Joachim Nikolaus Steinhöfel / 21.12.2016 / 09:00 / 6 / Seite ausdrucken

Fremdschämen für den Deutschlandfunk (DLF)

Gabor Steingart ist ein ebenso bekannter wie renommierter deutscher Journalist und Autor. Von 2001 bis Mitte 2007 leitete er das Hauptstadtbüro des „Spiegel“, anschließend war er für das „Spiegel“-Büro in Washington tätig. Seit 1. Januar 2013 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung der „Verlagsgruppe Handelsblatt“ und Herausgeber des „Handelsblatt“. Zuvor war er drei Jahre dessen Chefredakteur. Sein „Handelsblatt-Morning-Briefing“ ist witzig und informativ, in jedem Falle lesenswert. Abonnieren lohnt sich. Mit Billigung des Autors veröffentlichte „Die Achse des Guten“ am Tag nach dem Terroranschlag in Berlin einen längeren Auszug daraus– „Glück in Zeiten des Unglücks ist, wenn man zur richtigen Zeit auf dem falschen Weihnachtsmarkt ist.“

Ich habe den Text bei facebook und twitter gepostet und das folgende Zitat aus dem Text von Steingart als Teaser vorangestellt.

„Die Zündschnur brennt, sie schlängelt sich von Aleppo über Nizza bis zum Berliner Breitscheidplatz – und wir wissen nicht, ob sich eine politische Kraft findet, sie rechtzeitig auszutreten.“

Dann schlug die Stunde des „Deutschlandsfunk“ (DLF). Am 20.12.2016 um 13:49 Uhr kam „Dietmar Reiche aus unserer Online-Redaktion“ ins Studio um darüber zu berichten, wie der Anschlag in den sozialen Netzwerken diskutiert werde. Online-Fachmann Reiche informierte die Gebührenzahler wie folgt:

„Es geht um Schuldzuschreibung, Gewissheit über Tat und Täter bevor, sag ich mal, polizeiliche Erkenntnisse vorliegen. Ganz offen sprechen zum Beispiel Anhänger der Plattform ‚Achse des Guten‘ ihre Meinung aus. Ein ganz prominenter Vertreter ist Henryk Broder, der ja vielen bekannt ist. Und ein Anwalt, Joachim Steinhöfel, erklärt zum Beispiel über Twitter, Zitat: ‚Die Zündschnur brennt, sie schlängelt sich von Aleppo über Nizza bis zum Berliner Breitscheidplatz.‘ Also da sieht man ganz klar, man hat einen Schuldigen ausgemacht, die Bundeskanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik“

Mir scheint eher zweifelhaft, ob Reiche irgendetwas klar sieht. Abgesehen von der ihn scheinbar irritierenden Tatsache, daß „Achse-Anhänger“ ihre Meinung „ganz offen“ aussprechen. Wo haben Anhänger der „Achse“ was ausgesprochen? Und wenn, wäre das nicht unzulässige und journalistisch unlautere Sippenhaft? Und: Henryk Broder hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Sterbenswörtchen über den Vorfall verloren. Kein Grund, dass Reiche ihm nicht dennoch unzulässige „Schuldzuschreibung, Gewissheit über Tat und Täter bevor polizeiliche Erkenntnisse vorliegen“, zu Last legt. Wie können nur hoffen und beten, dass die Polizisten besser ermitteln, als Reiche recherchiert.

Dann der eigentliche Leckerbissen: Reiche ordnet mir das Zitat zu, das aus Gabor Steingarts Text stammt um zu belegen, wie fragwürdig es im Netz und gerade bei der „Achse“ zugeht. Das ist nicht nur deshalb ziemlich peinlich, weil man im Tweet selber den Namen des Autors  und den verlinkten Artikel sieht, sondern auch deshalb, weil wir unterstellen dürfen, dass Reiche hier vom Ergebnis her recherchiert hat. Nicht wahr, Herr Reiche? Sagen Sie bloß, Sie hätten, wenn Sie sorgfältig gearbeitet hätten, Gabor Steingart ebenso wortgewaltig in den Senkel gestellt.

Merke: Wenn es darum geht die Täter in den sozialen Netzwerken aller erdenklichen Schandtaten zu überführen, ist auch ein renommierter Journalist von „Spiegel“ und „Handelsblatt“ vor „fake news“ vom DLF nicht gefeit.

Etwas Trost fand Reiche dann doch noch. „Da gibt’s natürlich auch Stimmen der Anteilnahme. Bundesjustizminister Maas von der SPD zum Beispiel zeigt Mitgefühl und verweist auf die Trauerbeflaggung für Gebäude der Bundesbehörden.“ Anlaß war der Anschlag von Berlin, nicht die Qualität der Arbeit unseres Protagonisten.

Zuerst erschienen auf Joachim Steinhöfels Blog hier.

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Leserpost

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Roland Müller / 21.12.2016

“man hat einen Schuldigen ausgemacht, die Bundeskanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik“, typischer Fall von Projektion, denn diese Schuldzuschreibung kommt von Reiche. Steingart beschreibt die Regierung nur als ihre eigene Ohnmacht fühlend. Aber wo der Reiche recht hat, hat er recht.

Werner Liebisch / 21.12.2016

In welch fröhlichem Ton, die meist öffentlich rechtlichen Radiosender über den Anschlag mittlerweile berichten, da bleibt einem die Spucke weg, so als wäre es eine alltäglich fröhliche Weihnachtsgeschichte. Und jegliche Kritik am System sofort unterbunden. Am Morgen danach wurde ein LKW Fahrer live in eine Radiosendung geschaltet, zum Schluss machte er Merkel dafür verantwortlich mit sachlicher Kritik, damit hatten die Moderatoren aber nicht gerechnet und sofort fing der Moderator an, dass man das nicht einfach so behaupten könne und würgte den LKW Fahrer ab. Mittlerweile sind das reine Propaganda-Sender, wo fast nur mehr verblendete Moderatoren und Redakteure am Werk sind die den Bezug zur Realität hinter sich gelassen haben.

hinnerk albert / 21.12.2016

die blindheit der gutmenschen kennt keine grenzen mehr——ddr entstadium

Bertram Scharpf / 21.12.2016

Es ist beschämend, wie die Opfer, noch bevor ihre Leichen kalt sind, instrumentalisiert werden um Stimmung zu machen gegen alle, die sich nicht von Frau Merkel und Frau Göring-Eckardt zwangbeglücken lassen wollen.

Fridolin Kiesewetter / 21.12.2016

Ach ja, der DLF; früher mal mein Leib- und Magensender, täglich gehört, so wie die tägliche Lektüre der FAZ; heute mache ich um beide einen großen Bogen und schaue lieber bei Achgut (u.ä.) vorbei.

Wolfgang Richter / 21.12.2016

Muß Herr Reiche sich jetzt wegen seiner unzutreffenden Behauptungen der maas-schen “Fake-News-” Prüfung stellen u. ggf. mit aller gebotenen Härte des Gesetzes rechnen? Oder sind seine Unterstellungen als legitim zu werten, da er auf der Seite des “Guten” steht?

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