Jesko Matthes / 19.07.2017 / 14:51 / Foto: ww.panphotos.org / 5 / Seite ausdrucken

Freiheit für meinen Freund Peter Steudtner

Meine Gedanken sind bei meinem Freund Peter Steudtner , der in der Türkei unter dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft sitzt. Peter ist Mitglied von INKOTA, einem Netzwerk von Friedensaktivisten, das zur Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (ADGF) gehört. Ich habe Peter lange nicht mehr gesehen, persönlich zuletzt auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover im Jahre 2005.

Es gab Zeiten, da sahen wir einander wöchentlich. Wir besuchten den Kindergottesdienst in der selben Kirchengemeinde, der Lindenkirche  in Berlin-Wilmersdorf, wurden dort konfirmiert, danach unter den Pfarrern Paul von Magnus und Bernd Raebel Kindergottesdiensthelfer und Mitarbeiter in der Jugendarbeit. Peter spielte die Gitarre in unserer Kirchenband, und ich sang. Das alles spielte sich ab zwischen 1980 und 1993. Ich studierte derweil Medizin, und auch Peter wollte eine zeitlang Arzt werden. Nach einem Praktikum in Südafrika trafen wir uns im Hause seiner Eltern. Er griff zur Gitarre, spielte „Bianca means beautiful“. Natürlich gab es ein schönes Mädchen gleichen Namens in unserer Jugendgruppe, und wir schwärmten beide für sie.

Dann erzählte Peter, er habe gemerkt, dass Medizin nicht das Richtige für ihn sein würde, und er entschloss sich, die Arbeit für Kinder und Jugendliche fortzusetzen und – Fotograf zu werden. Bei einem Projekt für ehemalige Kindersoldaten in Mosambik setzte er die Fotografie als kreatives Mittel für diese Kinder ein, die wieder lernen sollten, Kinder zu sein, auch, indem sie lernten, eine Kamera zu bedienen statt einer Schusswaffe. Peter sagte damals, er bewundere, dass ich Arzt werden könne, und ich antwortete, ich bewunderte, was er tut, und wir nahmen einander in den Arm. Obwohl er wusste, dass ich ein Konservativer bin, so wie ich weiß, dass Peter ein Linker ist. Gerechtigkeit war für Peter immer mehr als ein Wort. Schon an anderer Stelle habe ich geschrieben, dass mein Weg mich zur Deutschen Kriegsgräberfürsorge führte und nicht zur Aktion Sühnezeichen, aber auch, dass es das einmal gab, diesen Dialog, diese Achtung und sogar die Freundschaft über die politischen Lager hinaus, und dass ich genau das für die Keimzelle der Demokratie halte: den Dialog auch im Freundeskreis über die angeblichen ideologischen Grenzen hinweg nie abreißen zu lassen. So dachte auch Peter.

Andersdenkende - ohne Ansehen der eigenen Person

Heute kann ich Peter nur in Gedanken in den Arm nehmen, und niemand weiß, wann er wieder in Freiheit sein wird. Wieder bewundere ich seinen Mut – ich hätte niemals gewagt, als Deutscher unter den gegenwärtigen politischen Umständen einen türkischen Menschenrechts-Workshop zu besuchen, vielleicht, weil ich deutlich gespürt hätte, wie das für mich ausgehen kann. Doch so war Peter schon immer, sehr sanftmütig, sehr kantig, sehr idealistisch, und wenn er einmal entschlossen war, dann auch ohne Ansehen der eigenen Person. Grinsen würde er, wenn ich sagte, nun seien wir wohl beide, jeder auf seine Art, Regimekritiker, Globalisierungskritiker und gar „Populisten“ geworden... Entspannt streiten würde er mit mir, wie früher. Mit Peter bin ich der Überzeugung, dass man seine Meinung frei, offen, mutig und deutlich äußern muss. Auch ich halte es da mit Rosa Luxemburg: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.

Ich denke ganz anders als Peter. Kontakte jener Organisationen, mit denen er selbst in Verbindung steht, zu linksextremen Bewegungen, vor allem aber deren Förderung durch staatliche Entwicklungshilfe, halte ich für dubios, denn ich befürchte, dass am Ende wieder gewaltsame Konflikte gefördert werden. INKOTA gehört zu Attac Deutschland, und Mitglieder von Attac haben sich ebenfalls dubios zu den Hamburger G20-Krawallen geäußert.

Wie dem auch sei: In Deutschland ist das Verhalten von NGOs Gegenstand offener Diskussion, und was Peter jetzt in der Türkei erwartet, eine ganz andere Kategorie. Ein rechtsstaatliches Verfahren erwartet Peter mit Sicherheit nicht. Meine Gedanken sind bei ihm, denn es trifft auch mich, wenn diesem mutigen Mann die Freiheit genommen wird und die der freien Meinungsäußerung.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern

Foto: ww.panphotos.org

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stefan lanz / 19.07.2017

Entschuldigung, aber Leute wie linke (und Deutschland verachtende) Journalist Yücel und wie nun ihr Freund, wussten was sie taten. Also entweder nahm man das in Kauf oder man war so blauäugig, man würde in der Türkei, genau wie in Deutschland, mit allem durchkommen - die Öffentlichkeitund der linke Politikmainstream wirds im Notfall schon richten. Was es auch war, es wurde mit dem Feuer gespielt und hat sich - wie zu erwarten war - die Finger verbrannt…        

Armin Stark / 19.07.2017

Ich denke, Ihr Freund wird nicht der erste oder letzte “Aktivist” sein, der die persönlich sicher bittere Erfahrung macht, dass in souveränen Staaten Straftaten als solches benannt und geahndet werden. “Linksaktivismus” wird eben als das definiert, was es eigentlich ist: Terrorismus. Daher hält sich mein Mitleid in Grenzen.

Andreas Rochow / 19.07.2017

Dem politischen Apparat steht der mündige Bürger, der Ehrenamtliche, der von der Idee Beseelte, dass der Staat nicht alles regeln muss und darf, zur Seite. Eine Zivilgesellschaft widmet sich, organisiert in Vereinen, Stiftungen und einer wachsenden Zahl von NGO’s den Aufgaben, die der Staat nicht in vollem Umfang selbst erledigen kann. Nicht wenige NGO’s und andere Gruppierungen sind im Kerngedanken von einem tiefen Misstrauen in demokratische Prozesse in Parteien und Parlamenten getrieben und mischen sich ohne eine demokratische Legitimation in internationale Politik ein! Ob es um Umwelt, Kernkraft, Meschenrechte auf alles, Einwanderung/Asyl oder die Anliegen einer Inter-Antifa handelt: Es fehlt oft die Transparenz bei der Finanzierung und der internationalen Hierarchie und im Einzelfall ist nicht sichergestellt, dass das Grundgesetz und geltendes - nationales wie internationales - Recht anerkannt wird. Wenn dazu noch der Verdacht möglicher staatlicher Finanzierung für Aktivitäten auf fremdem Terrain aufkommt, darf und muss das jeweilige Gastland sich wehren dürfen. Der selbsternannte Agent provocateur im Hauptberuf schafft keinen Frieden, schon gar keinen Rechtsfrieden. Für ihn ist immer Krieg! Vielen Friedensaktivisten, Spendern und Großsponsoren ist nicht bewusst, dass sie überall Demokratie einfordern, sich selbst aber längst von der Demokratie verabschiedet haben. Ich kenne Peter Steudtner nicht und fühle mit ihm. Er hat sich einen gefährlichen Beruf ausgesucht, die moralisch gute Absicht wird ein Erdogan erwartungsgemäß ganz andrrs beurteilen.

Clemens Hofmeister / 19.07.2017

Von Türken die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern ist genauso sinnlos, wie sie zur Einhaltung des Hupverbotes in Ortsgebieten zu bewegen. Sie werden es einfach nicht tun. Wenn man also bereits hierzulande diese Parameter erkennen könnte, sind derartige Aktionen in der Türkei selbst einweder ungeheuer mutig oder ungeheuer dumm. Wie dem auch sei: viel sinnvoller wäre es, die Türken hierzulande zu boykottieren bis Peter Steuttner und alle anderen politischen Gefangenen in der Türkei wieder frei sind. Kein Kebab, kein türkischer Gemüsehändler und Kopftuchmädeln nich mehr bedienen. Dies zu fordern wäre eigentlich Aufgabe der Linken und vor allem der Türken selber, die in den linken Reihen werken. Die können das Bojkottieren ja ausgezeichnet. Aber soweit geht deren Mut natürlich nicht. Also bei aller WErtschätzung: Steuttner ist doch ein Fall für linke Aktionen.

Andreas Auer / 19.07.2017

Auf der INKOTA-Website ist Folgendes zu lesen: “[Herr Steudtner] leitete dort ein Seminar zu Datensicherheit für türkische Menschenrechtsorganisationen.” Ist “Seminar für Datensicherheit” ein Euphemismus dafür, dass er die Anwesenden darin schulte, etwaige türkische Bespitzelungsgesetze zu unterlaufen, um unbehelligt das dort geltende Recht brechen zu können? Und wie steht eigentlich der deutsche Staat, deren oberste Vertreterin sich nun empört zu dieser Verhaftung äußert, zu den deutschen Bespitzelungsgesetzen und den Möglichkeiten, diese zu unterlaufen?

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