Joachim Gauck bestellt sein Haus. Die Tage, die ihm als Bundespräsident verbleiben, nutzt er, um den Bürgern sein Vermächtnis ans Herz zu legen, dem Volke die eine oder andere Lebensweisheit mit auf den Weg zu geben. So erklärte er uns am Wochenende in einem Gespräch mit Spiegel Online, wie es sich mit der Angst verhält. Sie, weiß der Bundespräsident, ist ein fester Bestandteil des menschlichen Daseins. Wir brauchen sie wie der Fisch das Wasser. Sie ist das Element, in dem wir uns emotional entfalten, zappeln oder kräftig ausschlagend gegen die Strömung schwimmen. Und wenn es uns so gut geht, dass wir glauben, keine Angst mehr haben zu müssen, dann setzen wir alles daran, die nötige Bedrohung zu imaginieren. Wir erschaffen uns einen Popanz oder malen den Teufel an die Wand.
Wörtlich erklärte das Staatsoberhaupt: "Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass existenzielle Bedrohungen normalerweise nicht mehr zum Leben gehören, macht zuweilen eben anderes Angst. Zum Menschen gehören Ängste - zu uns Deutschen manchmal in besonderem Maße." Nun wissen wir nicht, was alles Joachim Gauck als "existenzielle Bedrohung" ansehen würde. Darüber hat er sich nicht weiter ausgelassen. Gleichwohl spricht vieles dafür, dass der gelernte Pastor den Begriff klar und eindeutig, nämlich durchaus materialistisch versteht. Sagt er doch im selben Interview: "Deutschland steht so gut da wie nie zuvor in seiner Geschichte. Der Rechtsstaat ist sicher, Wohlstand weit verbreitet, ein funktionierender Sozialstaat existiert."
Auf der Butterseite des Lebens
Mit anderen Worten: Wir sind auf die Butterseite des Lebens gefallen. Und weil das so ist, weil uns Wirtschaft und Sozialstaat "unser täglich Brot" geben, wie es die Christen seit 2.000 Jahren mit ihrem "Vaterunser" vom lieben Gott erbitten, kann länger keine Rede sein von "existenziellen Bedrohungen", vor denen wir uns wie gewohnt ängstigen dürften. Um unser Angst-Bedürfnis dennoch zu stillen, bedarf es der Ersatz-Bedrohungen.
Niemand weiß das besser als die Politiker. Wo es ihnen gelingt, Ängste zu schüren, motivieren sie die Massen zur Gefolgschaft. Gleich, ob es um eine Energiewende geht oder um den Kampf gegen die "Rechtspopulisten". Um das eine durchzusetzen, bedurfte es zunächst düsterer Horrorszenarien hinsichtlich der weiteren Nutzung bisheriger Energieträger. Im anderen Fall musst man die Bürger, die es wagten, auf die Straße zu gehen, als "Pack", als gefährlichen "Mob" oder "eine Schande für Deutschland" diffamieren, um dem Volk vor sich selbst Angst zu machen. Auch der Bundespräsident erwies sich dabei schnell als gelehriger Schüler, da er uns etwas gewählter, aber nicht minder eindeutig vor den "Dunkeldeutschen" warnte, denen er seinerseits vorwarf, Ängste zu wecken.
Das hat nichts mit der Zuwanderung zu tun
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es eben noch lang nicht dasselbe. Vielmehr kommt es, haben wir den Bundespräsidenten recht verstanden, darauf an, unser urmenschliches Angst-Bedürfnis mit den richtigen Angeboten zu befriedigen. Wo kämen wir schließlich hin, wenn sich jeder einfach vor dem fürchten würde, was tagtäglich geschieht, etwa davor, dass "Flüchtlinge" und "Asylanten" in den ersten sechs Monaten diesen Jahres 142.500 Straftaten verübten, 780 pro Tag; Tendenz steigend.
Nein, wenn 68 Prozent der Deutschen, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage, sich unterdessen in ihrem Land nicht mehr sicher fühlen, dann hat das nichts mit der unkontrollierten Zuwanderung über Monate hin zu tun, nichts mit den Tausenden junger Männer aus der arabisch-moslemischen Welt, die zwischen Hamburg und München, Köln und Dresden einfach untergetaucht sind. Wer das glaubt, hat schlichtweg die falschen Ängste. Er erliegt einem "Missverständnis", das Joachim Gauck noch in den letzten Wochen seiner Amtszeit "Sorgen" macht.
Bleibt nur zu hoffen, dass er diesen Kummer nicht auch noch mit den Ruhestand nehmen muss. Unsererseits werden wir uns jedenfalls an sein Vermächtnis halten und fortan allen "Personen und Bewegungen" Misstrauen, "die es nötig haben, mit Ängsten zu spielen", am Ende gar noch die Angst vor der Angst zu schüren, weil sie "inhaltlich eher schwach" sind. Zweifelsohne die Worte eines Mannes, der seine Pappenheimer kennt wie sich selbst. Wir gönnen ihm den verdienten, den endlich erreichten Umzug auf das Altenteil, ausgestattet mit 200.000 Euro jährlich.
Die letzten Jahre mit ihm waren schwer genug. Deshalb schon jetzt zum Abschied noch ein leises Servus.