Bernhard Lassahn / 25.06.2015 / 17:21 / 4 / Seite ausdrucken

Frauenfußball und gelbe Karte

Nun kicken sie wieder und ich gucke nicht hin. Es ist lange her, dass ich mir so etwas zusammen mit meiner Mutter, die damals noch lebte, angesehen habe. Sie hatte sich ziemlich geärgert, weil sie eigentlich ihre Lieblingsserie sehen wollte, aber die wurde verschoben, weil Frauenfußball vordringlich war. Pech. Nun sahen wir uns die Bescherung an.

Ich weiß noch, dass eine der beiden Mannschaften aus Brasilien war – hätte ich jetzt sagen müssen: eine der beiden Frauschaften oder Mannschaftinnen? Jedenfalls war eins der beiden Teams aus Brasilien. Ich weiß nicht mehr, ob sie gewonnen oder verloren haben, ich habe es nicht bis zum Schluss angeguckt; ich wollte es nicht wissen. Ich gestehe, dass mir die Brasilianerinnen herzlich unsympathisch waren. Dennoch bin ich ihnen dankbar. Sie haben mir deutlich gemacht, was das Besondere am Frauenfußball ist.

Es fiel mir gleich auf: Die Spielerinnen applaudierten. Immer wenn es einen einigermaßen guten Spielzug ihres Teams gab, applaudierten sie sich selbst, ganz unabhängig davon, ob die Aktion zum Erfolg geführt hatte oder nicht. Nicht das Publikum applaudierte. Die Spielerinnen taten es. Man hörte es nicht, man sah es nur. Sie spendeten sich Applaus dafür, dass sie ihrer Meinung nach gut gespielt und sich ordentlich Mühe gegeben hatten. Sie brachten sich damit in die richtige Stimmung, es sollte vermutlich so etwas wie eine positive Verstärkung sein.

Ich musste an die Zeit zurückdenken, als ich in Amerika Sportler war. Da wurde ein gut gemachter, wenn auch gescheiterter Wurf, als „nice try“ gelobt. Das war’s. Darin lag allerdings eine Spur von Herablassung, als sollte damit gesagt sein: Da müssen wir noch dran arbeiten, nächstes Mal machst du das besser. Letztlich zählte das Ergebnis.

Applaudiert wurde nicht. Der Coach klatschte nicht. Wir Spieler taten es auch nicht. Wir wären überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen. Wenn es nach einem Wettkampf im Umkleideraum ein anerkennendes Nicken von einem Teamkollegen gab, dann war’s das. Das reichte.

Die Sportlerinnen aus Brasilen waren großzügig. Man kann auch sagen: Sie waren nicht besonders anspruchsvoll. Sie klatschen. Und klatschten. Und klatschten. Womöglich war es ihre spezielle Art, sich Mut zuzusprechen. Ich fand es billig. Es wirkte so, als wären sie auf irgendeine Scharlatanin reingefallen, die ihnen den letzten Schrei in Sachen Motivationstraining angedreht hatte. Wahrscheinlich sagten sie schon am frühen Morgen zu ihrem Spiegelbild: „Tschaka, Tschaka, du schaffst es, dies ist dein Tag.“

Es wirkte so, als hätten sie es nötig. So als hätten sie keine echte Motivation, sondern müssten die erst herstellen, wie jemand, der eigentlich keine Lust hat, etwas zu tun, aber trotzdem anfängt und sich sagt: Mal sehen, Appetit kommt vielleicht beim Essen. Man konnte wirklich nicht sagen, dass sie in einem Rausch der Spielfreude über das Feld huschten und dabei über sich hinauswuchsen. Es sah eher so aus, als wollten sie ihre Rolle als Fußballspielerinnen erst noch konstruieren, immer unter dem Vorbehalt, jederzeit wieder abzubrechen und auszusteigen, falls sie nicht genug gelobt werden oder sie sich das wieder anders überlegt haben.

Dann kriegte jemand vom gegnerischen Team eine gelbe Karte. Was taten die Brasilianerinnen? Sie applaudierten. Nun wurde es ein anderer Applaus. Damit beklatschten sie nicht ihren eigenen mickrigen Erfolg, sondern den Misserfolg der Gegenseite. Sie beklatschen nicht ihre eigene Stärke, sondern die Schwäche des Gegners. Nicht ihr eigenes Geschick, sondern das Missgeschick der anderen.

Schadenfreude ist ein Wort, das auch in Amerika kursiert, als müssten sie ein Wort aus Deutschland importieren, weil sie so etwa nicht kennen. Die Brasilianerinnen kannten es.

Deshalb mochte ich sie nicht. Und ich mochte sie nicht, weil mich in dem Moment Frauenfußball an Frauenpolitik erinnerte. An eine Politik, bei der die Erfolge darin bestehen, dass andere geschädigt werden. Ich musste sofort an das Zitat von Alice Schwarzer aus den achtziger Jahren denken, das es inzwischen zu trauriger Berühmtheit gebracht hat: „Wenn wir wirklich wollen, dass es unsere Töchter leichter haben, müssen wir es unseren Söhnen schwerer machen.“ So kann man reden, wenn man weder einen Sohn, noch eine Tochter hat.

So wurde es dann auch gemacht. Die Benachteiligung der Jungs ist inzwischen gut dokumentiert. Gefeiert wird sie als Erfolg der Mädchen. Wie in der Bildung, so in der Politik, im Berufsleben, in der Wirtschaft. Frauenpolitik hat viele Erfolge. Überall gibt es Frauen, denen es leichter gemacht wird, indem man es Männern schwerer macht.

Als ich klein war und auf dem Dorf lebte, wollte ich auch – so wie die anderen Jungs – Fußball spielen. Wir hatten einen Ball, mehr nicht. Wir hatten nicht mal den Namen „street football“ für das, was wir da machten. Wir improvisierten. Unseren Tornister waren unsere Torpfosten. Wir vereinfachten die Regeln: fünf Ecken = ein Elfer. Also: Wenn es zum fünften Mal zum Eckball (den wir nicht gut verwandeln konnten) gekommen war, wurde ersatzweise ein Elfmeter (der in eher ein Fünfmeter war) gegeben. Soweit, so gut. Es fehlte nur an Spielern.

Die Mädchen wollten nicht. Wir konnten sie schließlich überreden, indem wir die Spielregeln änderten. Das Mädchentor wurde verkleinert, damit es schwerer zu treffen war und für sie galt: drei Ecken ein Elfer. Ich weiß nicht mehr, ob sie gewonnen oder verloren haben. Ich weiß nur noch, dass es kein Rückspiel gab, kein weiteres Spiel.

Wir sollten uns an diesen wunderbaren Mädchen (die wir erstaunlicherweise „Wichter“ nannten) ein Beispiel nehmen! Ich habe sie in bester Erinnerung. Sie haben sich zwar in einer schwachen Minute überreden lassen, es mit „affirmative action“ und mit positiver Diskriminierung zu probieren, haben es dann aber bleiben lassen und haben lieber das getan, wozu sie wirklich Lust hatten (für Lust hatten wir erstaunlicherweise eine Art Plural, wir sprachen von „Lusten“).

Die Mädchen haben nur gemacht, was sie wirklich wollten. Sie haben vermutlich instinktiv gewusst – man soll die Mädchen vom Land nicht unterschätzen –, dass sie nur dann zu einem echten Selbstbewusstsein kommen, wenn sie ohne Motivationstraining auskommen, ohne Girls’ Day und ohne diesen ständigen Druck, eingefahrene Rollenbilder zu ändern und zu dekonstruieren.

Ich bin sicher, dass sie so ein Aufmunterungs-Video wie das von der Commerzbank, lächerlich finden. Was sehen wir da? Da wird uns in einem humorfernen Sketch mit dem kecken Comedy-Sternchen Carolin Kebekus gezeigt, dass Frauen alles besser können. Es ist so offensichtlich falsch, so verlogen, so gehässig, dass sich sogar die Dummerchen aus den großen Städten gelangweilt abwenden. Der faule Zauber gelingt nur, wenn die Frau gleichzeitig Schiedsrichterin und Kommentatorin ist – und wenn alles unecht ist. Es ist brasilianisches Klatschen. Der Erfolg beruht auf gelben Karten für die Gegner. Und die gelben Karten sind Fehlentscheidungen der Schiedsrichterin.

Die Mädchen aus dem Dorf wären darauf nicht reingefallen. Ich möchte sie herzlich grüßen: Anneliese, Irmgard, Hannelore, Gerda, Ingetraut, Christa, Renate, Jutta ... und wie sie alle hießen.

Ich heiße Lassahn. Das Dorf mit den wunderbaren Mädchen heißt nicht so. Doch es gibt einen Ort, der so heißt. Da gibt es eine Fußballmannschaft. Und die ist mit einem legendären Tor in Führung gegangen: 1 zu 0 für Lassahn!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thorsten Taler / 27.06.2015

Papperlapapp. Von einem einzigen Spiel das Sie nicht einmal zuende geschaut haben auf eine ganze Sportart schließen? Deutschland Frankreich gestern war richtig guter Fußball. Es war teilweise ein hartes Spiel (Nasenbeinbruch, harte Zweikämpfe). Es waren richtig gute Freistösse dabei. Tolle Schnittstellenpässe. Gut geschossene Elfmeter. Und es war spannend bis zur 120. Minute und zum Elfmeter 10/10. Bei den Elfmetern ist nichtmal jemand ausgerutscht oder hat den Ball in die Wolken geschossen. Wie man es sonst so kennt. Tolles Spiel und glückwunsch an unsere Frauen!

Frank Kaltenbach / 25.06.2015

Danke; einer dieser Momente, wenn ich beim Lesen merke, da hat einer meine Gedanken gelesen und sie in Sätze gefasst, wie ich es nicht könnte; da fehlte mir die Eloquenz. Aber nicht der Scharfsinn; wenigstens beim Fußball. Die Hinterfotzigkeit der Brasilianerinnen - zumindest beim Kicken - ist mir schon vor Jahren aufgefallen. Im Männerfußball längst etabliert insbesondere durch die italienische Nationalmannschaft, bzw. italienische Fußallclubs. Dieses ganze Verhalten basiert letztlich schon immer auf dem Fehlverhalten der Schiedsrichter, welche es nicht - einer ungeschriebenen Fairnessetikette entsprechend - bestraften.

Wolfgang Janßen / 25.06.2015

Im Prinzip haben Sie recht, zwei kleine Anmerkungen seien aber doch gestattet. Der selbst gespendete Applaus findet bei den Männern in Form des nach oben gereckten Daumens statt, selbst wenn der 40m-Pass im Seitenaus landet. Hier gibt es den Applaus für “gut gemeint” nicht für “gut gemacht”. Ihre Anmerkung hinsichtlich Frau Schwarzer ist sicher richtig, dennoch kann ich Frau Schwarzer einen gewissen Respekt nicht versagen. Sie bleibt als eine der wenigen ihrer Linie treu und wettert dort gegen die Unterdrückung von Frauen, wo sie diese wahrzunehmen glaubt. Als Beispiel sei hier ihre klare Stellungnahme gegen das Kopftuch genannt, für die sie sofort in die rechte Ecke gestellt wurde.

Max Ernst / 25.06.2015

Also den Film von der Allianz hatte ich noch nicht gesehen. Der ist wirklich ein Stück Kulturgeschichte. Man stelle sich das Ganze mal andersherum vor. Boah…

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Bernhard Lassahn / 15.10.2023 / 10:00 / 17

Holland und der blühende Unsinn

Als Kind waren Reisen nach Holland für mich das Größte. Wie lehrreich sie waren, wurde mir erst später klar. So sorgte ein Besuch der berühmten…/ mehr

Bernhard Lassahn / 08.10.2023 / 10:00 / 28

Holland und der Blick in die Unendlichkeit

Als Kind waren Reisen nach Holland für mich das größte. Der weite Blick durch fensterlose Gardinen öffnete meinen Horizont. Und das Gespür der Holländer für…/ mehr

Bernhard Lassahn / 27.11.2022 / 10:00 / 14

Wenn nicht Liebe, was sonst? 100 Jahre Georg Kreisler

Vor hundert Jahren wurde Georg Franz Kreisler in Wien geboren. Happy birthday.  Auf dem Blog ‚Tapfer im Nirgendwo‘ von Gerd Buurmann hatte ihm David Serebryanik rechtzeitig ein…/ mehr

Bernhard Lassahn / 19.06.2022 / 12:00 / 18

Was haben Männergewalt und Corona-Zahlen gemeinsam?

Angesichts des Falles Johnny Depp habe ich mir die Zahlen zur Männergewalt noch einmal angesehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass bei der Berichterstattung über Corona…/ mehr

Bernhard Lassahn / 10.05.2022 / 16:00 / 28

„Pandamned“ – der Film zur Pandemie

Der Film kommt just zur rechten Zeit: Die allgemeine Panik macht gerade eine Frühlings-Pause, wir können ein wenig verschnaufen und uns besinnen. Das müssen wir auch, um…/ mehr

Bernhard Lassahn / 18.04.2022 / 12:00 / 31

Zurück zur Menschlichkeit: Das große Corona-Latinum

Ein wenig humanistische Bildung kann bei der Aufarbeitung des Corona-Regimes durchaus nützlich sein. Etwa mit diesen ewigen Wahrheiten: „Quod licet Iovi non licet bovi". „Pecunia…/ mehr

Bernhard Lassahn / 17.04.2022 / 16:00 / 20

„Der grüne Planet“ oder die Hölle

Hier erfahren Sie alles, was man über den harten Kern der links-grün-feministischen Gedankenwelt wissen sollte. Sehen Sie sich den Film an! Diesen hier, la Belle Verte. Eine liebe…/ mehr

Bernhard Lassahn / 06.01.2022 / 06:15 / 152

Wie würden Nazis heute reden?

Mit der Sprache fängt es an. Sie ist ein Frühwarnsystem, das leicht nachvollziehbar herannahende Fehlentwicklungen in einer Sprachgemeinschaft anzeigt. Hier, ganz besonders hier, ist die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com