Vorgestern in Berlin: Eine "Initiative von Künstlern, Schauspielern und Intellektuellem", also ein repräsentativer Querschnitt der deutschen Bevölkerung, marschiert vor dem Bundeskanzleramt auf, um Angela Merkel einen Strauß roter Rosen zu übergeben: Es ist Internationler Frauentag und man will der Kanzlerin für ihre Flüchtlingsaufnahmepolitik danken. Und möglicherweise auch eine Tradition der DDR wiederbeleben, als Junge Pionere und Angehörige der FDJ an jedem 1. Mai dem Vorsitzenden des ZK der SED und des Staatsrates zum Kampftag der Arbeiterklasse einen blumigen Gruß darbrachten.
Ein Non-Event mit etwa 20 Laiendarstellern, über das die Tagesthemen unbedingt berichten müssen, und das ohne jeden ironischen Unterton. Hier ab 12:02. Nach dem desaströsen Gipfel von Brüssel ist es Merkels letztes Aufgebot an der Heimatfront, lauter Adabeis, mit denen die Bunte und die Gala ihre Seiten füllen. Vorneweg Regina Ziegler und Volker Schlöndorff, die Repräsentanten der cineastischen Avantgarde in Deutschland, neben ihnen der Krawattenmann des Jahres 2000, Michel Friedman. Die Schauspielerin Andrea Sawatzki sagt, sie bewundere Merkels "Stärke und Kraft und ihre Menschenliebe", Tobias Oertel sagt, er finde es "beruhigend, im Moment eine Kanzlerin zu beobachten, die diese Weitsicht hat und offensichtlich auch die Standhaftigkeit, es durchzuzehen". Ja, etwas durchzuziehen, was man nicht hätte anfangen sollen, war schon immer eine große deutsche Tugend. Nach 25 Sekunden gehen die Tagesthemen weiter, mit Sahra Wagenknecht im eiskalten Saarland, und es ist einer der raren Momente, da man froh ist, eine Stimme der Vernunft zu hören.
Bei BILD Online sind es nicht 20, sondern 100 "Promis", die Angela Merkel zum Weltfrauentag "danken". Unter ihnen die Autorin Susanne Fröhlich und die Schauspielerin Tina Ruland. Sie sagt: "Angela Merkel ist die erste Frau im Staat. Ich finde es toll ihr am Weltfrauentag ‚danke‘ zu sagen für ihre Politik. Sie ist ein Fels in der Brandung. Es ist gut, dass sie ihren Kurs auch bei all der Kritik nicht ändert. Ich finde wie sie: Wir schaffen das! Wir müssen das schaffen! Uns bleibt gar keine andere Wahl als das zu schaffen!“ Aus der Ferne grüsst Ulrich Wickert, der vor drei Jahren im Rahmen der Aktion "Gesicht zeigen" behauptet hat, er sei ein Jude, aber nur, "wenn du was gegen Juden hast".
Zwei Promis freilich fehlen. Sascha Lobo und Iris Berben. Der eine feilt noch an seiner SPON-Kolumne gegen die AfD, die andere promotet ein obskures Buch mit dem Titel "Mein Kampf - gegen Rechts". Auch die Kanzlerin ist nicht da. Die Blumen nimmt ein "Bote des Bundeskanzleramtes" entgegen, vermutlich der Pförtner, und die überglücklichen Überbringer machen sich auf den Weg ins Borchardt, um sich dort für ihren Mut feiern zu lassen und weitere Aktionen für die erste Frau im Staate zu planen.
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