Wolfgang Röhl / 25.08.2017 / 06:25 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 26 / Seite ausdrucken

Frühschoppen mit #pöbelralle

Wer es gut meint mit der gebeutelten, lendenlahmen Sozialdemokratie, der hätte ihr dringend ans Herz legen müssen: zu Beginn des Bundestagswahlkampfs unbedingt Parteivize Ralf Stegner aus dem Verkehr ziehen. In einen schalldichten, komfortabel eingerichteten Erdbunker irgendwo bei Bordesholm sperren und den Schlüssel bis zum 24. September gut verstecken.

Stegner ist bekanntlich der Totenvogel der SPD. Wo er mit seinem berüchtigten Flunsch herumsteht, werden gewöhnlich Wahldesaster der Partei eingestanden, zuletzt in Nordrhein-Westfalen und kurz davor in Stegners eigenem Bundesland Schleswig-Holstein. Insgesamt drei Mal konnten ihn Fernsehzuschauer direkt hinter 100%-Schulz ausmachen, als dieser die Klatschen einräumen musste. Ralle scheint derart kamerageil zu sein, dass er sich wohl sogar noch ins Bild drängeln würde, wenn die SPD ihr Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bekanntgäbe.

Hat der Vize diesbezüglich nichts zu tun, hockt er mit angeekelter Miene in Talkshows und benimmt sich daneben. Kurz, er ist die wirkungsvollste Wählerscheuche der Sozen; ein Himmelspräsent an die Konkurrenz. Wenn er über die „AfD-Idioten“ zetert, den CSU-Generalsekretär mit Kim Jong Un oder ausgerechnet die jüdische Facebook-Chefin Sheryl Sandberg mit Beate Zschäpe vergleicht (dabei auch noch falsch „Tschzäpe“ twittert), hat er im Handumdrehen ein paar Wählerströme umgeleitet. Er gibt den Donald Trump der SPD. Twittert sich und seine Partei tapfer ins Abseits. Auf dem Hashtag #pöbelralle ist immer was los, dafür sorgt er schon selber.

Deshalb war ich bass erstaunt, als die SPD im niedersächsischen Stade kürzlich eine Veranstaltung mit Ralle annoncierte. Er werde dabei das SPD-Wahlprogramm erläutern, etwas in der Art. Da ich in Stade geboren und aufgewachsen bin, in jungen Jahren einen Flirt mit der Sozialdemokratie unterhielt und mir bis heute die romantische Vorstellung bewahrt habe, der Laden könne irgendwann vielleicht doch wieder zu Verstand gelangen, schwang ich mich aufs Mopped und fuhr hin. Ehrlich gesagt hoffte ich auf einen lustigen Vormittag mit neuen Ausfällen des Schimpfspechts von der Kieler Förde.

Geborgen im warmen Mief des politischen Gesinnungspepitas

Daraus wurde nichts. Es gab nämlich gar kein Publikum im Sinne eines klassischen Wahlkampf-Events. Was da in einem kleinen Tagungsraum des Insel-Restaurants bei Bier und Selters zusammenkam, war ein Häuflein von Hard-core-Genossen und -Genossinen, überwiegend schwer betagt, teilweise krummbuckelig und durch die Bank Stegner-affin.Gut, an einem strahlenden Spätsommerwerktag um elf Uhr morgens kann kein Politiker Zulauf wie ein Popstar erwarten. Aber ein Fanclub von gerade mal 35 Personen? Für eine 46.000-Einwohner-Stadt mit einer nicht ganz geringen SPD-Wählerschaft (30,6 Prozent bei der letzten Landtagswahl) denn doch etwas mau.

Warum gab es keine Neugierigen, welche die bundesweit bekannte Knalltüte live erleben wollten? Einen linken Clown bestaunen, der sich bestimmt wieder irgendeine Megapeinlichkeit leisten würde, à la „Merkel schweigt und Horsti grollt, doch der Schulzzug weiter rollt“?

Doch anscheinend sind die Stader zu sehr mit nützlichen Dingen beschäftigt, um den sublimen Reizen politischer Kuckucksnestbewohner zu erliegen. Und so schaltet Ralle bei seinem Auftritt sogleich vom gewohnten Krawall- in den Mutmacher-Modus. Geborgen im warmen Mief des politischen Gesinnungspepitas, streift er für anderthalb Stunden seine Stinkstiefelmimik ab. Wird zum stinknormalen Funktionärswicht, der Parolen an eine Provinzlertruppe ausgibt. Mit anderen Worten, der Blinde aus Kiel, dessen Partei sich im Mai eine krachende Watsche einfing und seither in der Opposition schmort, gibt den Lahmen aus Niedersachsen, die einer Doppelwatsche bei der Bundestagswahl und der vorgezogenen Landtagswahl entgegensehen, Ratschläge zur Mobilisierung:

...wenn es bei der wahl um inhalte ginge, brauchten wir uns keine sorgen zu machen+++menschen haben gefühl für gerechtigkeit spd ist partei der gerechtigkeit wer kümmert sich denn um die sozial schwachen wir unterschiede zeigen zur cdu+++europa verdanken wir frieden und wohlstand martin ist überzeugter europäer+++afd bedeutet arbeitslosigkeit für deutschland gegen hetzer und nationalisten flagge zeigen+++inklusion ganz notwendig wir als sozialdemokraten sind dafür dass niemand diskriminiert wird ökologie auch ganz wichtig haben keinen zweiten planeten dass frauen noch immer schlechter bezahlt werden als männer skandal...

Dabei verschleift er oft die Worte, als sei er ein bisschen angetütert. Was nicht der Fall ist. Es handelt sich eher um eine typische Angewohnheit von Kampfschwätzern, die ständig in der Angst leben, andere könnten ihnen ins Wort fallen, auch mal was sagen wollen. Eine Macke, die offenbar so tief wurzelt, dass Ralle sie nicht mal im einverständigen Dunst einer Sozenseniorenrunde völlig ablegen kann.

Das markige Vorrecken des rechten Armes

Ebenso wenig wie die klippschauspielschulische Gestik, etwa das markige Vorrecken des rechten Arms als Indiz für robuste Entschlossenheit. Die Betonung der letzten Worte eines Satzes, das Hochziehen der Stimme, die bei der finalen Silbe noch einen drauflegt. Alles routiniert und doch stümperhaft, grauenvoll, zum Fremdschämen. Die reinste Lindenstraße.

Und dann diese Gestalten, die seine Genossen sind und die er keinesfalls bepöbeln darf. Auch wenn manche von ihnen es verdient hätten. Was da an Verstocktheit und Dummheit zutage tritt! Einer, dem sogar Stegner offenbar nicht links genug ist, meldet sich bei der Diskussion. Er möchte das Hartz IV-Fass wieder aufmachen, alles zurückdrehen. Der Mann nennt Gerhard Schröder in einem Atemzug mit Thilo Sarrazin, welcher für ihn wohl den schlimmsten Haderlumpen der Partei verkörpert. Ralle windet sich damit raus, dass „wir als Sozialdemokraten“ lieber dafür sorgen sollten, dass niemand mehr Hartz IV braucht.

Eine Genossin fordert, es müsse „viel mehr umverteilt“ werden in der Republik, und dazu solle die Partei sich auch bekennen. Ralle rollt innerlich mit den Augen, bleibt aber nach außen hin cool. Je nun...Umverteilung sei ein Begriff, welcher der Partei von ihren Gegnern mit Vorliebe angeklebt werde. Umverteilung sei auch nicht sehr populär, sonderbarerweise...damit müsse man...gaaanz...vorsichtig...

Schon mal was von Briefwahl gehört, du doofe Nuss?

Eine andere Genossin beklagt, viele Wahllokale seien nicht barrierefrei. Gerade so, als hindere genau dies die Massen daran, SPD zu wählen. Ralle muss so tun, als ginge er darauf ernsthaft ein („Das ärgert mich auch!“). Obwohl einer seines Temperamentes wohl lieber blaffen würde: Schon mal was von Briefwahl gehört, du doofe Nuss?

Was für ein Leben. Da zieht ein Mensch, aus dem was hätte werden können (intelligent ist er ja im Prinzip), jahraus jahrein durch die Lande, twittert dämliches Zeugs, tritt vor ergrauten, demoralisierten Genossen auf und erzählt ihnen, sie brauchten sich von anderen Parteien nix gefallen zu lassen, schon gar nicht von den rechten. Die SPD sei nämlich die “älteste Partei Deutschlands“. Und den Widerstand gegen die Nazis, den hätten Sozialdemokraten praktisch allein gewuppt. Wie er das meint, bleibt im Ungefähren; natürlich fragt keiner nach.

Ja, dies und vieles mehr vertellt er ohne rot zu werden, unser Ralle. Hofft wahrscheinlich, dass sich niemand mehr an den legendären „roten Jochen“ erinnert. Jochen Steffen alias Kuddl Schnööf war auch mal ein SPD-Politiker an der Förde, und was für einer. Steffen und Stegner, das bezeichnet in etwa den Unterschied zwischen Containerfrachter und Gummiboot.

Seit ich Ralle bei der Arbeit zuschauen durfte, betrachte ich ihn milder. Er dauert mich. Armes Schwein. Müsste Hilfe bekommen. Einen frischen Job. Aber woher nehmen? Ralle steuert langsam auf die 60 zu. Wer gibt ihm noch eine Chance? Interessenten bitte bei der Kieler SPD melden.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Steffen Schwarz / 25.08.2017

Was für eine sprachliche Meisterleistung ! Das ist mal ein deutsch für Kenner !

Gerd Koslowski / 25.08.2017

Herr Stegner hat doch einen Gastronomiehintergrund. Er sollte mit Frau Högl die “SPD-Bar jeder Vernunft” eröffnen.

Wilfried Cremer / 25.08.2017

Er steht nicht mit, sondern als Flunsch herum und verkörpert den Restbestand der SPD. Dafür ist Schulz nicht seriös genug.

Hjalmar Kreutzer / 25.08.2017

“... an einem strahlenden Spätsommerwerktag um elf Uhr morgens ... sind die Stader zu sehr mit nützlichen Dingen beschäftigt, ...” Ja, nicht nur die Stader müssen an so einem Tag ihrer Arbeit nachgehen, um sich mehr als die Hälfte dieses Erarbeiteten vom Staat wegnehmen zu lassen, um damit Merkels Klientel und solche Existenzen wie Ralle zu alimentieren, vulgo die Masse zum “viel mehr Umverteilen” für die Genossin erst mal zu schaffen. Die böse Konkurrenz veranstaltet ihre Kundgebungen, Stammtische, Bürgerdialoge, Bustouren werktags nach 19:00 oder am Wochenende - für die, verzeihen Sie das harte Wort, Werktätigen.

Sonja Brand / 25.08.2017

Unser Problem bei Parteien ist nicht, dass es in diesen hier und da Idioten gibt, die prima versorgt im Gefolge mitschwimmen, sondern das es leider hier und da nur wenige kluge und fähige Menschen gibt, die sich parteipolitisch engagieren. Der Fisch stinkt in Deutschland immer vom Kopf her. Und vor allem: Welcher kluge und fähige Mensch entscheidet sich heute noch für die Politik? Eben. Nach Stippvisiten auf kommunaler Ebene, die durchdrungen sind von eitlen, narzistischen Selbstdarstellern - D A S tue ich mir nicht mehr an.

Nico Schmidt / 25.08.2017

Guten Morgen Herr Röhl, ich suche einen Rentner oder Pensionär auf Basis € 165,00 für leichte Gartenarbeit. Wäre das was für Herrn Stegner? Er darf aber meine Familie nicht permanent beschimpfen. MfG Nico Schmidt

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