Nachdem ich einige erholsame Wochen außerhalb unseres neurotischen Landes verbracht habe. dessen Held des Tages bei meiner Rückkehr ein Wachsfiguren-Attentäter war, der seinen Polizisten-Job aufgegeben hat, weil er sich lieber auf Seiten derer befinden wollte, die am ersten Mai mit Flaschen und Fahrradketten seine ehemaligen Kollegen attackieren, fand ich zu allem Überfluss auf meinem Schreibtisch einen FAZ-Beitrag von Peter Gauweiler über Gysi, der die Unfähigkeit der deutschen Intelligenzia, angemessen mit der totalitären Vergangenheit unseres Landes umzugehen, illustriert. Deshalb ist es auch einen Monat nach Erscheinen des Artikels nicht zu spät für eine Erwiderung.
Gauweiler, der sich bis zu Lafontaines Ausfälligkeiten gegen „Fremdarbeiter“, die den Deutschen angeblich die Arbeitsplätze wegnähmen, mit dem Linksparteichef eine Bild-Kolumne geteilt hat, profiliert sich in seinem Beitrag als Gysi-, und damit als Diktaturversteher.
Er plädiert offen für eine Doppelmoral. „Zwangsläufig“ hätte eine Rechtsanwaltstätigkeit in der DDR „anderen Regeln“ folgen müssen, als in einem Rechtsstaat. Wenn Gysi den Machthabern „einredete“, bei seinem Mandanten Bahro, dem bekannten Regime-Kritiker, handele es sich um „einen närrischen Sektierer“, so wäre das kein Mandantenverrat. Alles klar: wer gegen eine Diktatur opponiert und die demokratischen Werte hochhält, kann nur geisteskrank sein. Denn die Gysis und Gauweilers dieser Welt passen sich geschmeidig den Verhältnissen an und fordern, dass dies als der Normalfall gewertet wird. Wer etwas von den „Mächtigen“ will, „dealt“ nicht mit Staatsfeinden. Das galt für die DDR, das gilt heute für China und Nordkorea.
Die „Funktionsträger“ der Diktatur sollen so weich wie möglich in der Demokratie landen, die sie immer bekämpft haben und die sie weiter bekämpfen. Gauweiler versteigt sich allen Ernstes zu der Behauptung, Gysi hätte „mit seinem Verhalten, seiner Taktik und seinem Zureden den BRD- Ablehnern im Osten eine Brücke in das wiedervereinigte Deutschland geschlagen.“
Es bleibt offen, ob dies ein grotesker Irrtum oder pure Demagogie ist. Denn es ist vor allem Gysi, der bei jedem Talkshow-Auftritt, jedem Interview, jeder Rede vor seiner Partei die Ressentiments gegen die Vereinigung und das Zusammenwachsen von Ost und West geschürt hat. „Kolonialisierung“ „Abbau Ost“ „Menschen zweiter Klasse“, sind nur einige Kampfbegriffe, mit denen Gysi den gesellschaftlichen Diskurs unseres Landes vergiftet hat. Beim Vereinigungsparteitag von PDS und WASG wurde nachdrücklich darauf verwiesen, dass die Linkspartei einen „Systemwechsel“ in Deutschland anstrebt. Wenn das herrschende System eine Demokratie ist, kann ein „Systemwechsel“ nur die Abschaffung der Demokratie bedeuten.
Gysi und seine Genossen haben allerdings die beruhigende Erfahrung gemacht, dass sie kaum kritische Fragen befürchten müssen. Gysi kann sich aussuchen, mit wem er in den Talkshows diskutiert und mit wem nicht. Er wagt es nicht, sich den Argumenten von Bärbel Bohley, Freya Klier oder mir zu stellen. Er kämpft vor Gericht mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen die Wahrheit über seine Rolle in der DDR. Das Problem ist nicht in erster Linie, was Gysi vor zwanzig oder dreißig Jahren getan hat. Das Problem ist, dass er mehr oder weniger erfolgreich versucht, die Wahrheit über die zweite deutsche Diktatur zu verschleiern, bis hin zu dem verschwundenen DDR-Vermögen von geschätzten 24 Milliarden DM, das unter seiner politischen Verantwortung als letzter SED-Chef beiseite geschafft wurde. Nach meiner festen Überzeugung führt Gysi den von Gauweiler beklagten ideologischen Bürgerkrieg des letzten Jahrhunderts bis heute fort Dafür sitzt er bei den Medien in der ersten Reihe. Von der geistigen Ausbürgerung, die Gauweiler am Ende seines Beitrags an die Wand malt, ist er nicht betroffen, Eher werden jene übersehen, die sich in Zeiten der Diktatur für Demokratie und Bürgerrechte eingesetzt haben. Um im von Gauweiler bemühten, kafkaesken Bild zu bleiben: Es gibt das Recht für Gysi und Genossen, aber keine Gerechtigkeit für diejenigen, die der Diktatur widerstanden haben Bezeichnenderweise scheint die Gauweilers das nicht zu beunruhigen.