zu lassen, zumindest bis zum Ende dieser Kolumne (wir sind aber nicht ganz sicher, ob wir das durchhalten). Aber versuchen kann man es ja mal.
Schuld ist ein Marketing-Experte, der uns ein wenig ins Grübeln brachte. Anlass war eine Diskussion über die Frage, ob Biokost nun tatsächlich gesünder ist oder besser schmeckt - oder ob diese Vorteile nur in der Einbildung der Käufer existieren. Weil wir eher zu letzterer Einschätzung neigen, entgegnete er uns: „Was regt ihr euch denn so auf, ein Porsche wird doch auch nicht aus rationalen Gründen gekauft“.
Wo er recht hat, hat er recht: Mit einem Porsche gelangt man nicht schneller von Frankfurt nach Köln als mit der Bahn - und schon gar nicht bequemer. Und dennoch kostet er mindestens 50.000 Euro mehr als eine Bahncard. Die Fahrtzeit zwischen zwei Großstädten dürfte dem gemeinen Porschefahrer völlig schnuppe sein. Was vielmehr zählt ist der Geruch von Wohlstand und Dynamik, den ein solches Gefährt um seinen Besitzer herum verbreitet. Unser tägliches Leben ist voller solcher Produkte: Wer sich keinen Porsche leisten kann, greift eben zur Unterwäsche von Calvin Klein - auf das ein wenig von der schmachtenden Schönheit der Werbe-Models auf ihn abfärbe. Kurzum: Ein Unternehmen, das erfolgreich sein will, ist gut beraten kein nüchternes Produkt zu verkaufen, sondern Gefühle und Sehnsüchte.
Und diese Lektion hat die Biobranche verinnerlicht, wie ihr wachsender Erfolg zeigt. Wer ein Pfund Apfel oder Kartoffeln aus biologischem Anbau erwirbt, der tut das nur sehr vordergründig um satt zu werden. Moderne Bio-Supermärkte, wie sie überall entstehen, sind wunderbare grüne Lifestyle-Tempel, in denen die Sehnsucht nach Gesundheit und ewigem Leben, nach Reinheit und ländlicher Idylle gehandelt wird. Und obendrein liegt noch ein gutes Gewissen im Regal, was die Porschefahrer unter den Kunden besonders freut. Porsche- und Radfahrer stehen dann einträchtig an der Biosupermarkt-Kasse, alle eint das überragende Gefühl einer tadellosen Minderheit anzugehören. Das ist nicht schlimm, sondern allzu menschlich (schließlich betritt Miersch ja auch mit einer Ausgabe von DIE WELT unterm Arm die Münchner U-Bahn, um seinem Ego als exotisches Individuum zu frönen).
Aber fassen wir mal zusammen: Porsche-Automobile, Calvin Klein-Unterhosen und Biogemüse haben viel gemeinsam: Weniger das Produkt selbst zählt, als vielmehr die von ihm transportierten Sehnsüchte. Das ist kein Abschied von der Aufklärung und auch nicht das Ende des Abendlandes, sondern schlichtweg ein Privatvergnügen der Menschen. Problematisch wird es lediglich wenn staatliche Stellen sich einmischen. Beispielsweise wenn Krankenkassen - und damit die Allgemeinheit - für homöopathische Anwendungen ohne Wirksamkeits-Nachweis bezahlen müssen. Oder wenn in Schulkantinen Biokost zur Pflicht gemacht werden soll - obwohl es keinerlei Nachweis dafür gibt, dass sie gesünder ist. Es wird ja auch niemand gezwungen Calvin Klein-Unterhosen zu tragen.