Karim Dabbouz / 29.06.2016 / 06:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 4 / Seite ausdrucken

Gefährliche weiße heterosexuelle Männer

Von Karim Dabbouz

Linke weiße Menschen nehmen ja gerne die Schuld für alles Leid der Welt auf sich, schließlich sind sie ja auch an fast allem schuld. Besonders gefährlich sind weiße heterosexuelle Männer, wobei der linke weiße heterosexuelle Mann noch immer besser ist als all die anderen Kartoffeln. Er ist sich seiner Weltschuld immerhin bewusst, was das Leben für ihn ein bisschen erträglicher macht und ihn zu einem besseren Menschen.

Eigentlich könnte ich mich als nicht weißer Mann ja freuen, immerhin habe ich im Gegensatz zu den anderen Bleichnasen nur zwei Mankos, nämlich meine sexuelle Orientierung und mein Geschlecht, wobei ich mir vorgenommen habe, es nach der nächsten gescheiterten Beziehung einmal mit einem Mann zu probieren. Dann hätte ich praktisch zwei Drittel aller Schuld von mir genommen und dann wäre die Welt vielleicht ein bisschen besser.

Vor einigen Tagen veröffentlichte ein junger Mann in meinem Alter einen Text auf ze.tt, das ist das relativ neue Angebot des ZEIT-Verlags für junge Menschen, also eine Vice mit einem penetrant moralistischen Unterton. In diesem Text macht er auf die große Gefahr aufmerksam, die der weiße heterosexuelle Mann tagtäglich in die Welt trägt. Dort erfahren wir, wie wichtig es sei, dass weiße heterosexuelle Männer sich ihrer Bedrohung für ihre Mitmenschen, vor allem für Frauen, bewusst werden. Wenn der Autor, Mark Heywinkel heißt er, nachts durch die Straßen geht, läuft er jungen Frauen deshalb nicht einfach minutenlang hinterher, sondern überholt sie, damit sie sich von seiner Hautfarbe und sexuellen Orientierung nicht bedroht fühlen. Auch hat er ein komisches Gefühl, wenn er eine Frau, die er noch nicht so lange kennt, sofort zu sich nach Hause einlädt, statt sich mit ihr zunächst in der Öffentlichkeit zu treffen. Das ist schön und ein Zeichen sozialer Kompetenz, wie ich finde.

Das einzig gefährliche in Berlin ist der weiße Hetero-Mann

Dann aber: Ich sitze da, lese den Text und die Zahlen, die Mark Heywinkel zur Untermauerung seiner These, der weiße heterosexuelle Mann sei besonders gefährlich, darlegt. Da wäre zum Beispiel die wenig erstaunliche Information, dass 75 Prozent aller Gewalttaten auf das Konto eines Mannes gehen. Dass diese Gewalttäter alle weiß sind, gibt die Polizeiliche Kriminalstatistik allerdings nicht her, schließlich wird die Hautfarbe dort nicht erfasst. Einzig zwischen deutschen und ausländischen Straftätern wird unterschieden. Straftäter mit Migrationshintergrund sind Deutsche und werden deshalb als Deutsche gezählt, ist ja klar. Kurzum: Niemand weiß, ob Straftäter weiß sind, selbst die Politik nicht und erst recht nicht Mark Heywinkel oder ich. Und dann wäre da ja noch die Frage, wann jemand als nicht weiß gilt. Reicht Ihnen ein halber Migrationshintergrund und wenn ja, welcher dürfte es denn sein?

Ob nun junge Männer mit Migrationshintergrund, die ja doch öfter mal nicht ganz weiß sind, eher gewalttätig werden als weiße Männer, ist eine Frage, mit der sich Sozialwissenschaftler auseinandersetzen müssten. Dann bliebe nur noch die Frage, warum eine Personengruppe häufiger gewalttätig wird. Ich persönlich tippe ja auf ein schwieriges Umfeld, eine Erziehung, in der Gewalt als Problemlösungsstrategie vorgelebt wird, und ein auf körperliche Stärke fixiertes Männlichkeitsbild.

Ich glaube, Mark Heywinkel sieht das anders, denn für ihn scheint festzustehen: Der weiße heterosexuelle Mann ist per se gefährlich, quasi von Geburt an und von Geburt an heißt für mich so viel wie genetisch. Ich sitze also da und lese diesen Text und wundere mich, durch welche U-Bahnstationen und dunkle Gassen Mark Heywinkel so spaziert, in denen weiße heterosexuelle Männer ihrer Umwelt gefährlich werden. Also google ich seinen Namen und erfahre, dass er in Berlin wohnt. Jetzt weiß ich, warum dieses Berlin so beliebt ist: Das einzig Gefährliche dort ist der weiße Hetero-Mann und davon gibt es in der Hauptstadt ja immer weniger, wenn denn Menschen wie ich - eine nordafrikanisch-deutsche Mischung - in Mark Heywinkels Welt als nicht weißer Mann durchgehen. Zumindest fühle ich mich mit meinem beigen Teint, meinen dunklen Haaren und Augen im Ruhrgebiet ganz gut aufgehoben. Sonderlich viele von diesen gefährlichen weißen Hetero-Männern gibt es hier nicht, zumindest nicht in meinem Alter, das ist halt der Lauf der Zeit. In der Hauptstadt wird dies ähnlich sein, ist ja auch voll cool international da, habe ich gehört.

So einen lupenreinen Rassismus habe ich lange nicht mehr gesehen

Erstaunt hat mich, wie unverhohlen Mark Heywinkel in seinem Text durchweg rassistisch argumentiert. Das, obwohl die Fixierung auf die Schuld des weißen Mannes ja eigentlich ein linkes Spezialthema ist und Linke gemeinhin keinen Rassismus mögen. Das mag ich an ihnen, denn ich mag ihn auch nicht. Ich möchte aber, weil sich in dieser Hinsicht doch regelmäßig Missverständnisse auftun, die Gelegenheit nutzen und darlegen, was denn Rassismus überhaupt ist und warum er sich manchmal dort verbirgt, wo man ihn überhaupt nicht erwartet:

Natürlich gibt es verschiedene Definitionen von Rassismus, das ist ja bei vielen Dingen so. In einer Sache sind sie sich aber alle einig: Eine Argumentation ist dann rassistisch, wenn Eigenschaften eines Menschen am Vorhandensein einer vermeintlichen Rasse oder an biologischen Merkmalen festgemacht werden. Man spricht deshalb auch von einem Biologismus: Eigenschaften werden biologisiert und ihre Ursprünge in den Genen verortet. Im neurechten Lager gibt es zum Beispiel Menschen, die denken dass die Fähigkeit, Quantenphysik zu erlernen, mit der Hautfarbe steht und fällt. Da, wo mein Vater herkommt, ist die Ansicht weit verbreitet, Frauen liege die Fähigkeit zum Fensterputzen in den Genen, während männliche Gene dafür sorgten, dass das Benutzen eines Wischtuchs schlicht unmöglich ist. Ich persönlich halte sogar das Konzept des Talents, also der vermeintlich angeborenen Gabe in einer Disziplin (zum Beispiel das Ersinnen irrationaler linker Weltbilder), für einen Biologismus. Solche Biologismen sind ziemlich praktisch, schließlich lassen sich mögliche Konkurrenten damit gut auf Distanz halten: So sehr sie sich auch bemühen, sie werden Quantenphysik nie erlernen, weil ihre Gene es einfach nicht zulassen. (Tipp für alle Eltern und Mathelehrer: Kindern zu sagen, dass sie etwas nicht können, weil sie kein angeborenes Talent hätten, ist immer eine schlechte Idee; die meisten lernen es dann erst recht nicht.)

Die Gefährlichkeit eines Menschen an der Hautfarbe festzumachen, wie Mark Heywinkel es tut, ist lupenreiner Rassismus. So einen echten Rassismus habe ich wirklich lange nicht mehr gesehen, selbst bei der AfD nicht. Eigentlich könnte mir das als nicht weißer Mann ja egal sein, schließlich bin ich aufgrund meiner Hautfarbe scheinbar ungefährlich. Ich glaube, die Erfahrung zeigt aber, dass es in der Regel nicht der weiße, gut erzogene Jungredakteur ist, der zu grenzüberschreitendem Verhalten neigt, sondern derjenige, der in einem gewalttätigen Milieu aufgewachsen ist und gelernt hat, dass ein echter Mann laut und stark sein muss. Dies wiederum kann viele Gründe haben, einige davon haben sicherlich etwas mit der Kultur zu tun und die wird gemeinhin von Menschen auch über Ländergrenzen hinweg transportiert. Leider darf man das ja aber nicht sagen. Irgendwann werden sich die Politkorrekten trotzdem entscheiden müssen, ob sie rassistisch argumentieren und soziale Phänomene an den Genen festmachen, wenn es gerade ins Weltbild passt (der böse weiße Mann), oder ob sie Gewalt, Sexismus und andere Unfeinheiten im Miteinander konsequent mit sozialer Prägung erklären. Dann dürfen sie sich auch ruhig einmal anschauen, was die Gemeinsamkeit zwischen der Kultur von Fußballprollos und Menschen mit einer aus westlicher Sicht rückwärtsgewandten Islamauslegung sind.

Karim Dabbouz (29) lebt im Ruhrgebiet.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Jochen Schaffner / 29.06.2016

Ich, 56 Jahre alt, und leider erst seit ca. 1 Jahr Achse Leser, finde es immer wieder erstaunlich, wenn so junge Leute schon auf dieser Seite unterwegs sind. In diesem Alter war ich noch hoffnungslos links, frei nach dem Motto: wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz, wer mit 40 noch links, keinen Verstand! Also, willkommen im Club und Chapeau!!

Ulrich Baare / 29.06.2016

Sehr geehrter Herr Dabbouz, vielen Dank erst einmal für ihren Text - sie haben richtig erkannt, dass sich die Argumentation bei ihrem ‘Jungredakteur’ um lupenreinen Rassismus handelt. Eine Sache möchte ich aber freundlich korrigieren: “Eine Argumentation ist dann rassistisch, wenn Eigenschaften eines Menschen am Vorhandensein einer vermeintlichen Rasse oder an biologischen Merkmalen festgemacht werden. Man spricht deshalb auch von einem Biologismus: Eigenschaften werden biologisiert und ihre Ursprünge in den Genen verortet.” Zuerst einmal - es muss keine ‘Argumentation’ vorliegen - es genügt, dass eine Aussage vorliegt (viel weiter als eine Argumentation). Dann: das wesentliche Merkmal für Rassismus ist: ‘unveränderlich’ (zumindest auf ‘normalen’ Wege). Dies ist wesentlich, weil sie sonst alle möglichen Eigenschaften,  die durchaus veränderlich sind bzw. die herbeigeführt wurden von einem Individuum mit einem Mal als Rassismus mit erfassen.  Grundsätzlich gilt für jede Definition, die etwas taugen soll, dass sie nicht nur dasjenige, was erfasst werden soll, erfasst, sondern dass sie auch dasjenige, was eben nicht erfasst werden soll, ausklammert. Was nützt eine Definition, die alle möglichen Sachen mit einem mal mit erfasst, die doch gar nicht intendiert wurden? Wenn Sie die Definition nehmen “Argumentation ist dann rassistisch, wenn Eigenschaften eines Menschen am Vorhandensein einer vermeintlichen Rasse oder an biologischen Merkmalen festgemacht werden”—> dann wäre es rassistisch zu sagen, dass jemand blöde wäre, weil er aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums sich dummgesoffen (= zu viele Zellen seines Gehirns zerstört) hätte (also eine biologische Ursache für seine Blödheit, die wiederum auf sein Handeln (= saufen) zurückgeführt werden kann). - Solche Fälle wollten sie sicherlich nicht erfassen. Das wird vor allem dann entscheidend, wenn unter ‘Rassismus’ Überzeugungen fallen sollen wie “Rassistisch ist es jemanden wegen seiner Religionszugehörigkeit zu benachteiligen.” (und ganz nebenbei: den ersten Teil ihrer Definition können Sie gleich weglassen (“am Vorhandensein einer vermeintlichen Rasse”) da zirkulär). Das andere wesentliche Merkmal, dass in Ihrer Definition fehlt (auch wenn Sie es mitgedacht haben, wie aus dem restl. Text ersehbar) ist: Gruppenbezogen. Also es geht nicht um Einzelfälle, sondern immer um (biologische) Merkmale, die eine Gruppe von Menschen miteinander teilen (Hautfarbe, bestimmte Physiognomie etc. - heutzutage aber auch: Herkunft, Geschlecht etc.—> also alles, wofür Sie qua Geburt nichts können und das Sie auch nicht verändern können [zumindest ohne schwere künstliche Eingriffe]). Mit freundlichen Grüßen

Yvonne Schulz / 29.06.2016

Sehr gut geschrieben. Die “Zeit” ist bei mir unten durch, seit eines unglaublich primitiven Artikels, dass Frauen ohne Kopftuch wahrscheinlich tatsächlich “Schlampen” seien. Viele Kommentatoren schrieben, dass sie als bis dahin treue Abonnenten wegen dieser unverschämten Provokation kündigten. Ich habe auch gedacht, ich lese wahabitische Presse. Die “Zeit” ist so weit links, dass sie ganz weit frauenfeindlich, rassistisch und rechts wieder rauskommt.

Frank Hill / 29.06.2016

Es steht zwar schon lange genug im Netz (auf dem sehr lesenswerten Blog “acta diurna” des eminenten Konservativen Michael Klonovsky), aber man kann nicht oft genug drauf hinweisen: “Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen.”

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