Verschont mich mit Böhmermann! Und: Meta-Ebene my ass.

Von Malte Fischer.

Ich bin auch ein Fan der Pressefreiheit. Trotzdem ertappe ich mich in letzter Zeit dabei, klammheimlich zu hoffen, mit Krummdolchen bewaffnete Schergen Erdogans würden Böhmermann in irgendeinen Kerker im Orient verfrachten. Nichts Persönliches. Ich kann einfach seine Fresse nicht mehr sehen. Ich traue mich schon gar nicht mehr auf Facebook. Keine Zeitung kann man aufschlagen ohne in das nicht übertrieben schöne Gesicht des ZDF-Manns zu blicken. Danke, es reicht!

Fast noch nerviger als Böhmermann selbst sind seine zahlreichen Fans in Deutschlands Redaktionen, die nicht müde werden, dem Normaldoof, der es womöglich selbst nicht checkt, die Genialität des Mannes und die 23 Meta-Ebenen seiner Aktionen zu erläutern. Und dann die Solidarität bekundenden Trittbrettfahrer: Döpfner, Didi, Varoufakis. Es weiß doch jeder inklusive Böhmermann, dass Böhmermann die Sache am Ende mehr nutzen als schaden wird. Solidarisiert man sich normalerweise nicht mit Menschen, denen Unrecht oder Leid zugefügt wurde?

Wenn Spiegel-Autor Cordt Schnibben der Kanzlerin auf Facebook schreibt, es „sei nun mal genug“ und er könne angesichts der Leisetreterei von Merkel im Fall Böhmermann „nun nicht länger schweigen“, erscheint mir das angesichts der seit Monaten andauernden brutalen Repressionen gegen Kurden, Oppositionelle und Journalisten in der Türkei und dem aggressiven Auftreten von Erdogans Anhängern auch in Deutschland, beinahe obszön. Es gibt tausend bessere und wichtigere Gründe, Erdogan und zu kritisieren als ausgerechnet dafür dass er sich von einem deutschen Fernsehheini nicht Ziegenficker nennen lassen will.

Herr Döpfner schreibt in der Welt, JB wolle „durch Maximalprovokationen die Leute verstören, um sie darüber nachdenken zu lassen, wie eine Gesellschaft mit Satire – und noch viel wichtiger – mit der Satire-Intoleranz von Nichtdemokraten umgeht. Ein Kunstwerk. Wie jede große Satire.“ Nun war ich für meinen Teil immer ganz zufrieden mit Fernsehunterhaltern, die ihr Publikum unterhalten und was eine geschmacklose Satire von einer Satire auf eine geschmacklose Satire unterscheidet, kann mir Herr Döpfner vielleicht mal bei einem Döner erklären. Ich hoffe jedenfalls, dass sich Herr Böhmermann über derlei Gesülze totlacht, fürchte aber, er hat Gefallen an der Rolle der supercoolen moralischen Instanz gefunden. So tief wäre Harald Schmidt nie gesunken.

Wahrscheinlich habe ich die genialen Meta-Ebenen einfach nicht gecheckt aber am Ende des Tages hat Böhmermann Erdogan einen stinkenden Ziegenficker und Päderasten genannt. Er hat damit weder der notwendigen Kritik an Erdogan noch der deutschen TV-Unterhaltung eine Sternstunde hinzugefügt. Er hat nur einen weiteren Beitrag zur Verrohung und Infantilisierung des politischen Diskurses geleistet. Meta-Ebene my ass. Das Gedicht bleibt eine Aneinanderreihung rassistischer antitürkischer Klischees. Hätte Akif Pirincci denselben Text auf seiner Homepage veröffentlicht, wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn als Helden der Meinungsfreiheit zu feiern.

Es gibt Journalisten und Satiriker, die ihre Freiheit, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren wenn sie ihren Job machen. Böhmermann gehört nicht dazu. Daher sollte bei der Bewertung seiner Arbeit einzig ihr künstlerischer oder inhaltlicher Gehalt zählen. Der tendiert im Fall der „Schmähkritik“ gegen Erdogan gegen null, es sei denn, man würde die Fähigkeit, alle Medien der Republik tagelang mit seinem Gesicht zu verstopfen, als künstlerische oder journalistische Leistung bewerten. Ich persönlich könnte einen Böhmermann-freien Safe Space im Internet gerade echt gut gebrauchen.

Malte Fischer (37) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ben Wilmes / 13.04.2016

Auch ich fand Böhmermann nie witzig oder originell, schon gar nicht genial. Seine Ausfälle gegenüber Menschen die den Islam oder die Flüchtlingspolitik kritisieren waren allesamt beleidigend, geschmacklos und wohlfeil, da sie munter einer Mainstreamhaltung folgten. Dennoch tut er mir nun fast leid. Dass er es darauf abgesehen hat, auf DIESE Weise seine Popularität zu steigern glaube ich kaum. Und ich wünsche ihm auch nicht, von bärtigen Messerträgern sonstwohin verschleppt zu werden. Vielleicht reift er an der Geschichte, vielleicht zerbricht er daran. Seine psychische Konstitution kenne ich nicht. Die Aufmerksamkeit die ihm gerade zuteil wird hat er weder verdient, noch ist diese zu irgendetwas gut. Viele der Leute, die ihm gerade frisch - fröhlich beispringen hätten kein Problem damit, Wähler der AfD als Nazis abzustempeln, egal ob es sich dabei um Migranten, Lesben, Ökonomieprofessoren oder sozial engagierte vierfache Mütter handelt. Böhmermann hat einmal die Klappe zu weit aufgerissen. Ihn hat irgendwas gejuckt, aus Langeweile, aus pubertärem Übermut, aus dem wohligen Gefühl heraus, als prämierter Medien"star” ( wegen einer albernen Bildmanipulation) sicher wie ein verwöhntes Jüngelchen in Muttis Heim zu sein. Jetzt juckt es nicht nur, es tut weh. Wenn er daraus etwas lernt, gut. Wenn nicht, sein Problem. Ich wünsche ihm nichts Schlechtes, aber ich wünsche ihm auch keine Öffentlichkeit, die ihn zum Märtyrer stilisiert. Er soll seine Unartigkeit einfach ausbaden und erwachsen werden. Allein.

Magdalena Schubert / 13.04.2016

Ich kann dem Text im Großen und Ganzen zustimmen, aber ich glaube nicht, dass sich Böhmermann totlachen wird oder gar Gefallen an seiner Rolle findet! Ich glaube eher, dass ihm der A… auf Grundeis geht und er geschockt ist über die Lawine, die er wohl unbeabsichtigt losgetreten hat. Diese Lawine kann ihn ja wirklich begraben! Wenn man die Rachsucht (Fatwa?)der Islamisten kennt, so ist davon auszugehen, dass sie ihm dieses Gedicht NIEMALS verzeihen werden und er den Rest seines Lebens einen (oder gleich mehrere) Leibwächter braucht….

Luigi Nicolay / 13.04.2016

Erdogan und dieser Mann aus Böhmen Heute wollte ich einen Leserbrief an die Tageszeitung meiner Region schreiben, weil ich dachte, dass alle Kulturschaffenden und Mediengrüppchen sich vor einem mittelmäßigen Hofnarren des ZDF ehrfurchtsvoll in den Staub werfen. Was wir uns heute unter der Narrenfreiheit der Künste gefallen lassen müssen zeigt, wie degeneriert unsere Gesellschaft mittlerweile ist. Ich danke Malte Fischer für seinen Artikel und ich erfreue mich an diesem aufrechten Denker, der noch weiß, warum der Schöpfer ihm Hirn gegeben hat.

Heinrich Maiworm / 13.04.2016

Soweit man hört hat Angela Merkel das Hitler-Bärtchen auf griechischen Plakaten ignoriert.  Krankenhauspersonal spielt massive Beleidigungen von Männern in der Notaufnahme, die Behandlung durch Ärztinnen und Pflegerinnen ablehnen, herunter. Gleichzeitig regen wir uns über den rüden Umgangston im Internet, über Angriffe auf Zugbegleiter, Rettungspersonal, Polizisten ... auf. Ich mag Erdogan auch nicht, aber dass er eine Beleidigung eine Beleidigung nennt, finde ich in Ordnung.

Clemens Hofbauer / 13.04.2016

Das Glas ist doch halb voll. Erdogan hetzt gegen Deutschland und macht so allen klar, mit wem sich ihre Kanzleriene ins Bett gelegt hat. Denn man muss den Deutschen schon ordentlich weh tun, damit es ihnen eben nicht mehr egal ist, wie sich die Völker hinten in der Türkei die Schädel einschlagen. Und den ganzen linxlinken Medienfuzzis können jetzt rasch wieder zur Ordnung gerufen werden, wenn sie sich wieder in linxslinkes Gutmenschentum alle anderen nervend versteigen.

Bernd Matzkowski / 13.04.2016

“Es gibt Journalisten und Satiriker, die ihre Freiheit, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren wenn sie ihren Job machen. Böhmermann gehört nicht dazu. Daher sollte bei der Bewertung seiner Arbeit einzig ihr künstlerischer oder inhaltlicher Gehalt zählen. Der tendiert im Fall der „Schmähkritik“ gegen Erdogan gegen null, es sei denn, man würde die Fähigkeit, alle Medien der Republik tagelang mit seiner Fresse zu verstopfen, als künstlerische oder journalistische Leistung bewerten. “ Kann ich aus dieser Argumentationskette schließen, Herr Fischer, dass Ihre Bewertung der Böhmermannschen “Schmähkritik” sich ändert, wenn irgendein Honk ihn am Dönerspieß röstet oder aus den Morddrohungen Mordversuche werden? Und was soll das Geschimpfe über die Medien, die seit Tagen alles mit der Böhmermannschen “Fresse vollstopfen” - Sie hätten doch wenigstens schweigen können. Stattdessen breiten Sie ihre Befindlichkeit öffentlich aus, provozieren so neue Äußerungen zur Sache Böhmermann- etwa meine hier- und tragen zur Verstopfung der Medienkanäle aktiv bei. Böhmermann hat mit einem beleidigenden, miesen Text aus der Sparte “Unterleibs- und Fäkalkomik”  eine Mini-Staatskrise provoziert - immerhin. Das wird Ihrem Beitrag nicht vergönnt sein! “Ich kann einfach seine Fresse nicht mehr sehen” , schreiben Sie einleitend (Fresse scheint ein Lieblingswort von Ihnen zu sein). Mein Rat: Dann schauen Sie doch nicht mehr hin!

Waldemar Undig / 13.04.2016

Da kann aber Herr Böhmermann nichts dafür, dass jetzt die ganzen Medien dauernd mit seinem Konterfei aufmachen. Er hat nur ein Schmähgedicht gegen Erdogan vorgetragen, den Rest besorgen andere, also wir. ;-)

Rainer Kaufmann / 13.04.2016

Nein, es werden eben nicht rassistische antitürkische Klischees, sondern ganz “normale”, orientalisch-blumig-bildhafte, extreme Beleidigungen aneinandergereiht. Deren Adressaten sind in aller Regel keine Türken, sondern andere Nationalitäteninhaber . Die Beleidigungen hört jeder Türsteher einer Großstadtdisco am Wochenende von der Klientel, die er nicht herein lässt. Oder man kann sie auch am Rande von Amateurfussballspielen hören, bspweise von türkischen Vätern, die lautstark die Gegenspieler seines Filius beleidigen. Und manchmal auch vom pubertierenden “kleinen Prinz” auf dem Spielfeld. selbst. - Es ist Satire, wenn diese Sprachbilder bumerangartig auf Erdogan anwendet werden. Damit er es auch versteht.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Malte Fischer, Gastautor / 16.02.2016 / 19:37 / 8

Die Invasion der Seelenfresser

Von Malte Fischer Im Science Fiction Thriller Invasion of the Body Snatchers ersetzen außerirdische Invasoren die Bewohner einer Stadt durch äußerlich identische aber gefühllose Doppelgänger.…/ mehr

Malte Fischer, Gastautor / 12.01.2016 / 12:00 / 7

Die jetzt wirklich wichtigen Dinge

Von Malte Fischer Das war knapp. Am Wochenende haben engagierte Ordnungshüter gerade noch das Schlimmste verhindert. Der schlagkräftige Einsatz der Kölner Polizei gegen den braunen…/ mehr

Malte Fischer, Gastautor / 01.12.2015 / 12:00 / 2

Ein neuer Morgen

Von Malte Fischer Vielleicht wird man später sagen: Nach Paris sind die Leute endlich wach geworden. Sie haben begriffen, dass sie geistige Brandstifter nicht länger…/ mehr

Malte Fischer, Gastautor / 02.10.2015 / 12:00 / 8

Australien, Kanada oder doch Costa Rica? Nehmen die mich überhaupt?

Von Malte Fischer Nach den Flüchtlingsgipfeln von Regierung, EU und ARD bleibt für den unbedarften Zeitungsleser nur eine Frage offen: Australien, Kanada oder doch Costa…/ mehr

Malte Fischer, Gastautor / 08.09.2015 / 06:30 / 5

Endlich Willkommensweltmeister

Von Malte Fischer Wir haben keine Probleme. Flüchtlinge haben Probleme. Vielleicht noch die Griechen. Wir haben die Lösungen. Wir sind Fußballweltmeister, Exportweltmeister und jetzt sind…/ mehr

Malte Fischer, Gastautor / 11.08.2015 / 06:30 / 3

Zeigen Sie jetzt bitte Haltung

Von Malte Fischer Eigentlich läuft es ja in der bunten Republik. Flüchtlinge finden im Wochentakt vierstellige Geldsummen und melden sich sofort auf der nächsten Polizeidienststelle.…/ mehr

Malte Fischer, Gastautor / 22.06.2015 / 23:01 / 8

Liebes Zentrum für politische Schönheit…

Von Malte Fischer ...über Schönheit lässt sich streiten. Reden wir über Charakterzüge von Personen, Menschengruppen oder Nationen, erachte ich Bescheidenheit, Vernunft und Mut als schön.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com