Von Frank A. Meyer
Julia Onken hat recht. Julia Onken hat unrecht. Wo hat die prominente Sachbuchautorin und Frauenrechtlerlin recht? Wo unrecht?
Sie ruft die Frauen in der Schweiz dazu auf, mit «Ja für ein Minarettverbot» zu stimmen. Damit hat sie unrecht. Moscheen mit Minarett sind nicht problematischer als Kirchen mit Kirchturm: Sie gehören zu den sonderbaren Gebäuden, in denen Religion praktiziert wird, durch Predigt, durch Gebet, durch Rituale. Freilich wirken Kirchtürme auf Menschen christlicher Kultur weniger
sonderbar als Minarette. Doch im Prinzip ist da kein Unterschied.
Julia Onken stellt fest: «Minarette sind männliche Machtsymbole.» Stimmt: Minarette ragen, um es dezent zu sagen, sehr, sehr männlich gen Himmel - und symbolisieren damit auf provozierende Weise die Männerherrschaft des Islam. Aber ragen Kirchtürme nicht auch sehr, sehr männlich gen Himmel?
Religion ist Religion, nämlich eine Herrschaftsideologie von Männern für Männer - und gegen die Frauen. Wie heute noch im Islam, wie gerade gestern noch im Christentum, wie immer noch in der katholischen Kirche.
Ein Minarettverbot ändert daran nichts. Es brüskiert nur tiefgläubige Muslime. Und es bestärkt sie in ihrer Abwendung von einer säkularen Gesellschaft, die sich doch die Integration zur Aufgabe gemacht hat.
Julia Onken hat aber auch recht. Sie schreibt in ihrem Aufruf an die Schweizerinnen: «Es kann uns Frauen doch nicht gleichgültig sein, was mit Frauen und Mädchen aus anderen Kulturen, die in der Schweiz leben, geschieht.» Und sie zählt auf, was Koran und Scharia den Musliminnen
antun: «Verhüllung, Zwangsheirat, Ehrenmord, Züchtigung durch den Ehemann.»
Julia Onken beklagt, dass «die Unterdrückung moslemischer Frauen stillschweigend unter dem Deckmantel angeblicher Toleranz gebilligt» werde. Da ihr Aufruf sich an die Schweizerinnen richtet, meint sie: gebilligt gerade auch durch Frauen.
Da hat Julia Onken sehr recht: Die Schweizer Feministinnen billigen seit langem durch Schweigen die religiöse Unterdrückung der Frauen in islamischen Kulturen!
Oder haben wir in den vergangenen Jahren von Protesten der Schweizer Frauenrechtlerinnen gehört gegen Verhüllung, Züchtigung, Zwangsheirat, Ehrenmord? Haben wir gehört von Demonstrationen gegen die Auspeitschung von Frauen und Mädchen im Iran, in Saudi-Arabien oder Indonesien? Haben wir von Aufmärschen vor den Botschaften arabischer Länder gehört, deren Scharia-Justiz Frauen und Mädchen steinigt?
Nein. Aus dem Mund so mancher Feministin hören wir neuerdings die Rechtfertigung von Kopftuch und Schleier als Symbol fraulichen Selbstbewusstseins oder Ausdruck harmloser Mode-Koketterie.
Vor allem grüne und linke Politikerinnen üben sich angesichts der islamischen Frauenunter-
drückung in Multikulti-Toleranz, die alles verrät, wofür Generationen von Frauen vor ihnen gekämpft haben.
IMAME UND Mullahs haben es bei den Schweizer Frauenrechtlerinnen leicht, leichter als der Papst: Benedikt XVI. wird jede seiner frauendiskriminierenden Regeln oder Äusserungen um die Ohren gehauen, von der Verweigerung des Priesteramts für Frauen bis zum Verbot von Kondomen und Abtreibung. Doch was sind diese vatikanischen Verkündigungen gegen die Pein von vielen Millionen Frauen in islamischen Gesellschaften?
Die Frauenbefreiungsbewegung hat in der Schweiz nahezu alle ihre Ziele erreicht. Was kümmert sie das Elend der Schwestern in einer andern, einer mittelalterlichen Welt?
Solidarität? Nie gehört.
Julia Onken hat recht.
C: Sonntags-Blick, 15.11.09
Siehe auch:
http://www.blick.ch/news/schweiz/politik/minarette-sind-macho-symbole-133410
http://www.randomhouse.de/author/author.jsp?per=4774