Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 25.06.2015 / 08:46 / 8 / Seite ausdrucken

Gefangen in der hellenischen Endlosschleife

Die beste Karikatur zur griechischen Krise erschien vor kurzem im Daily Telegraph. Auf fünf deckungsgleichen Bildern erscheint die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit erhobenem Zeigefinger warnt sie ihr griechisches Gegenüber jedes Mal: „Das ist Ihre letzte Chance.“ Lediglich die Jahreszahl ändert sich von Bild zu Bild: 2011, 2012, 2013, 2014 und 2015. Touché!

Tatsächlich schleppen wir die griechische Schuldenkrise schon mehr als fünf Jahre mit uns herum, daher gehört in die Karikatur noch das Jahr 2010 als erstes Bild. Noch erstaunlicher: Alle bisherigen Lösungsversuche folgten demselben Muster: endlose Verhandlungen, Ultimaten, Deals in letzter Minute – jeweils gefolgt von der Versicherung, dies sei nun aber der letzte solche Deal.

Hätte jemand 2010 vorhergesagt, dass wir fünf Jahre später immer noch über dieselben Fragen mit Griechenland streiten würden, er wäre für verrückt erklärt worden. Inzwischen ist aber die Vorhersage nicht völlig abwegig, dass wir auch 2020 noch über Griechenland und seine Schulden beratschlagen werden. Der politische Wille, mit der griechischen Frage ein für alle Mal abzuschließen, ist einfach nicht vorhanden, da eine politisch tragfähige Option fehlt. Was immer auch in Brüssel diese Woche entschieden wird, das Drama geht weiter.

Das Land hängt weiter am Tropf

Gehen wir also davon aus, dass zum Ende dieser Woche alles wie üblich beschlossen wird. Dann verlängert die Europäische Union den Griechen zähneknirschend das Rettungspaket, gibt ein paar Milliarden Euro frei und setzt die lebenserhaltenden Maßnahmen für das griechische Bankensystem fort. Im Gegenzug verspricht die griechische Regierung, eine Reihe von nebelhaften „Maßnahmen“ ergreifen zu wollen.

Mithin genau die Art von Deal, die wir bereits kennen. Das Ergebnis ist schon jetzt bekannt. Griechenland hält sich noch ein paar Monate über Wasser, bis ein neues Rettungspaket angefordert wird. Schon jetzt munkelt man von einem dritten Rettungspaket für Griechenland, bevor das zweite überhaupt abgeschlossen ist.

Es ist einfach nicht sehr plausibel, von den neuen griechischen Vorschlägen irgendwelche nachhaltigen Ergebnisse zu erwarten. Sie wurden ja erst in letzter Minute vorgelegt, damit die EU keine Möglichkeit hat, sie eingehend zu prüfen. Ohnehin hat die derzeitige griechische Regierung kein Interesse, die Forderungen der EU nach echter Strukturreform und Austerität zu erfüllen.

Was die griechische Regierung an Stückwerk vorgelegt hat, zeigt ihre mangelnde Ernsthaftigkeit beim Anpacken von Reformen auf. Anstatt das Rentenalter zu erhöhen, will sie die Beiträge in die Rentenkasse anheben. Anstatt wachstumssteigernde Reformen in Angriff zu nehmen, will sie das Steueraufkommen erhöhen.

Ungeeignete „Reformen“

Keine dieser Maßnahmen hat das Potential, die Produktivität zu steigern oder mehr Wachstum zu generieren. Im Gegenteil werden massive Steuererhöhungen Griechenland wahrscheinlich noch tiefer in die Rezession treiben. Es ist irrsinnig zu glauben, Griechenland ließe sich allein durch Steuererhöhungen reformieren.

Und was geschieht als nächstes? Das dritte förmliche Rettungspaket wird angefordert werden. So, wie die Dinge stehen, führt daran kein Weg vorbei. Auch wenn Griechenland die letzte noch verbleibende Tranche des aktuellen Pakets erhält, wird das Geld ja umgehend zur Begleichung von Altkrediten verwendet. Die wirtschaftliche Lage Griechenlands verbessert sich dadurch nicht.

Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Griechenland weitere Unterstützung benötigt. Und dann stehen wir wenige Monate später wieder da, wo wir jetzt sind. Wieder eine akute Krise, wieder geht Griechenland das Geld aus.

Warum gibt es kein Entrinnen aus diesem Teufelskreis?

Weil das Krisenmanagement der EU sich immer nur mit den Symptomen der Krise Griechenlands befasst. Dass der griechischen Regierung regelmäßig das Geld ausgeht, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.

Schieflage der Handelsbilanz bleibt

Um innerhalb der Eurozone zu überleben, muss die griechische Volkswirtschaft wettbewerbsfähig sein. Sie muss annähernd so viel exportieren, wie sie importiert. Derzeit ist sie davon weit entfernt.

Mit den vereinten Anstrengungen der EU lässt sich zwar die griechische Regierung über Wasser halten, aber die Wirtschaft in Griechenland wird so nur dahinsiechen. Weder könnte sie Wachstum, noch Arbeitsplätze oder Steuereinnahmen generieren. Unabhängig von der Höhe der Unterstützung für die griechische Regierung würde die griechische Volkswirtschaft dadurch nicht wettbewerbsfähiger.

Daher ist davon auszugehen, dass über kurz oder lang das Thema wieder auf die europäische Tagesordnung kommt.

Gibt es eine Alternative zu diesem Szenario? Um den Zyklus zu durchbrechen, bietet sich nur eine Option, nämlich die griechische Mitgliedschaft in der Eurozone zu beenden. Solange das Land in der Eurozone bleibt, kommt es nicht wieder auf die Beine, da der Weg zur externen Abwertung versperrt ist.

Zurückschrecken vor der Wahrheit

Und warum muss Griechenland drin bleiben? Weil mit dem Moment des griechischen Ausscheidens aus der Eurozone die Folgen für die Gläubiger äußerst unangenehm sein werden. Dann müssten sie nämlich Verluste aus ihren Bürgschaften und Krediten realisieren.

Die ganze Dramatik dieser Woche ist mit dem Plot des Hollywoodfilms „Und täglich grüßt das Murmeltier“ treffend beschrieben. Derartige Krisen hat es bereits gegeben, und auch in Zukunft werden wir noch viele solche Krisen erleben.

Die Situation in Griechenland wird sich nur verbessern, wenn das Land das tun darf, was es schon vor fünf Jahren hätte tun sollen: Staatsbankrott erklären, die Eurozone verlassen und durch Abwerten der neuen Währung wieder wettbewerbsfähig werden.

Geschieht dies nicht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Krise wieder aufbricht. Dann können wir alte Karikaturen recyceln, lediglich das Datum müsste geändert werden.

Derzeit ist kein Ausweg aus dieser Endlosschleife in Sicht.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘It’s Groundhog Day for Greece’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 25. Juni 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).

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Leserpost

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Rene Havekost / 27.06.2015

In Deutschland wird es nur zu Aufständen und einem anderen Wahlverhalten kommen, wenn definitiv und unverblümt, dem kleinen Steuerzahler ein Soli für Griechenland direkt vom Lohn abgezogen wird. Das ist etwas was jeder sofort verstehen kann. In verschleierter Form findet das bereits schon seit langem statt, aber da man ständig von Bürgschaften faselt, hält sich der Unmut noch in Grenzen, obwohl ein Hans Werner Sinn, sich tagein tagaus den Mund fusselig redet, darüber, dass von reinen Bürgschaften keine Rede sein kann, denn die Stabilität des Euros, steht durch das ungehemmte Anwerfen der Gelddruckpresse auf dem Spiel. Die Propagandarede von Zipras, im griechischen Parlament, zum eiligst anberaumten Volksentscheid ganz aktuell ist an scheinheiligen Unterstellungen nicht mehr zu Überbieten. Die Geldgeber wollen das tapfere und stolze griechische Volk weiterhin nur demütigen und in die Knie zwingen. Welch eine Farce. Gibt es in Griechenland niemanden, der den Mut besitzt und seinem Volk endlich einmal reinen Wein einschenkt und die Menschen nicht ständig mit Uzo besoffen macht. Wo verbergen sich die Klarsichtdenker a la Platon, Sokrates oder Aristoteles? Auch hierzu passt wohl wieder einmal die alte chinesische Weisheit, die da lautet:  „ Wer die Wahrheit sagen möchte, sollte ein schnelles Pferd besitzen“;  heute müsste es wohl ein Formel 1 Rennwagen sein.

Klaus Kalweit / 25.06.2015

Nach Prof. Sinn beziehen die Griechen seit Februar täglich für eine Milliarde Waren aus Deutschland, die über Target-2 verrechnet werden. Inzwischen ist der griechische Saldo auf über 100 Milliarden angewachsen. Zusätzlich fließen noch durchschnittlich 200 Millionen täglich an Notfallkrediten, um die griechischen Banken vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Rechnerisch sind das pro Tag und Grieche 100 Euro. Für Deutschland ist es ein gigantisches Konjunkturprogramm, das allerdings mit “frischem” Geld finanziert wird. Für die griechische Wirtschaft wirkt dieses System tödlich, den warum sollte sie produzieren, wenn die Produkte einfach importiert werden können und nicht gleich bezahlt werden müssen, das Zahlungsziel beträgt nämlich bis zu drei Jahre. Formal führt dieses Vorgehen nicht zu anwachsenden Schulden, es wird lediglich “angeschrieben”, irgendwann muß bezahlt werden. Realistisch gesehen wird das kaum geschehen. So wächst das Problem abseits der öffentlichen Diskussion weit stärker an als wahrgenommen.

Marc Bisop / 25.06.2015

“Die ganze Dramatik dieser Woche ist mit dem Plot des Hollywoodfilms „Und täglich grüßt das Murmeltier“ treffend beschrieben.” Sorry, lieber Dr. Hartwich, das stimmt so nicht: Im Film wird Phil (Bill Murray) durch einsetzende Lerneffekte immer besser, bis er dann so gut geworden ist, daß er seine Rita (Andie MacDowell) doch noch bekommt. Also keine Endlosschleife wie bei Griechenland, sondern ein echtes Happy End. Ansonsten haben Sie natürlich Recht, leider…

Philipp Richardt / 25.06.2015

“Hätte jemand 2010 vorhergesagt, dass wir fünf Jahre später immer noch über dieselben Fragen mit Griechenland streiten würden, er wäre für verrückt erklärt worden.” Der vielverlachte “Stammtisch” sagte dies vor 5 Jahren voraus und wurde deshalb von der Presse in Deutschland verbal geschuhriegelt. Dem deutschen Bürger war klar, was der deutsche Politiker erste nach fünf Jahren und Milliarden von verbrannten Euros klar wurde - Griechenland ist ein Fass ohne Boden.

Herwig Mankovsky / 25.06.2015

Südländische Schlitzohrigkeit trifft auf deutsche Naivität. Was soll da schon anderes dabei herauskommen?

Wolfgang Kellner / 25.06.2015

Wenn Sie sich die Karikatur mal genauer ansehen, werden Sie abgesehen vom Jahr durchaus noch weitere kleine, interessante Unterschiede finden. Spot the difference.

Hans Peter Kovacs / 25.06.2015

Nein, außer den Jahreszahlen ändert sich doch noch etwas: Die Blumen in der Vase auf dem Tisch welken zusehends dahin ...

Albert Harmann / 25.06.2015

Diese Art von “Politik” geht solange weiter, wie wir als Wähler solche “alternativlosen” Politiker im Amt bestätigen. Wer das nicht mehr will, muss sein Kreuz woanders machen - oder wenigstens ungültig stimmen. Schon das könnte manches ändern, wie eine Grafik nach der Bremen-Wahl deutlich machte, bei der die 50% Nichtwähler einmal eingerechnet waren und SPD, CDU und Grüne auf einmal zu Zwergparteien degradierten!

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