Cora Stephan / 16.03.2009 / 14:26 / 0 / Seite ausdrucken

Gastbeitrag von Rita E. Groda

Trauer als wohltemperiertes Gruppenevent, oder: Wie man eine Tragödie medienwirksam inszeniert

Aus der Perspektive eines an der Peripherie Betroffenen, der in nicht weit entfernter Nachbarschaft des Ereignisses wohnhaft ist, und die Verzweiflung eigener Angehöriger erleben mußte, die stundenlang keine Information über den Zustand der eigenen Kinder hatten, kann man das nicht anders sehe

Man könnte glauben, es sei saure Gurkenzeit in den Medien. Ein Report jagt den anderen, ebenso ein Trauer-Event. Der dümmste Ministerpräsident aller Zeiten (DMAZ) jettet von Beileidbekundung zu Beileidbekundung, läßt Kondolenzbücher auslegen, hält Pressekonferenzen, Trauerflor ist angesagt, sogar bei Fußballspielen.
Die Krone modernen Trauerkultur in Baden-Württemberg: ein momentan stattfindendes Konzert, eigentlich anläßlich des Geburtstags von Sir Norrington, jetzt “zum Gedenken” an Winnenden, von Frank Elstner moderiert und direkt in S3 übertragen. Und die Populisten schlagen Purzelbäume!
Eine klinisch saubere Barbie-Trauer in einer glänzenden Barbie-World. Wir sind inzwischen eine geschmacklose Gesellschaft der Äußerlichkeiten geworden. Sollte diese öffentliche Trauer- und Anteilnahmepromotion den Angehörigen der Opfer helfen? Wohl kaum. Trauer ist eine sehr individuelle Angelegenheit, jeder, der sie schon selbst erlebt hat, weiß damit umzugehen.
Aber die marktschreierische Behandlung der Kausalitäten dürfte noch schlimmer als diese Äußerlichkeiten sein. Ein Schrei nach einem Heer von neuen Psychologen schallt durch die schwäbische Provinz. Die Kinderpsychiatrie soll erweitert werden. Das Waffengesetz schärfer usw. usf. Und mir wird immer stärker klar, wie krank diese Gesellschaft geworden ist.
Seit vielen Jahren kann ich konstatieren, daß ein Wort und Begriff aus dieser Gesellschaft verschwunden ist. Der Begriff “Verantwortung”. Verantwortung für sich selber, Eigenverantwortung und Verantwortung für andere, z.B. für die eigenen Nachkommen, unsere Kinder. Alles und jedes wird in unserer Gesellschaft delegiert. Hat ein Individuum ökonomische Schwierigkeiten, wird an den Staat delegiert. Hat ein Kind Schwierigkeiten, wird an Psychologen und Lehrer delegiert.
Verantwortung scheint ein Begriff geworden zu sein, der anachronistisch ist und nicht mehr in unsere schöne neue Plastikwelt passt.
Wir halten unsere Kinder in einem Glashaus, gaukeln ihnen eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten vor, in der es keine Mißerfolge, Niederlagen, Endlichkeiten gibt bzw. zu geben hat. Wir zwingen sie zu Teamwork, und wundern uns dann, wenn sie nur noch in der Gruppe lebensfähig sind und auch dann dem Gruppenzwang unterliegen, wenn der negativ ist. Wir hätscheln sie, nehmen ihnen jegliche Verantwortung ab, Strafen und Grenzen sind verpönt.
Ich erlebe es täglich, daß viele junge Menschen überhaupt nicht mehr kritikfähig sind. Wie sollten sie auch.
Man hat ihnen nicht nur lebenslänglich Kritik erspart bzw. sie delegiert. Man hat ihnen nie das Instrumentarium zur persönlichen Bewältigung von Kritik und Niederlagen gegeben. Man hat ihnen nie beigebracht, daß ein Mensch auch Verantwortung für sich selber hat, und daß es durchaus möglich ist, auch nach einer Niederlage wieder aufzustehen.
Die professionellen Populisten und Ursachenforscher sprachen gestern immer wieder von einer “Kränkung”, mit der der vermutlich sensible Amokläufer nicht fertig wurde. Genau das ist der Punkt. Zu dem Instrumentarium, um mit Kränkungen und Niederlagen fertig zu werden, gehören Eltern, die nicht nur zuhören, sondern auch den Interessen der Kinder echtes Verständnis entgegenbringen. Man muß ja nicht unbedingt Techno-Freak sein, um die Musik der Kids auch mal nicht schlecht zu finden. Man kann auch zu den Fußballspielen der Tochter mitgehen, wenn man Frauenfußball zum Ko…. findet.
Kritikfähigkeit benötigt Training. Sport z.B. ist ein gutes Hilfsmittel, Fairplay und auch mal ein guter Verlierer zu sein kann man hier bestens trainieren.
Die Krone aller bescheuerten männlichen Ursachenforschung war ein Prof. Pfeiffer von der Uni Berlin.
Der bescherte uns gestern das Ergebnis einer Studie und seine daraus gewonnene Einsicht, daß heute junge Männer ungleich benachteiligt gegenüber Mädchen seien. Schulabbrecher im Gymnasium seien zu mehr als 69% Jungs, Abiturienten nur ca. 35 %.
Die Ursache hierfür: Die jungen Männer könnten ihre Männlichkeit nicht mehr ausleben, es gebe keine Anlaufstellen mehr dafür. Deshalb würden sie das in einer virtuellen Welt tun, stundenlang täglich mit Gewaltvideos, und daher seien sie schlechte Schüler.
Frage an die Herren hier. Wie konnten Sie in Ihrer sog. Jugend Ihre Männlichkeit ausleben? Diese Frage ist sehr ernst gemeint, meinerseits.
Mein Vater mußte als Kind in den letzten Kriegsmonaten, mit dem letzten Aufgebot des großen Führers von Greisen und Kindern, seine Männlichkeit mit dem Gewehr ausleben, was ihn lange verfolgt hat. Desgleichen mein Großvater, der im 1. Weltkrieg als halbes Kind sich an den schweren Geschützen einen lebenslangen Schaden geholt hat. Beide hätten gerne ihre Männlichkeit am PC ausgelebt da bin ich sicher! Der Umkehrschluß für mich, aus den Ausführungen des Profs: Männlichkeit ist gleich Gewalttätigkeit, oder nicht?
Und der Prof schreit laut - nein, nicht nach der Verantwortung, nämlich der Eltern, nein es sollen viele Tausende neuer Psychologen her. Neue Delegierungen.
Mein Mitgefühl gehört den Angehörigen der Opfer, ganz still.
Mein Appell geht an alle Eltern, denen etwas Vergleichbares bevorstehen könnte.
Rita E. Groda

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