Christian Ortner / 25.03.2016 / 18:55 / 2 / Seite ausdrucken

Frankreich müsste Molenbeek bombardieren, nicht Rakka

Der Rauch hatte sich nach den Anschlägen von Brüssel noch nicht einmal verzogen, als ausgerechnet der ranghöchste Polizist des Landes, Konrad Kogler, im ORF den eigentümlichen Eindruck erweckte, Terror dieser Art sei vor allem einem Mangel an Sozialarbeit an von der Gesellschaft nicht ausreichend gewürdigten Jugendlichen mit Migrationshintergrund geschuldet – und nicht etwa Folge einer faschistoiden, religiösen Herrenmenschen-Ideologie.

Die armen muslimischen Migranten, erfuhren wir da, litten in ihren tristen Wohnvierteln unter Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung, Chancenarmut und Perspektivlosigkeit, was sie entweder der gewöhnlichen Kriminalität oder eben dem Jihad gleichsam naturgesetzlich in die Hände treibe. Die unausgesprochene Botschaft dahinter: Irgendwie sind unsere Gesellschaften letztlich selbst schuld am Terrorismus, weil wir dessen „soziale Ursachen“ nicht ausreichend bekämpfen.

Die Schuld nicht bei den Tätern, sondern bei der Gesellschaft der Opfer zu verorten ist ein nach islamistischen Anschlägen beliebter Topos. Dass viele der Täter – von den Terroristen des 11. September bis zu einigen der Pariser Mörder des Vorjahres – aus dem Mittelstandsmilieu oder sozial noch höheren Schichten kommen und in der nicht muslimischen Welt ziemlich viele Menschen ebenfalls unter bedauernswerten sozialen Umständen leben müssen, ohne deshalb Terroristen zu werden, falsifiziert die These von den „sozialen Ursachen“ des Terrors zwar weitgehend, mindert deren Beliebtheit aber nicht im Geringsten.

Das dürfte nicht zuletzt an einer unter den politischen und medialen Eliten Europas weit verbreiteten Lust an der „heuchlerischen Selbstbezichtigung des Westens“ (der slowenische Philosoph Slavoj Žižek) liegen, die alle Übel der Welt lieber bei sich selbst sucht und die Anklagebank der Weltgeschichte (Kreuzzüge! Kolonialismus!) als ihre liebste Sitzgelegenheit betrachtet.

Dieser „Meaculpismus“ (Samir Khalil Samir) hat freilich den großen Vorteil, seinen zahlreichen Anhängern ein paar als unangemessen empfundene Fragen zu ersparen: etwa jene nach dem Zusammenhang zwischen dem Wesen des Islam (nein, nicht des Islamismus) und den Motiven der Selbstmordattentäter. Die nach jedem Blutbad vorgebrachte Phrase, das habe ja nichts mit dem Islam zu tun, tönt von Massaker zu Massaker hohler.

Oder die Frage, ob die monatelang von Berlin und Wien geduldete Zuwanderung Hunderttausender Menschen, deren Identität zum Großteil unbekannt war und ist, nicht zumindest die Arbeit der IS-Jihadisten erleichtert und damit zumindest indirekt einen Beitrag zum Gedeihen des islamistischen Terrors geleistet hat (in Salzburg sitzen sechs „Schutzsuchende“ ein, die dem IS nahestehen dürften).

Oder auch die Frage, warum wir eigentlich annehmen sollten, dass die Integration der seit 2015 nach Europa gekommenen Migranten aus Nordafrika, dem Nahen Osten oder aus Afghanistan besser gelingen soll als die jener muslimischen Zuwanderer, die in Brüssel Jihad-Stadtteile wie Molenbeek geformt und geprägt haben, wo die Polizei von dort Ansässigen attackiert wird, wenn sie einen Terroristen verhaften will, weil er als „local hero“ gilt.

"Frankreich müsste Molenbeek bombardieren, nicht Rakka“, kalauerte nicht ganz grundlos der französische Krawall-Intellektuelle Éric Zemmour nach den jüngsten Anschlägen von Paris.

Oder schließlich die Frage, ob es der Weisheit letzter Schluss ist, nun den Inhabern türkischer Pässe die visumfreie (und damit bis zu einem gewissen Grad unkontrolliertere) Einreise in die EU zu gestatten. Immerhin hat jüngst eine Meinungsumfrage ergeben, dass 20 Prozent aller Türken der Meinung sind, dass unter bestimmten Umständen Gewaltanwendung im Namen der Religion zulässig ist.

Eine ehrliche Antwort auf all diese Fragen dürfte zu Konsequenzen führen, vor denen sich die Politik derzeit noch drückt. Deshalb werden sie verdrängt, solange es halt geht.

Zuerst erschienen auf http://diepresse.com

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Arthur Duszynski / 26.03.2016

Im Jahre 2001 klopften zwei Polizeibeamte an meine Wohnungstür, um mir einen “freiwilligen” DNA-Test abzupressen. Er war sogar schriftlich angekündigt! Hintergrund war die Fahnung nach einem Sexualstraftäter, einem (!) Vergewaltiger, der über Jahre sein Unwesen getrieben hat. Ich lebte schon länger in dem Stadtteil einer deutschen Großstadt, welche ca. 16.000 Einwohner hatte. Ich passte ins Fahnungsraster: Ich war jung genug, um vergewaltigen zu können und verfügte über das entsprechende Tatmittel. Im ersten Moment dachte ich und sagte den Beamten auch, nein, ich verweigere den Test. Mit welchem Recht meint der Staat,  mir auch nur im Entferntesten zu unterstellen, ich sei ein irrer Serienvergewaltiger? Das Polzeiduo hatte meinen anfänglichen Widerstand gar nicht verstanden. Ob mir denn klar sei, dass ich mich damit verdächtig machen würde? Fragten die Polizisten. Natürlich nicht. Ich meine, natürlich bin ich kein Vergewaltiger. Also her mir den Wattestäbchen. Widerstand zwecklos, gebrochen. 15 Jahre später frage ich mich, was den belgischen Schmusegeheimdienst daran hindert, Moleenbeck auf den Kopf zu stellen, jede Wohnung dieses Ghettos auch nur mit Sprengstoffspürhunden zu filzen? Es ist die politische Überkorrektheit? Wehrlose Autofahrer ins Visier einer Leserpistole oder eines Radargeräts nehmen, das können die tollen Polizisten. Rasterfahnung nach Temposündern, nicht jedoch nach Massenmördern und deren Sympathisanten, deren Verweilort allenthalben bekannt ist.

Martin Schott / 26.03.2016

Selbst wenn es so wäre, dass islamistischer Terror die direkte Antwort auf durch “den Westen” erlittene Gewalt, Demütigungen, Deprivation, soziale und ökonomische Randständigkeit ist, stellte sich immer noch denknotwendig die Frage, weshalb sich Terroristen weltweit immer wieder auf den Islam als Weltanschauung zurückziehen (und nicht etwa auf eines der im 19. und 20. Jahrhundert in großer Zahl entstandenen politischen Manifeste, die eine revolutionäre Befreiung der Massen propagieren), wenn dieser doch angeblich gar keine Gewaltoption anbietet. Natürlich verhält sich die große Mehrheit der Muslime friedlich. Das ist jedoch kein Grund, den Islam von der Kritik und Ursachenforschung auszuklammern.

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