Roger Letsch / 12.09.2016 / 18:45 / 0 / Seite ausdrucken

Fürsorgliche Nichtwahl in Palästina

Es ist noch nicht mal einen Monat her, dass ich über den spannenden Wahlkampf zu den Kommunalwahlen in Palästina berichtete. Die Wahl sollte am 8.Oktober stattfinden, also genau einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen in den USA. Dabei stand es in letzter Zeit nicht gut um das erwartete Abschneiden der Fatah des amtierenden Präsidenten Abbas. Gut möglich, dass er ein noch größeres Debakel zu erwarten hatte, als bei den Wahlen in Gaza vor gefühlt 99 Jahren.

Die Hamas hatte zuletzt eine Fatwa auf ihrer Seite, welche festlegte, dass jeder, der nicht die Hamas wählen würde, automatisch eine exklusive Sonderbehandlung in der Hölle gebucht hätte – ohne Reiserücktrittsversicherung. Schon faszinierend, so eine Fatwa, gewissermaßen ein religiöser Eierschneider. Mit ihrer Hilfe kann man eine scharfe Linie überall dort ziehen, wo Gut und Böse voneinander getrennen werden sollen. Ein Kirchenbann im Mittelalter hatte nicht halb so viel Sexappeal.

Insgeheim wünscht sich sicher auch so mancher deutsche Politiker, er verfüge über derlei Zauberkräfte. Die Linke würde es gern mal schaffen, eine laserscharfe Grenze zwischen freier Marktwirtschaft und amerikanischem Imperialismus zu ziehen, die Grünen müssten keine Wünschelrute fragen um zu entscheiden, ob eine Windkraftanlage im Naturschutzgebiet eine gute Sache ist und die VKP (Vereinte Kanzlerinnenpartei, hervorgegangen durch den freiwilligen Zusammenschluss von SPD und CDU) könnte durch eine Fatwa ein für alle Mal festlegen, wo eine politische Aussage noch als Geschwätz durchgeht und ab wann dies als Populismus justiziabel ist. Aber zurück in Heilige Land und zur Wahl dort.

Ein Richterspruch, der wie gerufen kommt

Gerade erst hatte sich aus fünf linken palästinensischen Parteien die „Demokratische Allianz“ geformt, welche neben Hamas und Fatah bei den Wahlen antreten wollte, auf etwa 15 Prozent der Stimmen hoffen konnte und sich als „dritte Option“ anbot, wurde die Wahl vom obersten Gerichtshof Palästinas (nicht Israels, sondern Palästinas) untersagt! Ehrlich, ich hatte erwartet, dass irgend etwas geschehen würde, was die Wahl torpedieren würde, denn die erwartbare haushohe Niederlage von Abbas hätte das Ende der Fatah bedeutet. Ich hätte allerdings damit gerechnet, dass Fatah und Hamas wie üblich mit dem Finger aufeinander zeigen und sich der gegenseitigen Behinderung des Wahlkampfes bezichtigen würden (was ja auch stimmt). Dabei ist alles noch viel einfacher!

Wie jetzt, werden Sie fragen. Behindern diese bösen Juden etwa die traditionelle, Jahrtausende alte Demokratie in Palästina? Aber sicher tun sie das – indem sie zum Beispiel in Jerusalem „siedeln“! Oder irgendwo anders. Die Idee des Gerichtes in Ramallah ist so genial, dass man die beteiligten Richter und Anwälte für diesen Einfall nur bewundern kann! Denn durch diesen Schiedsspruch rettet das Gericht nicht nur dem bis auf die Knochen korrupten Regime von Abbas Macht, Einfluss und den ergiebigen Geldregen aus Brüssel und Berlin – der Richterspruch macht zusätzlich auch alle zukünftigen „demokratischen Wahlen“ im Palästina unmöglich.

Und das geht so: Die Palästinenser müssen an ihren Wohnorten wählen. Jerusalem ist die Hauptstadt Israels und da es auf israelischem Territorium keine palästinensischen Wahlen gibt, karrte man die Jerusalemer Palästinenser in der Vergangenheit aus der Stadt hinaus, damit sie dort ihre Stimme in einem palästinensischen Wahllokal abgeben konnten. Nun verkündet das oberste Gericht in Ramallah: „Wahlen müssen Palästina als territoriale Einheit behandeln“. Man ist also der Meinung, freie Wahlen könne es unter einer „Besatzung“ nicht geben.

Da aber überall in Israel (nicht nur in den „besetzten Gebieten“) Palästinenser leben, die zwar an palästinensischen Wahlen teilnehmen dürfen, dies aber nicht dort tuen können, wo sie wohnen, wird es wohl erst dann freie Wahlen in Palästina geben können, wenn diese zionistischen Juden endlich auch aus Haifa, Netanja und Tel Aviv verschwunden sind. Also niemals! Wie praktisch für Abbas. Wie praktisch auch für all die NGO’s und friedensbewegten Europäer, für die jeder Jude im Heiligen Land seit jeher nichts als ein Friedenshindernis ist. „Freie Wahlen? Wir würden ja gern, aber sehen Sie…die Besatzung! Sie wollen, dass islamistische Tendenzen, Terror und Korruption in Palästina enden? Dann schmeißt die Juden raus aus Israel, damit die friedliebenden Palästinenser endlich mal freie Wahlen abhalten können!“ Nun sind die Juden auch noch ein Demokratie-Hindernis für Palästina!

Müssen wir jetzt alle Bundestagswahlen vor 1990 sämtlich für ungültig erklären?

Die Nachricht, dass in „besetzten Gebieten“ keine freien Wahlen stattfinden können, werden die Tibeter und Südtiroler gern hören. Dummerweise müssen wir dann alle Bundestagswahlen vor 1990 sämtlich für ungültig erklären und haben deshalb in der Konsequenz ab sofort auch kein Grundgesetz mehr.

Mussten die guten Europäer bislang noch „Free Palestine“ auf ihre Plakate kritzeln, können sie in Zukunft mit der Aufschrift „Free Elections“ auf die Straße gehen. Das klingt so garnicht mehr nach Terror, Flugzeugentführung, Selbstmordattentat und Messerattacke. Das klingt dann auch nicht mehr nach dem latenten Antisemitismus, der sich nur mühsam hinter Begriffen wie „Antizionismus“ oder BDS verstecken kann. Das klingt nach Demokratie – wenn auch mit islamistischem Antlitz. Man demonstriert in Zukunft einfach für freie Wahlen in Palästina – die Sache mit den Juden lässt sich sicher mit einer Fatwa regeln.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs blog Unbesorgt hier.

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