In Leipzig folgten trotz sofort einsetzender Verhaftungen mehr als 800 Menschen dem Aufruf der „Demokratischen Initiative“, am Jahrestag der Massenverhaftungen am Rande der Gedenkdemonstration zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin 1988 für die Demokratisierung der DDR zu demonstrieren. Die Kundgebung wurde schließlich von Volkspolizei und Staatssicherheit gewaltsam aufgelöst. Die „Demokratische Initiative“ hatte sich erst im Herbst 1988 als „Initiative zur demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft“ gegründet und in ihrem Gründungspapier ehrgeizige Vorhaben angekündigt. Sie nahm die Einrichtung eines „Archivs zur Öffentlichkeitsarbeit und des zivilen Ungehorsams“ in Angriff. Aus diesem Archiv sollten jährliche Berichte und Analysen zum Zeitgeschehen und zur Geschichte hervorgehen. Unmittelbar darauf erschien die erste Geschichte der Friedensbewegung unter dem Titel „Spuren“ im Samisdat (Selbstverlag) Die Initiative plante, Ereignisse wie den Aufstand vom 17. Juni 1953 ungeachtet der offiziellen Geschichtsschreibung neu zu bewerten.
In Prag wurde am selben Tag auf dem Wenzelsplatz von der Polizei brutal eine Demonstration zum Gedenken an Jan Pallach aufgelöst, der sich zwanzig Jahre zuvor aus Protest gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjets selbst verbrannt hatte.
Am Abend saß Walter Kempowski in Nartum vor dem Fernseher und sah sich eine Sendung mit Freya Klier und Stephan Krawczyk an, die an die Massenverhaftungen und die darauf folgenden Abschiebungen im Jahr davor erinnerten. Kempowski fragt sich, ob Klier und Krawczyk etwas von den „alten Bautzenern“, den Gefangenen des „Gelben Elends“ wissen. In den Jahren darauf hat sich zumindest Klier sehr verdient gemacht, indem sie die fast vergessenen Geschichten der zwangsdeportierten Frauen der vierziger und fünfziger Jahre dokumentiert hat. Diese Frauen konnten in ihren Durchgangsgefängnissen keine Herbarien anlegen, wie Rosa Luxemburg es getan hat. Man hat ihnen auch keine Korbsessel in die Freigangszellen gestellt, damit sie es bequem haben. Rosa Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis“, wenn sie verfügbar gewesen wären, hätten in Stalins Lagern geklungen wie Nachrichten aus dem Paradies.
Unter den Meldungen vom heutigen Tage befindet sich auch eine aus Passau. Hier werden die Zweifel an der Tatbeschreibung des Polizeichefs, der angegeben hatte, einer rechtsradikalen Attacke zum Opfer gefallen zu sein, immer deutlicher. Die Hauptzeugin gilt bereits als unglaubwürdig .Noch sagt das niemand von Mannichl, aber zwischen den Zeilen ist es deutlich zu lesen. Der Fall des Passauer Polizeichefs könnte zum Supergau für alle voreiligen Brichterstatter werden . Die NPD reibt sich bereits die Hände. Das ist die größte Blamage für die tapferen Kämpfer „gegen rechts“. Leider werden sie das kaum begreifen.