Vera Lengsfeld / 15.01.2009 / 16:52 / 0 / Seite ausdrucken

Fünfzehnter Januar 1989/2009

In Leipzig folgten trotz sofort einsetzender Verhaftungen mehr als 800 Menschen dem Aufruf der „Demokratischen Initiative“, am Jahrestag der Massenverhaftungen am Rande der Gedenkdemonstration zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin 1988 für die Demokratisierung der DDR zu demonstrieren. Die Kundgebung wurde schließlich von Volkspolizei und Staatssicherheit gewaltsam aufgelöst. Die „Demokratische Initiative“ hatte sich erst im Herbst 1988 als „Initiative zur demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft“ gegründet und in ihrem Gründungspapier ehrgeizige Vorhaben angekündigt. Sie nahm die Einrichtung eines „Archivs zur Öffentlichkeitsarbeit und des zivilen Ungehorsams“ in Angriff. Aus diesem Archiv sollten jährliche Berichte und Analysen zum Zeitgeschehen und zur Geschichte hervorgehen. Unmittelbar darauf erschien die erste Geschichte der Friedensbewegung unter dem Titel „Spuren“ im Samisdat (Selbstverlag) Die Initiative plante, Ereignisse wie den Aufstand vom 17. Juni 1953 ungeachtet der offiziellen Geschichtsschreibung neu zu bewerten.
In Prag wurde am selben Tag auf dem Wenzelsplatz von der Polizei brutal eine Demonstration zum Gedenken an Jan Pallach aufgelöst, der sich zwanzig Jahre zuvor aus Protest gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjets selbst verbrannt hatte.
Am Abend saß Walter Kempowski in Nartum vor dem Fernseher und sah sich eine Sendung mit Freya Klier und Stephan Krawczyk an, die an die Massenverhaftungen und die darauf folgenden Abschiebungen im Jahr davor erinnerten. Kempowski fragt sich, ob Klier und Krawczyk etwas von den „alten Bautzenern“, den Gefangenen des „Gelben Elends“ wissen. In den Jahren darauf hat sich zumindest Klier sehr verdient gemacht, indem sie die fast vergessenen Geschichten der zwangsdeportierten Frauen der vierziger und fünfziger Jahre dokumentiert hat. Diese Frauen konnten in ihren Durchgangsgefängnissen keine Herbarien anlegen, wie Rosa Luxemburg es getan hat. Man hat ihnen auch keine Korbsessel in die Freigangszellen gestellt, damit sie es bequem haben. Rosa Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis“, wenn sie verfügbar gewesen wären, hätten in Stalins Lagern geklungen wie Nachrichten aus dem Paradies.
Unter den Meldungen vom heutigen Tage befindet sich auch eine aus Passau. Hier werden die Zweifel an der Tatbeschreibung des Polizeichefs, der angegeben hatte, einer rechtsradikalen Attacke zum Opfer gefallen zu sein, immer deutlicher. Die Hauptzeugin gilt bereits als unglaubwürdig .Noch sagt das niemand von Mannichl, aber zwischen den Zeilen ist es deutlich zu lesen. Der Fall des Passauer Polizeichefs könnte zum Supergau für alle voreiligen Brichterstatter werden . Die NPD reibt sich bereits die Hände. Das ist die größte Blamage für die tapferen Kämpfer „gegen rechts“. Leider werden sie das kaum begreifen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 21.04.2024 / 10:00 / 34

„Der General muss weg!” Der Fall Siegfried Buback

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 11.03.2024 / 16:00 / 20

Wie rettet man eine Demokratie?

Warum lässt die schweigende Mehrheit zu, dass unter dem Schlachtruf, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, beides ausgehöhlt wird? Was man ganz einfach tun…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / 38

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel.  Auf diesem Blog…/ mehr

Vera Lengsfeld / 04.02.2024 / 15:00 / 20

Die Propaganda-Matrix

Die öffentlich-rechtlichen Medien und die etablierten Medien leiden unter Zuschauer- und Leserschwund, besitzen aber immer noch die Definitionsmacht. Das erleben wir gerade wieder mit einer Propaganda-Welle. …/ mehr

Vera Lengsfeld / 02.02.2024 / 06:05 / 125

Wie man eine Desinformation strickt

Am 30. Januar erschien bei „praxistipps.focus.de“ ein Stück mit dem Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ Hier geht es darum: Was davon kann man davon…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 29.12.2023 / 13:00 / 17

FDP #AmpelAus – Abstimmung läuft noch drei Tage

Die momentane FDP-Führung hatte offenbar die grandiose Idee, die Mitgliederbefragung unter dem Radar über die Feiertage versanden zu lassen. Das Online-Votum in der FDP-Mitgliedschaft läuft…/ mehr

Vera Lengsfeld / 28.12.2023 / 10:00 / 124

Wolfgang Schäuble – Tod einer tragischen Figur

Wolfgang Schäuble, die große tragische Figur der deutschen Nachkriegspolitik und gleichzeitig ein Symbol für das Scheitern der Parteipolitik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com