Sehr geehrte Frau Lengsfeld, Dieses mal muss ich vehement widersprechen. Europa ist nicht wegen, Stunden trotz des Christentums zu dem geworden, was wir heute alle schätzen. Es waren - und sind - Dogmatismus, Engstirnigkeit und angebliche Unfehlbarkeit der eigenen Ideen schon immer die Feinde der Freiheit und gleichzeitig die bestimmenden Merkmale aller monotheistischen Religionen. Keine andere Idee neben sich zu dulden hat den Fortschritt verhindert. Die wurde erst durch die Entmachtung der KircheN in der Aufklärung in Europa zum Motor von Wissenschaft und Verbesserung. Wir sind deshalb weiter entwickelt, weil wir andere Ideen tolerieren, und das tun wir erst seit die Kirche nicht mehr die komplette Macht hat. In einer besseren Welt gibt es nicht mehr, Stunden weniger Religion in der Öffentlichkeit, den Religion sollte meiner Meinung nach Privatsache sein. Sie haben allerdings Recht, dass andere Religionen das noch weniger können als das Christentum. Wir sollten alle gemeinsam für eine Welt ohne lähmende Dogmen und rückständige Allmachtsphantasien kämpfen, ob nun von Gotteskriegern, Ökoperfektionisten oder (Inter)-nationalsozialisten.
Alles Martin oder was? Natürlich gehört Luther zu Deutschland. Schauen Sie mal, sehr geehrte Frau Lengsfeld, was heute dazu auf T-Online steht: “Prolog: Das Jubiläumsjahr überrascht mit Luther-Tomaten (besonders bissfest), Martin Luther als Playmobilfigur (die sich besser verkauft als Darth Vader, ironischerweise die dunkle Seite der Macht) und Luther-Socken (für besonders Standhafte). Nur Luther-Kondome mit der Aufschrift „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ waren der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dann doch zu viel. Immerhin gibt es am Dienstag einen eigenen Feiertag zu Ehren der Reformation. Erstaunliches also ist geschehen, in einem Land, in dem das christliche Abendland neuerdings gern bemüht wird, die Religion laut Kirchenmitgliedschaft aber auf dem Rückzug ist.” Und noch mehr lesenswertes. Besser kann man über Luther nicht schreiben. Luthers Freiheit war aber keine Freiheit für Atheisten oder die Anhänger anderer Gottheiten. Auch Sie müssen irgendwann noch einsehen, dass Freiheit Handlungs- und Entscheidungsfreiheit bedeutet, nicht etwa Denk- oder Meinungsfreiheit. Was insofern viel mit klassischer Thermodynamik zu tun hat. Es tut mir leid, mit Ihren Freiheitssätzen kann ich nicht anfangen. Mit Luther schon.
Luther hielt seine Sicht der Freiheit aber auch für alternativlos. Das kam nicht nur in seinem Antisemitismus zum Ausdruck. Er wollte der einzige, der größte Reformator sein. Sonst hätte er das, was er tatsächlich wurde, nämlich Spalter des Christentums bis in unzählige Denominationen, gebilligt. Er ist ein Urtyp der Selbstberufung. Und da, wo es ihm half, war auch er unterwürfig gegenüber Fürsten. Sein Absegnen hochherrschaftlicher Bigamie ist eine Metapher für die Reformation als geistlichem Ehebruch. Die Entstehung des modernen Europa beruht nicht auf der sogenannten Reformation, sondern (unter anderem) auf der Reibung an ihr. Aus Frankreich, Italien und anderen vorwiegend katholischen Regionen kamen bekanntlich ebenfalls wichtige Anstöße.
Alle 500 Jahre wieder? Feiertags-Anbiederei heute Nach Ramadan den Futtertag tun manche bei uns kund, als Feiertag im Bund. Da lob ich mir den Muttertag… Ganz pfiffig wär ein Buttertag: Den Armen gebt zwei Pfund! Das wäre mal ein Grund. – Warum nun dieser Luther-Tag?! Wer Reden halten will, sei frei. Dafür braucht‘s keinen Feiertag; das Wichtigtun lasst bleiben! Mein Vorschlag, statt der Frömmelei: Am Müller- oder Meier-Tag würd ich Gedichte schreiben.
Bei dieser Art von Betrachtungen, so auch hier, wird häufig die zentrale Schlüsselbedeutung des zentralen, konstituierenden Metakonzepts der antiken, griechischen Philisophie vergessen, nämlich das Konzept, dass jede Person selbst, unabhängig von Herkunft etc., strukturiert (!) und erkenntnisorientiert (!) über beliebige Themenkreise nachdenken kann und soll, statt einfach irgendwelchen Doktrinen oder (angemassten) Autoritäten nachzudackeln. Die Rhetorik, die Meinungsbeeinflussung durch Verwendung der Sprache, stammt übrigens auch von dort, allerdings zum größeren Teil aus der politischen Sphäre, genauer, aus der demokratischen Sphäre. (Luther hat diese vielfach in ihrer Wirkung verstärkt durch Einsatz des Massenmediums Buch.)
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