Thomas Baader, Gastautor / 06.09.2010 / 22:42 / 0 / Seite ausdrucken

Frau Foroutans Zahlenspiele

Thomas Baader

Gleich in zwei Fernsehsendungen wurde die Politologin Naika Foroutan aufgeboten, um Thilo Sarrazins Statistiken zu widerlegen. Leider verhedderte sie sich eher in ihren eigenen Zahlen und stellte merkwürdige Rechenkünste zur Schau.

Bei Reinhold Beckmann wurde sie zugeschaltet, bei Maybritt Illner saß sie im Studio. Frau Dr. Foroutan schien eine gute Wahl zu sein, um den vermeintlichen Demagogen Sarrazin als Statistikfälscher zu überführen: jung, hübsch, selbstbewusst, kompetent. Doch gerade das Attribut „kompetent“ muss wohl bei genauerer Betrachtung noch einmal überdacht werden.

Zunächst einmal fällt auf, dass Foroutan in beiden Sendungen verschiedene Zahlen angab. Bei Beckmann sprach sie davon, dass die Abiturquote der Türken in Deutschland in den 60ern noch 3% betrug, mittlerweile aber auf 18% gestiegen sei. Diese – wenn die Zahlen stimmen – Versechsfachung bezeichnete sie fälschlich als „Steigerung von 900%“. Bei Illner hielt sie wiederum ihrem Kontrahenten Henryk Broder vor, die Abiturquote der Türken betrüge 27% (verbunden mit der reichlich eigenartigen Frage „Sind das ein Drittel oder sind das nicht ein Drittel?“, die irgendwie leider unterging). Beide Zahlen widersprechen Angaben, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Artikel im April 2010 macht: „Nur 13% der Türken in Deutschland haben das Abitur […].“ Der Spiegel spricht in einem Artikel aus dem Jahr 2009 von 14%. Sollten beide Zahlen stimmen, wäre die Anzahl der Türken mit Abitur sogar leicht zurückgegangen.

Und hier sind wir bereits bei einem Grundproblem angelangt: Foroutan „widerlegt“ nicht nur einfach Sarrazin. Foroutan „widerlegt“ mit ihren Zahlen auch so ziemlich alle anderen, die sich jemals mit der Materie beschäftigt haben. Haben sich alle geirrt? Ist Foroutan hier tatsächlich eine Sensation gelungen, indem sie beweisen konnte, dass alles, was wir bisher als gesichertes Wissen zu haben glaubten, falsch ist?

Nein, denn vor allem widerlegt Foroutan sich selbst. Wenn sie Sarrazin einen schlampigen Umgang mit den Zahlen vorwirft, so muss nun dieser Vorwurf auf sie selbst zurückfallen.

Schauen wir uns hierzu ein Streitgespräch an, wie es sich bei Maybritt Illner zwischen Foroutan und Henryk Broder ereignete (Gesprächsverlauf leicht vereinfacht wiedergegeben, weil beide Gesprächspartner zum Teil gleichzeitig sprachen, sich gegenseitig unterbrachen und sich wiederholten):

Broder: „Die erfolgreichste Bildungsgruppe in Brandenburg sind z. B. Kinder vietnamesischer Eltern.“
Foroutan: „Ja, und die sind in der PKS an dritter Stelle… in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik an dritter Stelle. Obwohl sie prozentual die kleinste Gruppe sind. Was sagen Sie dazu?“
Broder: „Als was sind sie an dritter Stelle?“
Foroutan: „Bei den Gewalttätern. An dritter Stelle.“
Broder: „Bei welchen Gewalttätern?“
Foroutan: „Bei den jugendlichen Gewalttätern…“

Man beachte: Broder spricht von Vietnamesen in *Brandenburg*. Foroutan allerdings bezieht sich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik von *Berlin*. Das geht eindeutig aus der Dokumentation des ZDF-Chat hervor, der nach der Sendung stattfand. Dort beschwert sich nämlich ein Deutscher vietnamesischer Herkunft bei Foroutan über ihre Behauptung, Vietnamesen wären an dritter Stelle, woraufhin Foroutan u. a. antwortet: „Die Zahl steht in der aktuellen PKS für Berlin, die online verfügbar ist.“

Also Berlin, nicht Brandenburg. Die erwähnte Statistik ist ohne weiteres im Internet abrufbar. Und tatsächlich belegen die Vietnamesen in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2009 des Landes Berlin den dritten Platz – allerdings nicht, wie Foroutan in der Sendung behauptet, im Bereich der Gewaltkriminalität, sondern bei Straftaten generell. Vietnamesen werden im Fließtext des Dokuments an keiner Stelle im Zusammenhang mit Gewaltkriminalität namentlich hervorgehoben, sondern mit vielmehr mit „bandenmäßiger Begehung des Ladendiebstahls“ (Seite 50) und Straftaten gegen Aufenthalts-, Asylverfahrens- und das Freizügigkeitsgesetz (Seite 106). Im Bereich der Jugendgruppengewalt (Seite 153f.) belegen von allen nichtdeutschen Nationalitäten die Türken den ersten Platz (33,1%), die Vietnamesen aber erst den siebten (nur 2,1%).

Letztlich aber scheinen all diese Zahlenspiele hinfällig, denn die Praktikerin Kirsten Heisig bekennt in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ (Seite 34):

„Die möglicherweise im Jahr 2009 begangenen Taten gehen nicht in die jeweilige PKS ein, weil der Sachbearbeiter immer neue Vorgänge verbinden muss. Die Hoffnung, dass die Statistik der erfolgten Verurteilungen eine realistische Einschätzung bezüglich der Anzahl der jährlich begangenen Taten zulässt, erfüllt sich leider ebenfalls nicht. Auch hier werden nur die verfahrensgegenständlichen Delikte, aber nicht deren genaue Anzahl erfasst.“

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