Peter Grimm / 13.10.2016 / 17:26 / 1 / Seite ausdrucken

„Gegen Integration und Ausgrenzung“: Wie geht denn das?

Jeder Bewohner dieses Landes wird schon seit Jahren immer wieder darüber aufgeklärt, dass Ausgrenzung etwas Schlechtes ist, wohingegen Integration anzustreben, zu fördern und aktiv zu unterstützen sei. Das gilt nicht nur für Zuwanderer, sondern für viele Personengruppen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie ohne Hilfe von eigens eingerichteten Institutionen benachteiligt werden würden. Seit der „Flüchtlingskrise“ überlagert die gewünschte Integration von Zuwanderern alle anderen Integrationsarten, die sonst noch auf der politischen Agenda stehen. Und hier kann man sich darauf verlassen, dass fast jeder, der kein Rechter ist, gelernt hat, dass Integration gut und Ausgrenzung schlecht ist. Sollte dem wirklich mal jemand widersprechen, so sieht der das zumeist einfach umgekehrt.

Doch heutzutage können selbst solche simplen Weltanschauungsgrundsätze ins Wanken geraten. Ausgerechnet von links kommt eine ganz verwirrende Position. In München wird für den 22. Oktober zu einer Demonstration aufgerufen und das Motto ist „Gegen Integration und Ausgrenzung!“ Als unbedarfter Nicht-Ideologe ist man ja nicht mit allen ideologischen Gedankengängen vertraut. Nur logisch gedacht, fragt man sich: Was denn dann? Für eines von beiden muss man sich doch schon entscheiden, wenn einem nicht völlig egal ist, was mit den Zuwanderern hierzulande geschieht und man sie nicht einfach sich selbst überlassen will. Oder wollen die „gegen Integration und Ausgrenzung“ protestierenden Revolutionäre solch überholte Begriffe wie Assimilation oder Volksgruppenbildung wieder in die Zuwanderungsdebatte einführen?

Keine Angst. Wenn man bei Ideologen eines nicht fürchten muss, dann ist es der Wunsch nach einem differenzierteren Blick auf die Wirklichkeit. Auf indymedia.de bekommt der interessierte Leser die paradox anmutende Forderung ganz einfach erklärt. Also einfach für Ideologen. Wir Nicht-Ideologen können das Verständnis ja jetzt einmal üben. Wir lesen:

„Im Herbst soll im Landtag über das bayerische Integrationsgesetz abgestimmt werden. Laut der Regierung soll das Gesetz möglichst schnell auf den Weg gebracht werden, um die zwischenzeitlich gestiegene Anzahl an Geflüchteten und Migrant*innen erfolgreich zu „integrieren“; es soll die als chaotisch inszenierte Lage unter Kontrolle gebracht werden. „Fördern und Fordern“ nennt sich das Konzept: Gefördert wird unterhalb des Existenzminimums im Rahmen sog. Anreizabminderungen, gefordert wird Unterwerfung.“

Unterwerfung? Tatsächlich? Wird die Rücksichtnahme auf islamische Regeln bei der Asylbewerberunterbringung und -versorgung in Bayern künftig nicht mehr praktiziert? Oder noch schlimmer: Müssen sich die Zuwanderer etwa aufs Deutschtum einlassen? Die Demonstrationsorganisatoren befürchten offenbar genau das:

„Alle von dem Gesetz Betroffenen werden auf eine vage umrissene „deutsche Wertegemeinschaft“, und eine „Leitkultur“, verpflichtet. […] In diesen integrierenden Maßnahmen werden Menschen, die sich dem Leitbild der paternalisierenden CSU nicht unterordnen wollen gezwungen, eine von ihnen nicht gewählte, konstruierte Kultur anzunehmen.“

Manch uneinsichtiger Eingeborener könnte darauf bestehen, dass seine Kultur nicht konstruiert, sondern gewachsen ist. Auch ließe sich einwenden, dass Asylbewerber dieses Land bewusst als Ziel ihrer Auswanderung gewählt haben, denn auch wenn sie daheim verfolgt wurden, so waren ihnen die Verfolger ja nicht bis zur deutschen Grenze auf den Fersen, oder? In dem Moment, in dem ich das schreibe, muss ich allerdings eingestehen: So schön das letzte Argument klingt, es ist nicht ganz richtig. Denn die Einladung an die Zuwanderer, in großer Zahl unkontrolliert einzureisen, hat neben den Verfolgten oft auch gleich den Verfolgern einen Weg nach Deutschland geebnet. Dennoch hätte jeder Asylbewerber, dem die hiesige Kultur zuwider ist, sich einen kulturell besser passenden Zufluchtsort suchen können.

Damit wir nicht mit solchen Gedanken vom richtigen Weltbild ablenken, erklären uns die Genossen Demonstrationsorganisatoren in weltanschaulich klaren Worten noch einmal, warum am 22. Oktober in München protestiert werden muss:

„Das bayerische Integrationsgesetz stellt eine der repressivsten, rassistischsten und neoliberalsten Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre dar.“

Zu repressiv und gleichzeitig zu liberal zu sein, das muss man erst einmal schaffen. Aber es klingt schon gefährlich und wer das jetzt noch nicht begriffen hat, bekommt es noch einmal klar gesagt:

„Es muss aber im Kontext eines allgemeinen Rechtsrucks in Deutschland und Europa betrachtet werden. Während rechte Massenmobilisierungen die Ressentiments von Internetkommentarspalten auf die Strassen spülen, droht die völkisch-nationalistische AfD bei der kommenden Bundestagswahl drittstärkste Kraft zu werden. Währenddessen gießen Vertreter*innen der etablierten Parteien Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulist*innen, in dem versucht wird, ihnen mit Forderungen nach mehr Abschiebungen, Obergrenzen, Zäunen und zahlreichen rhethorischen Entgleisungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, was auch Ausdruck des gesellschaftlich verankerten Rassismus der Mitte ist.“

Rechtsruck und „Rassismus der Mitte“, der von der CSU bis zu den Grünen gepflegt wird, dagegen wollen die Genossen, die wir hier zitieren, aufstehen. Sie sind ja schließlich nicht einfach so gegen Integration und Ausgrenzung, sondern sie wollen sich deutlich von den Anhängern der SPD und der Grünen abgrenzen, die am gleichen Tag nach München kommen, um gegen das gleiche Gesetz zu protestieren. Die sind aber nicht so konsequent. Die sind nur gegen Ausgrenzung, aber nicht gegen Integration und damit Teil des Rechtsrucks, oder wie war das? Egal, letztlich geht’s doch nur um eines:

„Kommt am 22.10 in den antikapitalischen Block. Lasst uns sowohl CSU, als auch SPD und Grünen zeigen, was wir von ihnen halten!“

Ratlos stehe ich vor diesem Schlusssatz: Ist „antikapitalisch“ ein neuer Begriff für das alte „antikapitalistisch“? Ist es vielleicht ein Teil der gerechteren Sprache oder ein widerständiges Zeichen gegen das bürgerliche Diktat der deutschen Rechtschreibung? Oder einfach nur ein Fehler? Nein, so leicht wollen wir es uns nicht machen. Wir wollen doch die Ideologen verstehen lernen. Wären die hier zitierten Genossen nicht gegen Integration, dann könnten sie ja Integrationskurse anbieten, damit wir besser nachvollziehen können, was sie umtreibt.

Alle Zitate aus dieser Quelle.

Zuerst erschienen auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.

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Tom Hoffmann / 14.10.2016

Bekanntlich dauert der Umbau vom kindlichen zum erwachsenen Gehirn unter Umständen bis zum 25. Lebensjahr. Bei diesem Prozess kann schon mal das ein oder andere schief gehen. Im Bestreben die Welt zu verbessern,  möglicherweise ohne von Mutter Natur dafür mit den entsprechenden Geistesgaben ausgestattet worden zu sein, verfällt man gerne der Vorstellung besonders absurd sei besonders intelligent im Sinne von progressiv. Nur weil man sich beim Erwachsen werden in eine Utopie verrennt, gemeinsam mit anderen vielleicht, und sich der Hybris der Jugend hingibt, bleibt es doch eine Utopie. Für deren Scheitern am Ende andere bezahlen. Eltern können ein Lied davon singen.

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