Eine gespenstisch rückschrittliche Vorstellung hat in Deutschland erneut Konjunktur. Der untote Wiedergänger intellektuellen Versagens ist nur unzureichend in der Aussage wiedergegeben, das Christentum gehöre zu Deutschland. Denn trotz der Uneinigkeit in der Einschätzung des Islam besteht doch der verbindende Konsens zwischen allen politischen Lagern in der noch weitergehenden Idee, das Christentum sei für Deutschland prägend und eine wichtige Säule seines Gemeinwesens.
Das Verharren großer Teile der muslimischen Welt in mittelalterlichen gesellschaftlichen Zuständen wird korrekterweise auf die dort herrschende Religion zurückgeführt. Naheliegend und begründet scheint daher, die ebenso klar erkennbare Fortschrittlichkeit der westlichen Welt als Auswirkung eines anderen, vermeintlich humaneren oder gar aufgeklärteren Glaubens anzusehen. Ein fahrlässiger Irrtum.
Nicht die Religion sondern die Geografie hat uns geholfen
Auf die Frage, warum gerade wir individuelle Freiheitsrechte (noch immer) so viel höher einschätzen, warum gerade wir auf so viel mehr künstlerische, technische und wissenschaftliche Höchstleistungen zurückblicken können, warum gerade wir vom Verbrennungsmotor bis zum Computer alles entwickelt haben, was die Technosphäre heute prägt, warum gerade wir zum Mond geflogen sind und islamisch geprägte Länder eben nicht, gibt es eine klügere Antwort: Die Geographie hat es entschieden, der glückliche Zufall unserer besonderen Position auf der Weltkarte.
Der Handel unterscheidet Menschen von Tieren. Die Fähigkeit zum gleichzeitigen Austausch unterschiedlicher Dinge zum gegenseitigen Vorteil, die Möglichkeit zur Kooperation bei unterschiedlichen Zielen, ist der Gattung Homo einzigartige Eigenschaft. Es mag Löwen geben, die sehr geschickt im Erlegen von Antilopen sind, denen aber Zebras einfach mehr munden. Es mag Löwen geben, bei denen sich dies genau entgegengesetzt verhält. Ein Treffen zweier solcher Löwen in der Savanne, die ihre jeweiligen Jagdbeuten miteinander austauschen, Antilope einer- und Zebra andererseits, wurde noch nie beobachtet. Für menschliche Jäger hingegen wäre ein solches Verhalten selbstverständlich. Der Handel schafft die Möglichkeit zur Arbeitsteilung, durch die spezifische Talente einzelner Individuen der gesamten Gruppe zur Verfügung stehen. Der Handel, der neben physischen Gütern auch Ideen und Konzepte betrifft, induziert Innovationen, die selbst als Waren dienen oder schlicht die Verteilung und Verbreitung solcher vereinfachen.
Deswegen entstand die Zivilisation immer dort, wo die Geographie den Handel begünstigte. An den Flüssen Mesopotamiens, am Nil, am Amazonas, an Indus und Ganges, am Gelben Fluß, am Yangtze Kiang und an den Küsten des Mittelmeers. China auf der einen und Europa auf der anderen Seite lagen an den Enden des längsten möglichen Landhandelsweges auf diesem Planeten. Je größer die Distanz, desto begehrter die fremdartigen Produkte, desto höher die Profite und desto wirkungsvoller die technische Befruchtung, die dem römischen und dem chinesischen Kaiserreich vor 2.000 Jahren weltweite Führungspositionen einbrachten.
Handelsrouten beförderten Kultur und Erfindungsreichtum
Allen Unterschieden in Religion, Staatswesen, Gesellschaft und Wirtschaft zum Trotz. Die kulturelle Blüte der islamischen Welt fällt nicht zufällig in die Zeit, in der mongolische Reiterhorden die Händler zwangen, ihre Routen auf den persisch-arabischen Raum zu verlagern. Das Rennen zwischen Europa und dem fernen Osten blieb unentschieden, bis die Portugiesen die Innovationen arabischer, chinesischer und europäischer Werften in Schiffe integrierten, denen der regelmäßige Vorstoß auf die Weiten des Atlantiks möglich wurde. Weil dieser kleiner ist als der Pazifik, weil auch Strömungen und Windsysteme günstigere Bedingungen bieten, haben wir und nicht die Chinesen den amerikanischen Kontinent kolonisiert. Was unser Wissen und unser Bild der Welt entscheidend erweiterte. Wir konnten die Aufklärung einleiten und wir erfuhren die Notwendigkeit der industriellen Revolution, die allein die wachsenden Bedarfe immer größerer Märkte zu stillen in der Lage war.
Die Gegenwart markiert eine Zeitenwende. Unser Vorsprung schmilzt dahin, weil der Dieselmotor in Schiffen, Eisenbahnen und Lastkraftwagen einerseits, die Flugzeugturbine andererseits und natürlich globale Kommunikationssysteme die Geographie obsolet machen. Nicht nur China holt in Jahrzehnten den Rückstand von Jahrhunderten auf. Auf der ganzen Welt steigen Produktivität, Wertschöpfung und Wohlstand. Das ist keine Bedrohung, sondern ein großer Gewinn für alle. Je mehr Menschen miteinander handeln, desto effektiver funktioniert die Arbeitsteilung, desto mehr neue Ideen und Innovationen entstehen, desto mehr steigt der Wohlstand und desto mehr Freiheit und Freiraum gewinnt jeder Erdenbürger.
Der Handel ist Gaspedal, Religion die Bremse
Wo der Handel das Gaspedal des Fortschritts ist, sind Religionen dessen Bremse. Religionen schätzen die Individualität gering und propagieren Konformität. Sie dienten und dienen der Absicherung der Herrschaft von Eliten über ein gleichgeschaltetes Kollektiv. Nichts fürchten sie mehr, als technologische Neuerungen, die immer auch gesellschaftliche Veränderungen induzieren und dadurch eine Gefährdung ihrer Position darstellen. Eine allen Priesterkasten im Verlauf der Geschichte gemeinsame Taktik bestand darin, Wissen exklusiv zu nutzen und es dem Rest der Gesellschaft vorzuenthalten.
Man denke an steinzeitliche Schamanen und deren Kenntnisse über die Natur, beispielsweise hinsichtlich der Heilwirkung bestimmter Pflanzen. Man denke an Astronomie (Kalender), Schrift oder chirurgische Medizin. Ergänzt wurde diese Vorgehensweise durch den Ansatz, bestimmte Technologien zu verbieten, zu ächten und zu bekämpfen, ein Konzept, dem die meisten Kirchen immer noch folgen. Religionen blockierten und blockieren auf diese Weise den freien Austausch von Ideen und die Kooperation über kulturelle Grenzen hinweg.
Der Westen hat die Religion weitgehend neutralisiert, weil seine geographische Lage den Handel beförderte und dadurch technische und gesellschaftliche Fortschritte schneller Realität werden ließ, als in anderen Weltregionen. Dies erst ermöglichte die Formulierung und Etablierung individueller Freiheitsrechte. Die in jedem Schritt gegen und nicht etwa mit oder gar durch das Christentum als kollektivistischer Ideologie erkämpft wurden. Wäre Mohammed ein Römer gewesen und hätte Konstantin den Islam zur Staatsreligion erklärt, hätte Jesus das Christentum Jahrhunderte später in Arabien verbreitet, wären die Glaubensrichtungen heute anders verteilt, aber die Welt sähe ansonsten nicht anders aus. Länder wie Saudi Arabien oder der Iran halten dem Westen einen Spiegel vor, in dem er Teile seiner eigenen Vergangenheit erkennen kann.
Saudi Arabien und Iran als Spiegel unserer Vergangenheit
Das Christentum ist nicht die bessere Religion. Diese unbegründete Arroganz gegenüber Andersgläubigen sollte abgelegt werden. Es gibt vernünftige Christen und es gibt vernünftige Moslems - und es sind jeweils die, die ihre Religion nicht wirklich ernst nehmen.
Wenn die AfD sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, kann man ihr nur applaudieren. Dieser Satz darf nicht abgeschwächt werden, indem man zwischen einem "politischen Islam" und einem anderen unterscheidet. Denn jeder Religion wohnt der Anspruch inne, die Politik auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu prägen. Das Spektrum reicht von Bestrebungen, muslimischen Schülern den Zugang zu bestimmten Bildungsinhalten zu verwehren bis hin zu der unrühmlichen Rolle, die christliche Würdenträger in diversen Kommissionen zur Fragen der Gen- und Biotechnologie oder der Energieversorgung spielen. Eine moderne Gesellschaft, die sich anschickt, synthetische Organismen zu erschaffen und künstliche Intelligenzen, sollte sich mit solchen Themen nicht auf der Grundlage von Dogmen beschäftigen, deren Ursprung in antikem Aberglauben liegt.
Das ist kein Angriff auf die Religionsfreiheit, privat mögen die Menschen ihre Spiritualität ausleben, wie es ihnen gefällt. Aber in politischen Entscheidungsprozessen haben Religionen nichts mehr verloren. Als prägendes Element des öffentlichen Lebens sind sie nicht nur überflüssig, sondern schlicht eine Behinderung. Das waren sie schon immer. Und deswegen gehören beide nicht zu unserer Zukunft, weder der Islam, noch das Christentum.